Foto: (c) DCM Film / Road Movies / Ruben Wallach

Wim Wenders neuer Film
Anselm - das Rauschen der Zeit

Bevor die 67. Nordischen Filmtage in Lübeck losgehen, muss ich noch einen neuen Film, der zur Zeit im Filmhaus läuft, empfehlen.

Es geht um das Werk zweier unserer größten Künstler der Gegenwart: Einerseits der großartige Regisseur Wim Wenders, der durch Filme wie Paris-Texas, Himmel über Berlin oder seine Dokumentationen über den Buena Vista Social Club auf Kuba oder den genialen Fotografen Salgado weltberühmt geworden ist und andererseits den Maler und bildenden Künstler Anselm Kiefer, der mit seinen monumentalen Gemälden, riesigen Installationen und Skulpturen sowohl für Diskussionen als auch für Euphorie in der Kunstwelt gesorgt hat.

Foto: (c) DCM Film / Road Movies / Wim WendersFoto: (c) DCM Film / Road Movies / Wim Wenders

Beide sind Trümmerkinder, geboren am Ende des Zweiten Weltkrieges und mit der Ahnung aufgewachsen, dass ihre Eltern etwas Schreckliches verschweigen. Dementsprechend arbeitet sich Anselm Kiefer seit Jahrzehnten an den Schrecken des Krieges und seinem Grauen ab. Beide Künstler kennen sich schon sehr lange und haben zum Beispiel 1991 vierzehn Tage zusammengesessen und intensive Gespräche geführt. Dann zog Kiefer fort in den Odenwald und Wenders ging zum Filmemachen in die USA. 30 Jahre später haben sie jetzt endlich das Projekt durchgezogen und zwar teilweise in 3D.

Aber zuerst ist Wim Wenders nach Barjac in Südfrankreich gereist, um sich den dortigen Skulpturenpark und das gigantische Kunstgelände, das Kiefer dort hat entstehen lassen, anzuschauen. In dem parkähnlichen Gebiet, wo früher eine ehemalige Seidenspinnerei gestanden hat, sind jetzt begehbare Tunnel und künstlerische Labyrinthe entstanden, wie auch ausufernde Skulpturen, wie weiße Kleider ohne Körper, die in die Landschaft fließen oder wankende Beton-Stelen, die wie Hochhäuser aussehen. Unter anderem hat Wenders auch dort in Barjac, wo Kiefer lebt und arbeitet an seinem sehr persönlichen Porträt des Freundes und Künstlers gedreht.

Foto: (c) DCM Film / Road Movies / Wim WendersFoto: (c) DCM Film / Road Movies / Wim Wenders

Der gesamte Film ist sowohl realistisch vor Ort mit Kiefer persönlich entstanden, aber auch mit Hilfe von inszenierten Teilen, wo zum Beispiel der Großneffe von Wenders das Kind Anselm Kiefer darstellt, wie er in kurzen Hosen durch zerstörte Städte und Trümmerfelder läuft. Dazu schneidet Wenders dokumentarisches Material aus der Nachkriegszeit und Szenen, in dem der Sohn von Anselm Kiefer den Vater als jungen Künstler darstellt. Das war die Zeit, wo Anselm Kiefer bei Joseph Beuys in Düsseldorf als Meisterschüler an der Kunstakademie studierte und mit seiner Aktionskunst für Provokation sorgte.

Er zeigte an unterschiedlichsten Stellen in Europa den sogenannten Hitler-Gruss, um darauf aufmerksam zu machen, dass in den Wirtschaftswunderjahren in Deutschland die Schuld und Gräueltaten schnell wieder unter den Teppich gekehrt wurden. Es gab Leute, die ihn als Neonazi beschimpften, was natürlich völlig absurd war. Denn Anselm Kiefer arbeitet sich bis heute an den Deutschen und ihren Kriegen ab, genauso wie er sich mit Gedichten von Paul Celan oder Ingeborg Bachmann befasst oder ganz allgemein die Mythen und Mysterien deutscher Geschichte in Kunst verwandelt.

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Man sieht Anselm Kiefer in dem Film mit dem Fahrrad durch die gigantischen Hallen seines Ateliers südlich von Paris fahren, wo er riesige Leinwände auf Rollen durch die Gegend schiebt oder seine Bilder mit dem Flammenwerfer traktiert oder auch mit flüssigem Blei übergießt. Alles erscheint überdimensioniert und überschreitet sämtliches Normalmaß, was seine Betrachter in scheue Menschen verwandelt, die sich dem Werk mit Andacht und Ehrfurcht nähern. Für seine Bewunderer gleicht Kiefer einem modernen Atlas, der die deutsche Geschichte, die Schuld, das Menschheitsverbrechen des Holocaust, stellvertretend für eine in Verleugnung lebende Gesellschaft auf seinen Schultern trägt.

Das ganze zeigt Wim Wenders in ruhigen langen Kamerafahrten, untermalt von Texten und Musik und Dokumentarmaterial. Durch die 3D-Technik werden die immensen Ausmaße der Hallen und der darin befindlichen Kunst besonders sichtbar. Dazu wird mit neutönender Musik die rustikale Kunsttechnik von Kiefer gezeigt, wenn er die Leinwände aus Öl, Erde, Blei, Pflanzenteilen und Stroh flambiert oder mit heiserer Stimme Selbstgespräche führt, wenn er über Paul Celans Gedichte sinniert. An einer Stelle sagt Kiefer, er habe dem drückenden Schweigen der Nachkriegsjahre eine Stimme geben wollen.

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In einem Interview antwortet Wim Wenders auf die Frage, ob er einen eigenen Kiefer besitze: „Nein, ich hätte gar keinen Platz für einen echten Kiefer. Er hat mir einmal eine schöne Sonnenblume geschenkt, nein, keine echte, sondern eine aus Fiberglas. Ich habe genügend echte Kiefer gedreht und erlebt und mit diesem Film auch sozusagen einen echten Kiefer hingelegt, in dem der Zuschauer wirklich in Anselms Welt eintauchen kann. Alles was man sieht, ist er und ich durfte es mit meiner Kamera filmen, die so viel mehr von ihm gesehen hat, als jede andere Kamera zuvor. Deswegen ist mir der Film der beste Ersatz für einen echten Kiefer“.

Der Film „Anselm - Das Rauschen der Zeit“ läuft momentan in Lübeck im Filmhaus.



Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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