Der eine ist ein Abenteurer, hat sich dabei schon in die unwirklichsten Gegenden dieser Erde gewagt und in brenzlige Situationen begeben. Der andere reiste für sein Leben gern, und für den geborenen Reisenden ist das Reisen ein bedrängendes Laster und das schon seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Und die dritte im Bunde ist nicht nur beruflich weltweit unterwegs gewesen, sondern kann wie wir alle kaum der Versuchung widerstehen, auf Reisen das eine oder andere Mitbringsel in den Koffer zu packen.
Beginnen wir mit Dennis Gastmann, den ich hier schon mehrfach vorgestellt habe. Er hat als Schriftsteller, Filmemacher und Guerilla-Korrespondent alle Kontinente bereist. So spielte sein erster Roman auf den indischen Andamanen-Inseln und erzählte von armen Wanderarbeitern und ihren schwimmenden Elefanten (Dalee). Jetzt hat er ein neues Buch voller abstruser Reportagen zusammengestellt, die leuchtende, berührende, bisweilen wahnwitzige Geschichten und Erlebnisse erzählen - rund um jene Kugel, die der liebe Gott für uns an den Nachthimmel gehängt hat: den blauen Lampion.
Gleich im Einstiegskapitel reist er nach Indien nach Varanasi und an den für Hindus heiligen Ganges. Dort trifft er auf den geschäftstüchtigen Ranjit, der ihn auf seiner Pilgerreise nach Prayagraj, dem vormaligen Allahabad begleitet, um ihn beim größten Fest der Menschheit, der alle 10 Jahre stattfindenden Kumbh Mela mit Millionenen von Pilgern, in das goldene Zelt des Oberhaupts der Hijra, des dritten Geschlechts zu schmuggeln. Und so landet er auf Knien vor Laxmi Narayan Tripathi, die ihm zunächst mit Gefängnis droht, ihn dann aber als Gold behängte Transfrau betört, aber auch zu Tode erschreckt. Die äußerst selbstbewußte Diva, die sogar im indischen Parlament saß und Salman Rushdie in New York getroffen hatte, sah sich selbst als „Göttin im Sari“. Gleichzeitig bezeichnet sie sich aber auch als „Kinnar“, halb Mann, halb Frau und damit gefürchtete Anführerin des Ordens des dritten Geschlechts, selbst wenn sie sich gleichzeitig „Hijra, Hijra-Guru, Homo, Transe, Eunuch oder einfach perfect diva, die vollkommene Frau der Träume“ nennt.
Schlussendlich gewährt sie ihm sogar ein Interview und macht sich lustig über den schüchternen Reporter, der sie mit Geld bestechen wollte für eine Story. Und entlässt ihn großzügig mit einem Gastgeschenk: ein paar Reiskörner und eine Rupie.
Richtig gefährlich wurde es für ihn aber in Russland, wo er in Putins früherer Grundschule recherchiert. Dort werden heute bereits die ganz Kleinen an der Kalaschnikow ausgebildet. Bei viel Wodka und sauren Gewürzgurken muss er sich davor in der heißen Sauna voller Qualm mit Birkenzweigen auspeitschen lassen. Überhaupt wird klischeehaft, unglaublich gesoffen in seinen Geschichten. Wenn er dann auch noch in der Psychiatrie über die Therapie von Alkoholsüchtigen berichten möchte, kann es schon brenzlig werden, denn der Geheimdienst sitzt stets hinter der nächsten Tür, und nach „Nowitschok“ fragt man dann besser nicht. Außerdem bekommt er beim Abschied nach fünf Stunden Befragung noch den wichtigen Tipp mit auf den Weg: „Widmen Sie sich lieber wichtigeren Dingen, anstatt ihre Zeit mit nutzlosen Recherchen zu verschwenden. In Russland gibt es keine Alkoholprobleme“.
