Ein Titel wie für ein Road-Movie aus den 70er Jahren. Staubiges Zelluloid, Handgeschriebenes, Aufbruch, Offenheit, Kampfgeist, die Ahnung von Freiheit in der Luft. Schwarz-weiß. Und elektrisch. Eine Doku.
„The Long Road To The Director's Chair“ (dt.: Der lange Weg zum Regiestuhl) ist die Dokumentation über ein Treffen von jungen Filmfrauen, Aktivistinnen und Publizistinnen in ihren frühen Jahren, die gesellschaftlich Einfluss nahmen, sich äußerten und verdient machten. Die das arrivierte effektive Medium Film wählten, um Respekt und Gleichstellung der Frau als kompetentes Lebewesen auch außerhalb von Küche, Herd und Ehebett zu fordern und zu kommunizieren in demokratischen Gesellschaften.
Vibeke Løkkeberg mit weiteren Frauen im Gespräch, (c) Norwegian Film Institute
Die jetzt gerade akuten neuen politischen Tendenzen zurück in solche alten Verhältnisse machen es auf bedauerlich notwendige Weise erfreulich, dass der Streifen wiedergefunden wurde, nach 50 Jahren in der Verschollenheit, und erstmals sichtbar ist. Zum Glück ist der Streifen ohnedies große Klasse.
Am 3. Januar 1970 öffnet das Kino Arsenal in Berlin Tiergarten, ein Saal, 175 Sitzplätze. Betrieben vom Verein „Freunde der deutschen Kinemathek“ mit u.a. Schauspieler und Filmemacher Manfred Salzgeber im Vorstand, entsteht hier während der Berlinale '71 das Internationale Forum des Jungen Films, eigenverantwortlich mit alternativem, links-bewusstem Programm.
Über das reine Filmprogramm hinaus ein Ort der Begegnung, Forum für Kommunikation, Positionierung und Zusammenarbeit, an dem im November 1973 beim Ersten Internationalen Frauenfilm-Seminar Filmemacherinnen aus verschiedenen Ländern zusammenkamen. Eines der ersten Filmfestivals für Filme der Frauenbewegung weltweit – der Seminar-Begriff stand wegen der finanziellen Förderung drauf –, zwischen New Hollywood und dem Nouvelle-Vague-Erbe de La France und dem deutschen „Filmverlag der Autoren“ mit Leuten wie Wenders, Bohm und Lilienthal. Et al.
Vibeke Løkkeberg hebt die Hand in einer Versammlung, (c) Norwegian Film Institute
Initiiert von den deutschen Filmfrauen Claudia von Alemann und Helke Sander, dokumentierte die norwegische Regisseurin Vibeke Løkkeberg das Festival mit ihrer 16mm-s/w-Kamera, führte lange Interviews mit jungen, leidenschaftlichen, unverarschbar positiv gestimmten Filmfrauen mit Durchblick über Arbeit, finanziellen und sozialen Status, ihre Rechte und also deren weitestgehende Abwesenheit. Konsternierende Berichte über offene sexuelle Übergriffe, das Bloßstellen von feministisch suspekten Lesbierinnen; verheiratete Frauenrechtlerinnen verunsicherten da schon weniger, es gab ja einen Ehemann, der das Sagen hatte. Ein freischaffender „male filmmaker“ in den USA bekam höhere Zuschüsse, wenn er Familie hatte, eine Filmemacher*n in der gleichen Position dagegen wurde herabgestuft. Das Weibliche an sich war Synonym für Inkompetenz. Die unumwundene Direktheit, mit der das im Film zur Sprache kommt, und dabei nicht elitäre Perspektiven, sondern Nahbarkeit entsteht, zählt zu seinen Stärken.
Dass ihn damals keiner zu sehen bekam, lag daran, dass es ihn nicht gab. Nach zahllosen gescheiterten Versuchen, Geld für die Post-Produktion zu beschaffen, gab man auf, räumte das ungesichtete Rohmaterial weg und vergaß, wohin. Bis neulich. Da wurde es nach Jahren in der Norwegischen Nationalbibliothek in Oslo wiedergefunden. Der Rest ist Geschichte, der Film erzählt sie.
Filmplakat, (c) Norwegian Film InstituteEine nostalgisch patinierte Version des Films, wie er vor 50 Jahren vielleicht entstanden wäre, haben Regisseurin Løkkeberg und Mitarbeiter:nnen nicht gemacht, erfreulicherweise, sondern eine formal und stilistisch moderne, abendfüllende Leinwand-Doku mit eigenem Anspruch, die es so in den 1970ern noch nicht gegeben hatte – gegenwartsrelevant wie historisch aufschlussreich, unaufgeblasen und angemessen unbescheiden.
Lagerungsbedingte Schäden des Bildmaterials sind nicht übertüncht, sondern offensiv als ästhetische Stilmittel genutzt worden – Risse, hustende Schläge, Zahlen und Symbole wie aus dem TV-Testbild nach Sendeschluss, Passagen mit lediglich Dialog auf schwarzem Grund wie beim Stummfilm. Störelemente, die auf die Geschichte des Films und seine „long road to the viewer's seat“ verweisen. Filmkunst, Baby. 6 Punkte von 5. Ja, schon klar. Und dennoch angemessen.


