Yxalag in der Kulturwerft Gollan, Foto: (c) Elke Humbert

Live Music Now in der Kulturwerft Gollan
Für LMN - ein mitreißendes Benefizkonzert der Klezmer Band „Yxalag“

Klezmer, die Volksmusiktradition der osteuropäischen Juden, ist um die 500 Jahre alt. Die sie damals gestalteten hießen Klezmorim. In Lübeck gibt es davon eine Gruppe, die weithin bekannt geworden ist, es ist die Klezmer Band „Yxalag“.

Sie pflegt die Tradition, erweitert sie gleichzeitig und fasziniert damit bei jedem Auftritt, auch bei dem am Mittwoch, dem 9. Oktober im Jahr 2019. Im jüdischen Kalender, der nicht fixierte Daten hat wie der gregorianische, ist es das Jahr 5780 und der zehnte Tag des Monats Tischri. Für die Gläubigen ist es der Monat, mit dem das Jahr beginnt, an dem sie ihr Neujahrsfest mit einer Reihe von besonderen Tagen feiern. Es sind zehn Tage der Umkehr, die mit Jom Kippur abschließen, dem Versöhnungstag, der zugleich der höchste jüdische Feiertag ist.

Die Veranstalter des Benefizkonzertes in der Kulturwerft Gollan werden das nicht berücksichtigt haben. Wie sollten sie auch, denn dieser Hintergrund ist in keinem Kalender vermerkt und wurde erst durch den entsetzlichen Angriff auf die Synagoge in Halle ins Bewusstsein aller gerückt, durch eine Tat voller Zynismus und Judenhass. Sie steht diametral dem gegenüber, was an diesem Abend zu erfahren war, was von dem Vermögen zeugt, das Gemeinsame aller Menschen zum Klingen zu bringen und damit inneren Frieden zu stiften.

Denn „Live Music Now“, die von Yehudi Menuhin gegründete gemeinnützige Organisation, hatte zu diesem Abend eingeladen. Sie will durch Eintritts- und Spendengelder ihr Anliegen finanziell sichern, Menschen die besondere Wirkung von Musik spüren und erleben zu lassen, die sonst nicht in der Lage sind, Musikaufführungen zu besuchen, Menschen in Hospizen oder Seniorenheimen, in Krankenhäusern oder Kindergärten, auch in Gefängnissen.

Die Lübecker Sektion konnte diesmal den Charme des Industriegebäudes an der Einsiedelstraße nutzen, in dem nahezu dreihundert Gäste den besonderen Klängen lauschten. Mit solchen Veranstaltungen will LMN Einblick in ihre Arbeit geben, die sich in der Abgeschiedenheit vollzieht. Dieses Anliegen fördert zugleich die sorgfältig ausgesuchten Musiker, denn es ist eine wertvolle Ergänzung ihres Studiums, wenn sie an außergewöhnlichen Orten außergewöhnliche Erfahrungen machen können. Sie statten mit ihren Auftritten gern ihren Dank ab.

„Yxalag“ trat auf, vier Männer von rechts mit Klarinette und Posaune, Gitarre und Kontrabass, von links drei Frauen, drei Geigerinnen. Die eine, Nele Schmidt, spielt im „Dogma Chamber Orchestra“, einem Ensemble, das einen Preis bei „Opus Klassik“ für seine „Sinfonische Einspielung von Musik bis inkl. 18. Jh.“ erhält. Die beiden anderen, Juliane Färber und Kayako Bruckmann haben Stellen in etablierten Orchestern, die eine im Berliner Rundfunk-Sinfonieorchester, die andere bei den Lübecker Philharmonikern. Unter den Männern ist es Uli Neumann-Cosel, der Kontrabassist, der zu den Münchner Philharmonikern gehört. Der serbische Posaunist Luka Stankovic ist in Kiel und Lübeck Orchesteraushilfe, außerdem, wie der Gitarrist Nicolas Kücken, in Lübeck und an weiteren Orten als Instrumentalpädagoge tätig. Jakob Lakner schließlich, der Klarinettist, prägt die Klezmer Band nicht nur als Spiritus Rector durch viele eigene Kompositionen und Arrangements, er gehört außerdem zum Monaco Swing Ensemble.

