Filmszene: (c) Franciska Seifert Eliassen

64. Nordische Filmtage Lübeck
Sister, What Grows Where Land Is Sick?

Ein magischer Film voller symbolhafter Mystik und surrealistischer Bilder einer sich verschärfenden Psychose. Die junge norwegische Regisseurin Franziska Seifert Eliasson hat mit diesem Low Budget-Film einen großen Wurf gelandet. Erzählt wird die wundersame Geschichte zweier Schwestern, die im hohen Norden des Landes Leben, wo die Natur und altes Wissen das Leben prägen.

Die jüngere Schwester Eira hat heimlich das Tagebuch ihrer älteren Schwester gelesen, in der diese ihre Wahrnehmung der Welt voller Abgründe beschreibt. So beginnt auch Eira ihre Umgebung mit anderen Augen zu sehen. Alles um sie herum entwickelt ein überraschendes Eigenleben. Die beiden jungen Schauspielerinnen überzeugen mit einer erstaunlichen Leistung und Tiefe in ihrem Acting. Wie die Regisseurin im Publikumsgespräch erklärte, „habe sie beide aufgrund ihrer Augen gecastet, denn Augen sind die Fenster zur Seele“. Dabei war die jüngere zunächst als schauspielerischer Laie sehr schüchtern, aber grandios gewachsen und immer selbstbewußter geworden in der Arbeit.

Die Regisseurin hatte ihre Idee zum Film, weil sie auch eine Schwester hat, die psychisch krank ist. Gleichzeitig war sie als Aktivistin und Natur-Liebhaberin interessiert an einem Projekt, das die Natur in Beziehung setzt zu uns als Individuum wie auch als Gesellschaft. Im Vorfeld hat sie selbst zum Beispiel eineinhalb Jahre in der Natur gelebt. Sie hatte sich auf den Lofoten selbst eine Hütte gebaut, die man jetzt als Besucher der Inseln im Nordatlantik besuchen und kostenlos bewohnen kann. Damals wie auch im Film ging es ihr immer um die Grenze zwischen Realität, Fantasie und Natur. Sie habe viel Respekt und Liebe für die Natur, was sich auch vielfältig in grandiosen Bildern im Film zeigt.

Filmszene: (c) Franciska Seifert EliassenFilmszene: (c) Franciska Seifert Eliassen

Obwohl sie nur sieben reine Filmtage hatten, sind der Regisseurin wunderbare und schier überbordende, teilweise wie Mosaike wirkende Bild-Sequenzen gelungen. Gepaart mit einer magischen Musik-Untermalung, die teilweise an Björk erinnert, welche sie als Referenz für ihren Film genutzt hat, aber auch ein Akkordion-Stück, live gespielt in der Natur, tragen zur fantastischen, kreativen Ausgestaltung dieses wunderbaren Streifens bei. Das Akkordeon wird dabei von einer berühmten russischen Musikerin gespielt, die wundersamerweise nur ein paar Kilometer von dem Heimatort der Regisseurin lebte. Sie singt in ihrem Lied, deren Text die Regisseurin zuerst nicht verstehen konnte, von einem Mädchen, dass sich selbst ertränken wollte.

So passt alles magisch zusammen. Vieles war ungeplant und ergab sich in der Improvisation oder wurde durch symbolhafte Bilder magisch aufgeladen. So hält Eira am Ende des Films ein Lamm im Arm, was man sowohl christlich als auch vorchristlich deuten kann. Es geht um altes Wissen, Hexen und Mystik der Natur, beschreibt die Regisseurin ihre Intension. Geholfen habe ihr aber auch ein kleines wunderbares Team. So hat ihre eigene Schwester die fantastischen Kostüme und Masken genäht, im Schlussbild sogar selbst im Kostüm getanzt. Ihr damaliger Freund war für die Kamera zuständig, aber einzelne Sequenzen ergaben sich einfach spontan beim Blick aus dem Fenster. Zum Beispiel eine Szene, wo ein Bauer sähend über ein Feld geht. Grandios auch das Schlussbild, wo eine lange rote Stoffbahn aus dem Fenster des weißen Elternhauses sich in der Natur verliert.

Ein wunderbar, kreativer Film voller Empathie, Liebe zur Natur und seinen Protagonisten, aber auch voller Magie und surrealer Bilder und einer ergreifenden Musik. Unbedingt sehenswert.

Sister, What Grows Where Land Is Sick? / Den siste våren / Sister, What Grows Where Land Is Sick? - norw. OF, engl. UT
Norwegen 2022, 80 min, Regie: Franciska Seifert Eliassen

Weitere Termine: Samstag, 5. November um 13:30 Uhr im Kolosseum und am Sonntag, 6. November um 10:00 Uhr im Cinestar Stadthalle

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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