Lars Danielsson mit Paolo Fresu, Björn Bohlin und Orchester, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Neuer Besucherrekord
JazzBaltica überzeugte (fast) alle, nur Petrus nicht

„Dieses JazzBaltica-Wetter“ schimpfte eine Besucherin neben mir und die Zeitung „Die Welt“ regte sogar an, doch mal über den Termin nachzudenken, nachdem das beliebte Festival wieder mehr Wolken und Regen angezogen hatte, als es den Veranstaltern lieb war. Aber um es vorwegzunehmen, dem Publikumszuspruch konnte das nichts anhaben.

Ein neuer Rekord von 17.000 BesucherInnen trotz (oder wegen?) des neuen Standortes, zufriedene bis glückliche MusikerInnen allerorten und ein Festivalleiter, der zum Abschluss verkündete, das sei sein bestes Festival gewesen.

Nils Wogram, Foto: (c) Nicolaus Fischer-BrüggemannNils Wogram, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Nach einem begeisternden Vorkonzert und einem ausverkauften Eröffnungsfreitag mit ganz viel Frauenpower (im Jazz immer noch nicht so gewöhnlich) ging es am Samstag mit einem gut aufgelegten Nils Wogram und der NDR Bigband los. Der Posaunist mit dem wunderschönen Ansatz und guten Klangideen hatte zusammen mit dem routinierten Solistenensemble immer dann seine besten Phasen, wenn er ruhige Stücke in schwingende Töne fasste.

Nicht so ruhig war im Anschluss Helge Schneider, die (diesmal nicht) singende Herrentorte an einer ihrer zwanzig Orgeln zusammen mit dem bekannten Schlagzeuger Pete York und dem nach diesem Konzert hoffentlich bekannter gewordenen Gitarristen Hendrik Freischlader. Schneider humorierte in Musik wie Worten, spielte so kreuz und quer durch den musikalischen Gemüsegarten, dass seine Kompagnons manchmal Schwierigkeiten hatten zu folgen und trotzdem weitaus mehr als Beiwerk waren. Besonders der Drive und Soli Freischladers haben mich sehr beeindruckt.

Pete York und Helge Schneider, Foto: (c) Nicolaus Fischer-BrüggemannPete York und Helge Schneider, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Dann entgegen der ursprünglichen Ankündigung zuerst Lars Danielsson in großer, für Jazzverhältnisse riesiger Besetzung: zusammen mit Grégory Privat (piano), John Parricelli (guitar), Magnus Öström (drums, percussion), Paolo Fresu (trumpet), Nils Landgren (trombone), Björn Bohlin (Oboe), Mitgliedern des SHFO (16 strings | 3 woodwinds | 1 horn) unter Leitung von Wolf Kerschek und als special guest: Caecilie Norby (vocal). Diese Großereignisse drohen bisweilen am Pomp zu ersticken, hier war das Gegenteil zu vernehmen: wunderbare Arrangements (ein Besucher in meiner Nähe meinte, noch besser als von der NDR Bigband), faszinierendes melodisches wie rhythmisches Zusammenspiel gepaart mit herausragenden Einzelleistungen, die aber so im Ganzen eingebettet waren, dass es nie langweilig wurde. Für mich ein absoluter Höhepunkt. Wenn Jazz sinfonisch, dann so!

Paolo Fresu, Foto: (c) Nicolaus Fischer-BrüggemannPaolo Fresu, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Im Anschluss Eva Kruse mit ihrer aktuellen Band (und dem gleichnamigen Album) „On the Mo“ (der Name resultiert aus ihrem Lastenmoped, auf dem sie ihren Kontrabass über ihre Wahlheimat, eine Schäreninsel, transportiert). Die Bassistin ist ein JazzBaltica-Urgestein. Seit nunmehr 20 Jahren ist sie in unterschiedlichsten Formationen bei JazzBaltica dabei – als Teil der Sessionband in Salzau, mit ihren eigenen Formationen Firomanum oder Soap–Die Band und als wichtige Stütze im JazzBaltica-Ensemble und in der All Star Band. Von ihrer alten Band [em] ist nur Erik Schaefer (Schlagzeug) geblieben. Dazu gekommen sind Tjadina Wake-Walker (Oboe), Uwe Steinmetz (Saxophon) und Christian Jormin (Piano).

Eva Kruse, Foto: (c) Nicolaus Fischer-BrüggemannEva Kruse, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Was jetzt genau schön war, weiß ich nicht zu sagen, vielleicht, dass das Ganze mehr war als die Summe der Teile, bestimmt aber auch die ungewöhnliche Zusammensetzung samt Duetten aus Saxophon und Oboe, getragen von einer immer besser werdenden Eva Kruse und dem poetischen Piano Jormins sowie last but not least dem präzisen, treibenden Schlagzeug Schaefers (einem meiner Lieblingsschlagzeuger, aber das wissen Sie ja schon von meinem letztjährigen Bericht zu JazzBaltica). Jazz zum Erkunden wie Zurücklehnen und Genießen.

