Nachdem sich unser Vorzeige-Filmregisseur Wim Wenders in seinem Film „Anselm“ schon in aller epischen Breite und mit viel filmischer Verklärung über den, ohne Frage, mit zu den wichtigsten Gegenwartskünstlern zählenden Groß-Künstler in allen Belangen, Anselm Kiefer, mit einem wunderbaren, wenn auch ziemlich kritiklosem Streifen geäußert hat, versucht es jetzt erneut ein anderer Großer der Kunst und Kultur, nämlich der Literat Karl Ove Knausgard.
Mit „Der Wald und der Fluss“ versucht der norwegische Schriftsteller und Bestseller-Autor Knausgard, der mit seinem sechs-bändigen Zyklus „Min Kamp“ (2009 - 2011) heute schon zu einem Klassiker des autofiktionalen Schreibens geworden ist, dem mythischen Hintergrund des Kunstschaffens von Anselm Kiefer auf den Grund zu gehen.
Ausgangspunkt war der Auftrag des New York Times Magazine für einen Artikel über den deutschen, in Frankreich lebenden Ausnahmekünstler, der weltweit, aber auch besonders in den USA überaus populär und gefragt ist. Dafür hat er den Medien-scheuen Künstler über mehrere Jahre besucht und beobachtet. Er war eingeladen zu verschiedenen Anlässen, wie Ausstellungen, Preisverleihungen und Atelier-Besuchen in seinen riesigen Wohn- und Arbeitsräumlichkeiten bei Paris und seinem Freilicht-Kunst-Park Barjac in Südfrankreich. Er fuhr mit Kiefer zusammen sogar durch den Schwarzwald, nach Donaueschingen, wo Kiefer geboren und aufgewachsen ist zwischen dunklen Wäldern und kleinen Dörfern. Er wurde hofiert, umarmt und wie ein bester Freund behandelt. Bei Gala-Essen durfte er direkt neben Kiefer an der Tafel sitzen. Als er aber nach drei Jahren den Artikel immer noch nicht fertig gestellt hatte, wurde er bei einer Einladung zur Ausstellung in der Londoner White Cube Gallery an den Katzentisch platziert, während ihn Kiefer anscheinend nicht einmal erkannt hat.
Dabei zeigte sich Knausgard stets sehr beeindruckt von der immensen Größe, Wucht und Aussagekraft der gigantischen Werke von Kiefer, den er erstmals bei dessen großen Retrospektive in London 2014 kennen gelernt hatte. Die riesigen, mit Mythen aufgeladenen Bilder und Skulpturen ließen ihn förmlich verstummen. Er hatte das Gefühl, die Welt an sich zu sehen, wie sie ohne andere ist. „Es gibt Menschen, die auf solche Weise bekannt sind, dass man niemals damit rechnet, ihnen zu begegnen, sie scheinen in einer anderen Welt zu existieren“. Dementsprechend groß war sein Respekt und der Wunsch, mit Kiefer über seine Kunst zu sprechen. Mit Intellekt und großem Bemühen, versucht er zu verstehen, woraus sie ihre Inspiration schöpft. „Wie können Bilder ohne Menschen aufgeladen sein mit dem Menschlichen? Wie kann eine leere Landschaft aufgeladen sein mit Geschichte und wie sieht sie eigentlich aus, die Beziehung zwischen der Kunst und dem Künstler?
Auf all diese Fragen hatte sich Knausgard Antworten erhofft, aber Anselm Kiefer, der meist lieber seine Assistentin Waltraut Forelli mit dem Autor sprechen ließ, inszenierte sich dafür selbst als arbeitswütigen Groß-Künstler, der mit Hubwagen, Stroh, Blei und Flammenwerfer an seinen gigantischen Bildern arbeitet oder demonstrativ auf dem Fahrrad durch sein riesiges Atelier radelt. Bei Veranstaltungen und Ausstellungen war er stets von seiner Entourage aus einem ewig gleichen Hofstaat aus der Kulturszene umgeben und zeigte sich als naiv immer nur um sich selbst kreisende Person, die so scheinbar gar nichts mit dessen zeitlos archaischen Bildern zu tun hatte. Kaum zu Ernsthaftigkeit fähig, erweist er sich als kichernder, dauernd Witze reißender Geck, dem nicht an einer intellektuellen Auseinandersetzung gelegen ist. „Kiefer war leicht auszumachen in seinem weißen Hemd und anhand seiner lebhaften, extrovertierten Körpersprache“. Kiefer ist sicherlich kein Intellektueller, sondern ein Macher, der mit seiner Kunst Menschen berührt, aber auch Millionen macht. Privat-Flugzeug, Helikopterflüge und gigantische Wohn- und Arbeitsräumlichkeiten mit diversen für ihn arbeitenden Assistenten sprechen eine eigene Sprache.
So kommt Karl Ove Knausgard doch am Ende zu einem ernüchternden Fazit: „Kiefers Kunst wird außerhalb geschaffen - außerhalb dessen, was er sagt, was er ist - sie ist etwas, in das er hineingeht, ein Ort. Der Ort, in den er hineingeht, wenn er Schicht auf Schicht aus Farbe, Blei, Strom, Asche auf eine Leinwand aufträgt. Ein Ort der in ihm und außerhalb von ihm ist. Ein Ort, der Ende des Krieges entstand und nun schon seit fünfundsiebzig Jahren hier ist. Ein Ort, an dem Mythologie, Geschichte, Religion, Literatur, Dinge und Landschaften zusammengeführt werden, und der Sinn, der dabei entsteht, ist unendlich, denn er wird von jedem Einzelnen und jeder Einzelnen aktiviert, der und die ihn sieht“.Knausgard schreibt schonungslos ehrlich über Kiefer, so schonungslos wie er auch über sich selbst schreibt. Dabei gelingt ihm ein Porträt, das den Künstler etwas entzaubert, aber der Kunst dieses genialen Künstlers seine verdiente Ehre erweist. Freunde werden die beiden sicherlich nicht mehr. Selbst wenn sich Kiefer später bei Knausgard artig bedankt für den Artikel, der nach 5 Jahren dann doch noch fertig wurde. „Lieber Karl Ove, schrieb er. Ich mochte den Text. Wann sehen wir uns wieder? Nicht die Haare schneiden lassen! Anselm!“
Das Buch von Karl Ove Knausgard: "Der Wald und der Fluss. Über Anselm Kiefer und seine Kunst", das mit wunderbaren Fotos, Bildausschnitten, Fotos und wunderschönen Aquarellen von Anselm Kiefer bestückt ist, hat 188 Seiten und ist November 2023 im Luchterhand-Verlag erschienen und kostet 25 Euro.
Das Buch ist in den inhabergeführten Buchhandlungen Belling, Prosa, Buchfink, Arno Adler, Langenkamp, maKULaTUR, Störtebeker, Buchstabe und Bücherliebe erhältlich.
Filmkritik: Wim Wenders neuer Film: Anselm - das Rauschen der Zeit