Weitere Stories beschäftigen sich mit Goldsuchern in Australien, die er durch die Wüste begleitet, genau so wie die Kutten tragenden Geldeintreiber aus dem „Kloster der Kassierer“, die in Andalusien auf wenig gottesfürchtiger Mission unterwegs sind und säumige Zahler mit Gewalt und Schlimmeren bedrohen, um an das Geld ihrer Klienten zu kommen. Entspannter wird es dann aber im hohen Norden von Finnland, wo er über die schräge finnische Eigenheit des Tangotanzens berichten möchte. In Helsinki trifft er auf den populärsten Tanzlehrer des Landes. Der ist nicht nur ein nationaler Mythos, sondern auch ein ziemlicher Kotzbrocken, der sich seine Unterrichtseinheiten großzügig bezahlen lässt.
Des weiteren philosophiert Gastmann in Taiwan mit einem Dissidenten oder rollte in Kalifornien durch ein „Drive-thru-Funeral“. Rund um den Erdball gehen seine abenteuerlichen bis wahnwitzigen Reisen: von New York bis nach Palm Springs, von Bali über Bangkok bis Buenos Aires oder nach Nairobi, Johannesburg und Swakopmund. Dabei muss er am Ende beim Frühstück mit seinem vierjährigen Sohn dann doch zugeben, dass er zwar wohl schon über 100 Länder der Erde bereist hat, aber noch nie in Dänemark war, obwohl er nicht weit von der Grenze entfernt wohnt. Auch auf dem Oktoberfest in München war er noch nie. Aber wie es bei einem echten Globetrotter so aussieht, (kann ich privat bestätigen), gibt es immer noch exotische Ziele, wie Machu Picchu in Peru oder die Große Mauer in China, wo er noch nicht war. Aber so lange sich der blaue Lampion noch dreht, wird er diese Ziele wohl auch noch erobern.
Dennis Gastmann: Der blaue Lampion, Rowohlt-Verlag, September 2024, 270 Seiten.
Mein zweiter Autor ist ein englischer Schriftsteller, der das Reisen liebte. Aldous Huxley ist untrennbar mit seinem berühmtesten Roman „Schöne neue Welt“ verbunden, war aber gleichzeitig ein stetig Reisender, der unzählige charmante und angenehm ausschweifende Essays über seine Reisen in den 1920er Jahren geschrieben hat. „Mit „Along the Road“ war schon 1925 ein sowohl witziges wie bissiges Buch über seine Reisen erschienen, das aber erst jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt. Dabei waren seine „Notes and Essays of a Tourist“ im englischsprachigen Raum sehr erfolgreich und wurden immer wieder aufgelegt.
Natürlich war Huxley privilegiert und reiste als Gentleman durch Europa. Selbst zu seiner Zeit war das Reisen aber schon ein wenig in Verruf gekommen, denn es war schon lange kein Privileg der „happy few“ mehr, denn selbst in den letzten Winkeln der Welt, sei man auf Seinesgleichen getroffen. Huxley war ein Genussreisender, ein Liebhaber von Natur, Kunst und Kultur. Gleichzeitig empfahl er, doch lieber zu Hause zu bleiben, denn Reisen könne ja auch ganz schön langweilen, besonders wenn man sich mit Hunderten Gleichgesinnten auf dem Marktplatz von Venedig drängelt.
Trotz allem liebte er das Reisen, vor allem in den warmen, sonnigen Süden. Kein Wunder, wenn man aus dem verregneten und kühlen England kommt. Im Gegensatz zu den deutschen Touristen, über die er sich lustig macht, wenn sie schwitzend und mit Rucksack schnaubend am Wegesrand stehen, war er mondän mit dem Automobil unterwegs, selbst wenn er aufgrund einer Augenschwäche selbst gar nicht fahren konnte, sondern sich von seiner Frau durch die Gegend chauffieren ließ.