Bill Evans, Foto: (c) Nicolaus Fischer-BrüggemannBill Evans, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Dann wieder Party pur mit dem Ulf Wakenius Jazz Baltica Super Quartett. Da standen dann drei 60-Jährige auf der Bühne: Ulf Wakenius (guitar), Bill Evans (saxophone) und Lars Danielsson (bass). Wolfgang Haffner an den drums ist mit seinen 52 Jahren dagegen ein Jungspund, nur noch unterboten von Ulf Wakenius' Sohn Eric, ebenfalls Gitarre. Letzterer brachte mit seinem Vater im Duo einen Appetizer für ihre am späten Abend folgende Show, bevor die vier vormalig Genannten ein Feuerwerk an musikalischem Zusammenspiel, Energie und guter Laune abbrannten. Niemand musste sich beweisen, alle hatten schon ihre Meriten eingefahren, und das machte die Ausnahmekönner so locker und kraftvoll. Auch Nils Landgren konnte es nicht lassen, für ein Stück eine zusätzliche Klangfarbe beizusteuern. Das Publikum tobte und wollte die sichtbar fröhliche Truppe kaum ziehen lassen.

Donny McCaslin Quartet, Foto: (c) Nicolaus Fischer-BrüggemannDonny McCaslin Quartet, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Zuletzt am Samstag something completely different: Das Donny McCaslin Quartet featuring Jeffrey Ryan Taylor (vocal). Der Saxophonist Donny McCaslin, der maßgeblich den Sound von David Bowies Abschiedswerk geprägt hatte, trat mit einer jungen Truppe von Musikern auf, und alles war anders und laut: energetischer, kraftvoller, treibender Pop mit viel Elektronik und (wenigen) improvisierenden Elementen. Die ZuhörerInnen verließen in Scharen den Konzertsaal, so dass schließlich vielleicht noch ein Viertel bis zum Ende zuhörte. Dabei hätte das Ansetzen der Band in einem anderen Zusammenhang und mit einer anderen Ankündigung den Konzertsaal (am besten ohne Bestuhlung) bis auf den letzten Platz füllen und neue Zielgruppen, nämlich besonders junge Menschen, begeistern können. Unter 20- bis 30-Jährigen ist diese Musik mehr als angesagt und hätte einen Einstieg in JazzBaltica möglich gemacht …

Lars Danielsson, Foto: (c) Nicolaus Fischer-BrüggemannLars Danielsson, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Ein paar Stunden zuvor im Freien bzw. wettertechnisch in der gläsernen Rotunde ein weiterer Höhepunkt, den ich gerne auf der großen Bühne gesehen hätte: David Helbocks Random/Control: drei Musiker und drei Dutzend Instrumente, ein paar Lieblingsstücke und riesige Spielleidenschaft gepaart mit wenig Achtung vor dem Original. Ihre Musik war (wie der Pressetext zu Recht besagte) von spielerischer Leichtigkeit, die locker über alle Kulturen, Distanzen und Stile hinwegfegte. So habe ich noch nie das berühmte EST interpretiert gehört. Alles andere als bierernst oder gar intellektuell!

Am nächsten (Sonn-)Tag dann eine ungute Überraschung: Das Trio Saskya, auf das ich mich seit Wochen sehr gefreut hatte, war auf den Samstag zuvor verschoben worden. So standen viele von mir benachrichtigte Gäste ebenso wie ich vor dem David Grabowski Quartett, auch keine schlechte Wahl, aber deswegen waren wir nicht gekommen. So etwas kann zu Verdruss führen.

Elisabeth Engdahl & Thomas Gustafsson in der Waldkirche, Foto: (c) Thomas Fischer-BrüggemannElisabeth Engdahl & Thomas Gustafsson in der Waldkirche, Foto: (c) Thomas Fischer-Brüggemann

14:00 Uhr in der Waldkirche in Timmendorfer Strand: Das Duo Elisabeth Engdahl und Thomas Gustafsson widmete sich dem Jazz in der ungewöhnlichen Besetzung Kirchenorgel und Sopransaxophon. Gehaltener, tragender Jazz an der Grenze zur neuen Musik. Ich hätte dem Duo mehr Nachhall (eines weiten Raumes) gewünscht sowie ein zusätzliches Quäntchen an Leichtigkeit und improvisatorischer Freiheit. Die beiden spielten vorwiegend Eigenkompositionen sowie ein Werk Keith Jarretts und Joe Zawinuls. Vielleicht passend zur Örtlichkeit: eine Möglichkeit, kontemplativ meditierend in innere Welten abzutauchen.

Geburtstagsparty für Lars Danielsson, Foto: (c) Nicolaus Fischer-BrüggemannGeburtstagsparty für Lars Danielsson, Foto: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann

Während der folgenden Konzerte machte ich Pause am Niendorfer Hafen und trauerte ein bisschen dem Veranstaltungsort in der Evers Werft sowie dem kleinen „Beiboot“ nach, bevor ich mich schließlich zum fulminanten Abschluss, der Geburtstagsparty für Lars Danielsson wieder im Maritim einfand. Da waren sie nochmals (fast alle) auf der Bühne und rissen das Publikum von den Sitzen. Wäre nicht so viel Caecilie Norby dabei gewesen (fast meinte man, es würde der Geburtstag der Lebenspartnerin Danielssons gefeiert), hätte es auch mir an diesem letzten Abend von vorne bis hinten gefallen.

Alles zusammen: (Danke-)Schön war's, wunderbare, inspirierende Musik sowie großartige wie sympathische InterpretInnen. Und mit dieser Qualität sowie ein paar Verbesserungen in Organisation (Abläufe, auf die man sich verlassen kann, vielleicht durch einen zusätzlichen Schlechtwetterspielort; Herausnahme eines Konzertes wie dem von McCaslin aus dem Konzertblock; bessere Luft im großen Saal, genügend Essensvorräte in den Buden) und vielleicht sogar besserem Wetter steht einer leuchtenden Zukunft der JazzBaltica in Timmendorfer Strand nichts entgegen.


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