Yxalag in der Kulturwerft Gollan, Foto: (c) Elke HumbertYxalag in der Kulturwerft Gollan, Foto: (c) Elke Humbert

„Yxalag“ besteht also aus hochqualifizierten Musikerinnen und Musikern. Das erklärt ihr staunenswertes technisches Können, die virtuose Vielseitigkeit und ihr eindrucksvolles Zusammenspiel, alles gewürzt mit hinreißender Spielfreude. Seit elf Jahre kennen sie sich, seit ihrem gemeinsamen Studium an der Lübecker Musikhochschule. Ihr Förderer war Professor Bernd Ruf, selbst Kenner und Könner der Klezmermusik, der sie sich mit Enthusiasmus widmen. Inzwischen sind sie so eigenständig, dass sich sogar eine Entwicklung ablesen lässt, die vier CD-Produktionen belegen. Dieses Konzert basierte nun auf ihrer letzten, 2018 erschienenen Einspielung. Der Titel „Fun Tashlikh“ nutzt dafür lautmalerisch das englische Fun mit dem hebräischen Sühnebegriff im Titel. Das verrät zugleich das innere Band der zwölf fantastischen Musikstücke. Sie verweisen auf die Vorbilder der Band, auf Naftule Brandwein oder Dave Tarras, dazu auf eine große stilistische Bandbreite. Erstaunlich, was aus dem Traditionellen gemacht wurde.

Davon war im ersten Teil einiges zu hören, unter anderem „Happy Nigun“, das chassidische Klagegebet, das an Velvel Pasternak erinnerte, den vor kurzem erst verstorbenen Sammler dieser Musik. Ein Traditional ist „A Nakht in Gan Eden“, eine Nacht im Garten Eden. In der „Yankel‘s Suite“ mit „Hora“, dem Kreistanz vom Balkan im Walzertakt, dem melancholischen „Melody“ und der ukrainischen Polka „Freyleks“ nutzte Jakob Lakner die Möglichkeit, alle Finessen des Ensembles vorzuführen. Grandios im ersten Satz der zunächst quasi eine Melodie suchende Kontrabass, der sich in die Mehrstimmigkeit steigert bis die Klarinette hinzutritt und mit den drei Violinen ein rasantes Duett eingeht. Im zweiten Satz steht die Gitarre im Vordergrund, die nach Spanien blickt, bis die Klarinette mit ihrem schluchzenden Melos der Schwermut Ausdruck gibt. Das rhythmisch vertrackte Finale schließlich scheint die Klänge zerstören zu wollen, bis im rasanten Unisono sich alle wieder treffen. Das alles deutet auf die Weltoffenheit dieser Musik hin, die in staunenswerter Manier ihre vermeintlich engen Grenzen öffnet.

Nach der Pause erweitern Stimme und die Bechertrommel Doumbek, später ein Akkordeon die Klangräume, auch geografisch. Das Arabische wird mit dem wirbelnden Klangspielen des Schlaginstruments und den kreisenden melodischen Wendungen und den Glissandi der Violinen lebendig. Der Posaunist führt in seine Heimat mit dem „Piperkovo Kolo“, indem Violine und Gitarre stimmungsvoll einführen. Immer wieder beeindruckt das Ensemble mit der dynamischen Gestaltung, mit der Präzision ihres Spiels und der klanglichen Nuancierung, besonders aber mit ihrem überbordenden wie mitreißenden Temperament, das westliche Jazz- oder Swing-Elemente einmischt. Zugaben beendeten den Abend, den das gemeinsam mit dem Publikum „Shalom chavarim“, die Bitte um Frieden, verklingen ließ.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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