Foto: (c) Holger Kistenmacher

The Residents auf 50th Anniversary Dog Stab! Tour auf Kampnagel
50 Jahre Underground - 50 Jahre Musik-Avantgarde

„Holding Up to the Underground since 1972“ leuchtet als rundes Video-Emblem aus der Zebra-gestreiften Bühnen-Deko hervor, bevor die skurrilen Maskenmänner der legendären US-Band die Bühne der großen K6 auf Kampnagel betreten.

Diesmal sind die vier Musiker (Gesang, Synthesizer, Drums uns Gitarre) nicht mit ihren bekannten Augapfelmasken ausgestattet, sondern tragen schräg gemusterte Anzüge mit Hut, sowie Gesichtsschals im gleichen Muster mit Brillen und zwei Lampen besetzt. Wie immer weiß der Besucher nicht, wer sich hinter dieser seltsamen Maskierung versteckt.

Die 1972 zeitgleich mit ihrem eigenen Plattenlabel „Ralph Records“ gegründete Band aus San Francisco, die für ihren eigenwilligen Mix aus Experimental-Rock, Elektronik, Avantgarde und E-Musik bekannt sind und über 60 Studio-Alben veröffentlicht haben, sind immer noch eine der größten Geheimnisse der Musik-Geschichte.

Eigentlich war der Auftritt zum 50. Jubiläum ja schon im letzten Jahr geplant, aber Corona kam dazwischen. Aber das überwiegend ältere bis schon angegraute Publikum auf Kampnagel ließ sich nicht abhalten, der unberechenbaren und oft als kuriose Combo des einzigartigen Karnevals des Chaos geltenden Show seine Aufwartung zu machen. Die Tour sollte einen Mix aus dem bereits 1978 aufgenommenen Album „Duck Stab/Buster & Glen“, das sie 2021 neu als „Duck Stab! Alive?“ remixten, sowie Material vom 2020er Album „Metal, Meat & Bone“ beinhalten.

Los ging es tatsächlich mit einer ziemlich verfremdeten Version der Hank Williams Nummer „Jambalaya on the Bayou“. Das Markenzeichen der Residents ist neben der Maskierung vor allem die bizarre Interpretation von Fremdmaterial wie Songs von Elvis Presley, George Gershwin, James Brown, Prince, den Beatles oder Stones - oft bis zur Unkenntlichkeit.

Und das Publikum bekam genau das, was nicht zu erwarten war, nämlich großartige Gitarren-Sounds mit konzertanten Synthesizer-Klängen, elektronisch verstärkte Drums und lustig veränderten Gesang. Mal grottentiefes Geschrei, wie bei „Die, Die, Die“, dann verzerrte Micky Mouse-Gesänge oder mit viel Echo und Hall belegte Gruselstimmen. Da wird schon einmal „God is thick“ skandiert, auch wenn darauf „ich bin krank, aber Gott ist noch kranker“ folgen.

Je nach Nummer (von „Hello Skinny“, „Bach is dead“ über „Boxes of Armageddon“, „Blue Rosebudes“ bis hin zum „Laughing Song“ oder „Bucheroo Blues“) gibt es ein Stimmen-Babel, kombiniert mit schräg-lustigen Videos im Hintergrund. Mal wirbelt psychedelisches, mal Kinder-, Puppen-Theater, dann wieder verzerrtes Menschenfleisch oder schräg lachendes Personal in Clowns-Masken über den Video-Screen. Dazu tänzelt der immer noch recht bewegliche Sänger über die Bühne, lässt die Arme flattern, während der grandiose Gitarrist sein Gerät in höchste Höhen treibt.



Wunderbares Bühnenlicht lässt den Zebra-Hintergrund dabei in immer neuen Farbkombinationen aufleuchten. Zwar ist die musikalische Besetzung relativ überschaubar, aber was die drei Musiker aus ihren Instrumenten zaubern und der Sänger in den verschiedensten Höhenlagen dazu beiträgt, erzeugt ein fast schon orchestralen Gesamt-Sound. Großartige Musik zwischen Theater- Film- oder Avantgarde-Musik.

Obwohl es von der geheimnisvollen Band keinerlei Ansagen oder Statements gibt, ist das Publikum begeistert und erstreitet sich durch seinen Jubel am Ende noch zwei Zugaben: „Diskomo“ und „Nobody laughs when they leave“. Genau so war’s. Niemand hat geweint oder gelacht, eher sich gefreut, endlich mal wieder die Möglichkeit gehabt zu haben, dieser exzellenten Band zu lauschen.

Wie schon das Rolling Stone-Magazin einst schrieb: Die „Residents“ gehören zu den 50 Bands, die man einmal live erlebt haben muss! Ich habe diese schräge Combo bereits zum zweiten Mal gesehen und würde mich freuen, wenn sie bald mal wieder in Deutschland auflaufen würde. Ein legendärer Abend, der viele Musikfreunde glücklich gemacht und dem Merchandising-Shop nach der Show noch eine volle Kasse gebracht hat.

The Residents in der Hamburger Kulturfabrik Kampnagel: Obsessionen, Wahnsinn und die kommende Apokalypse klangen nie besser!

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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