Als Kulturfreund klappert er Museen, Theater und berühmte Städte ab, trotzdem war er kein klassischer Bildungsreisender. Auch schreibt er keinen Reiseführer, sondern lästert eher über den allgegenwärtigen Baedeker, dessen Bewertungen von Sehenswürdigkeiten er meist schmäht. Seine Essaysammlung eignet sich aber auch nicht unbedingt als Reiseführer, dafür schreibt er oft zu unsachlich, aber abschweifend, begeistert und schwärmerisch, teilweise sogar recht angriffslustig und sarkastisch. Trotzdem kann man es allen Leute mit Recht ans Herz legen, die wie er liebend gerne Reisen. Selbst wenn ihm mal langweilig wird - und das wird ihm öfters auf Reisen - dann liest er viel und ausgiebig. Dabei vergnügt er sich überraschenderweise nicht mit Romanen oder anderen Reiseschriftstellern, sondern nimmt immer einzelne Bände der „Encyclopædia Brittanica“ mit. Seine Wissbegierde endet nie, selbst wenn er sich eingesteht, das es sich oft um unnützes Wissen handelt. So beschreibt er ausführlich, wie er sich bei einem Wintereinbruch im Apennin (Nacht in Pietramala) mit dem fernliebendem Thema der Tieranbetung beschäftigt.
Wortgewandt und ausschweifend lässt er sich über die flache niederländische Landschaft aus, schwadroniert über den Massengeschmack seiner Mitmenschen bezüglich Malerei und Architektur, aber bekennt sich als großer Liebhaber der Musik und des Tanzen. Gleichzeitig fürchtet er totalitäre Ideologien, die ihn sogar aus seinem geliebten Italien treiben, als sich abzeichnet, dass sich Mussolini und die Faschisten das Land einverleiben. Schlussendlich floh er mit seiner Familie sogar nach Kalifornien. Der wunderbare Band mit seinen sehr persönlichen Reisebeschreibungen erweist sich als „ein Buch für alle Liebhaber des Reisens“, eine sinnenfrohe Schule des Sehens und untermauert seine Funktion als „einer der hellsichtigsten Köpfe seiner Zeit“. Gleichzeitig überzeugt die deutsche Ausgabe mit der sehr eleganten Übersetzung durch Willi Winkler, der darüber hinaus ein sehr erhellendes Nachwort geschrieben hat.
Aldous Huxley: Along the Road, Rowohlt Verlag, Berlin, Oktober 2024, 288 Seiten.
Als kleines aber feines Schmankerl möchte ich noch das schmale Büchlein von Doris Dörrie empfehlen, die „aus dem Handgepäck einer Reisenden“ berichtet. In „Die Reisgöttin und andere Mitbringsel“ erzählt sie von ihren unzähligen Reisen durch die weite Welt im Allgemeinen, aber über die teils absonderlichen Souvenirs, die sie unterwegs eingesammelt hat im Besonderen. Eigentlich ist die in Hannover geborene Schriftstellerin hauptsächlich durch ihre filmischen Geschichten bekannt. Wie in dem Film „Kirschblüten - Hanami“, der in Japan spielt und mit Hannelore Elsner und Elmar Wepper hervorragend besetzt war, war sie häufiger in dem ostasiatischen Land und hat dort so einige besondere Mitbringsel entdeckt, wie einen schönen Teller oder eine Shakuhachi, eine lange Flöte, die sie in Tokyo gekauft hat, nachdem sie in der Nähe des havarierten Atomkraftwerkes den Film „Grüße aus Fukushima“ gedreht hatte.
Des Weiteren finden sich eine Wrestling-Maske aus Mexiko, eine Spinne von Louise Bourgeois oder ein alter Teppichklopfer aus Bayern unter ihren besonderen Fundsachen. Nie kann sie der Versuchung widerstehen, etwas besonderes von ihren Reisen in den Koffer zu stecken. Gleichzeitig lässt sie uns Leser an ihren oft exotischen Reisen teilhaben und erzählt auf ihre unverwechselbar persönliche Art vom Leben, Schreiben und Reisen.
Doris Dörrie: Die Reisgöttin und andere Mitbringsel, Diogenes Tapir, Zürich, 2024, 110 Seiten.