Es gibt die ganz Großen im Pop-Rock-Geschäft, die seit Jahrzehnten Musikgeschichte schreiben, Millionen von Fans begeistern und andere Musiker/innen beeinflusst haben. Bob Dylan ist so einer, hat sogar den Literatur-Nobelpreis bekommen, oder die Rolling Stones. Doch es gibt auch andere Bands, deren Einfluss, musikalische Einzigartigkeit und Charisma mindestens genau so hoch eingeschätzt werden muss.
Depeche Mode sind das zum Beispiel für die Elektro-Wave-Synthi-Pop Musik oder die legendäre Band Steppenwolf mit ihrem berühmten deutschstämmigen Sänger John Kay und ihrem Blues-Hart-Metal-Rock. Beide sind seit Jahrzehnten unterwegs und begeistern Musikfreunde weltweit. Also Zeit, diese Legenden der Musikgeschichte auch in Büchern zu würdigen.
Während John Kay und seine Formation Steppenwolf bereits durch das geniale Stück „Born to be wild“ aus dem Kultfilm „Easy Rider“ in den 60er Jahren berühmt wurden, gelang den Elektro-Rockern von Depesche Mode der Durchbruch erst in den 80er Jahren, als die ersten Synthesizer auch die Rockmusik eroberten.
Der Belgier Theo De Vos (1955) ist seit langem Hardrock-Fan, vor allem von Steppenwolf, die er 1969 erstmals in Belgien erleben durfte. Aber ganz besonders hat es ihm die Lebensgeschichte von John Kay, dem Kopf der Band angetan, der eine wahre Odyssee hinter sich hatte, bevor er einer der Rock-Heroen wurde. Sein akribisch recherchiertes Buch „John Kay - From the Barbed Wire to Steppenwolf - Not always an easy Ride“ blickt weit zurück in der Geschichte und ist bisher leider nur auf flämisch und englisch erschienen.
Alles beginnt in Ostpreußen an der Ostseeküste im ehemaligen Tilsit gegen Ende des 2. Weltkrieges. Im Juli 1943 hat der Soldat Fritz Krauledaitis nur ein paar Tage Urlaub, bevor er wieder in den Kampf an die Ostfront gegen Russland muss. Die Zeit nutzte der Oberfeldwebel nicht nur zur Erholung vom Krieg, sondern heiratete auch seine geliebte Frau Elsbeth Zimmermann, die da schon schwanger war. Allerdings sollte er seinen Sohn nie lebend sehen, denn Fritz Krauledaitis verlor schon wenige Wochen später sein Leben an der Front.
Anfang 1945, als die russische Armee immer näher rückt, muss auch Elsbeth mit ihrem dann acht-monatigem Kind, dem Sohn Joachim fliehen. Sie landet in Thüringen, in Arnstadt, wo zwar zunächst die Amerikaner das Sagen haben, dann aber bald die Russen einzogen, um die DDR zu gründen und den Eisernen Zaun zum kapitalistischen Westen hoch zu ziehen. Also mussten Mutter und Sohn unter Lebensgefahr im Jahr 1949 erneut fliehen, um in den freien Westen zu gelangen. Mit fünf Jahren kroch der damals kleine Joachim mit seiner Mutter unter dem Zaun durch, während um ihn herum andere Flüchtlinge erschossen oder aufgegriffen wurden.
Nach weiteren Zwischenstationen in Hannover siedelten sie dann nach Kanada rüber. Dort begann der junge Mann, der Zeit seines Lebens unter einer starken Augenkrankheit litt und deshalb früh schon in der Schule gemobbt wurde, seine große Liebe zur Musik zu entwickeln. Angekommen im Jahr 1958 in Toronto, wo er mit seiner Mutter und seinem Stiefvater landete, begann er als Teenager, seinen Vorbildern wie Little Richard oder Elvis Presley nachzueifern und spielte erste Liedchen vor dem Spiegel auf seiner ersten Gitarre. Er begann, seinen Traum zu leben.
„So many times when young people have a dream, they are often told how unrealistic their dreams are. And so we often kill something in spirit of those young people when we try to talk them out of things that are important to them. In my case, even if it was a long shot and it had risk involved, I’m one of the lucky ones who saw his dream come true. So, yes, I realize how fortune I am.“ (John Kay, Brüssel, 1998.)
Ja, John Kay hatte tatsächlich Glück. Bereits 1965 hatte er seine erste Band, die Sparrows, mit denen er in Kalifornien auftrat, wohin es ihn aus Kanada gezogen hatte. Er machte die Bekanntschaft mit Neil Young und wenig später traf er seine Frau Jutta Maue, die ebenfalls aus Deutschland stammte und 1962 nach Kanada emigriert war. Dann waren sie mitten drin in der Hippie-Ära von Kalifornien, und seine damalige Band spielte mit sämtlichen Größen der Zeit, wie den „Grateful Dead, Country Joe and the Fish, den Doors oder Canned Heat“. Aber wie meistens führte der Erfolg auch zu Ärger und Streit unter den Musiker-Kollegen, Drogenprobleme und Flugangst sorgten für diverse Umbesetzungen.
1968 kam dann die Umbenennung in „Steppenwolf“, ein Name, der natürlich auf den angesagten Buch-Titel von Hermann Hesse verweist. Am 29. Januar erscheint das Debütalbum der Band in den USA. Der absolute Durchbruch der Band erfolgte durch den Song „Born to be wild“, der in dem heutigen Kultfilm „Easy Rider“ von Peter Fonda mit Dennis Hopper und Jack Nicholson von 1969 für Furore sorgte. Steppenwolf sind ganz oben angekommen, als sie beim berühmten New Port Festival spielen, wo zum Beispiel Tina Turner, Joe Cocker, Jimi Hendrix, Jethro Tull, Albert King oder Marvin Gaye und viele andere auftraten. Gleichzeitig eckten sie mit ihrem Album „Monsters“ in den USA gehörig an, weil sie Richard Nixon aufs Korn nahmen und natürlich auch in der Hippie-Bewegung mitmischten, die Love & Peace propagierten und gegen den Vietnam-Krieg waren. Dass ausgerechnet ein Sänger aus Deutschland sich über Ungerechtigkeiten in den USA mokierte, kam nicht gut an.
Größen-Wahnsinn, Drogen-Exzesse und dumm gelaufene Auftritte im TV, wie das Urinieren auf die Staats-Flagge sorgten für jede Menge Ärger, und so kommt es zum ersten Mal zum Split der Band und John Kay beginnt seine Solo-Karriere. Es folgten Namenstreitigkeiten unter den Band-Mitgliedern. Folglich trat John Kay & Steppenwolf in Zukunft ohne die alten Freunde und Mitstreiter auf, auch wenn er dabei immer wieder auf Welttourneen ging. Vielfach war er also auch in Europa, wo er, als der Eiserne Vorhang fiel und die Berliner Mauer geöffnet wurde, natürlich auch seine alte Heimat besuchte. So gab er 2021 sogar noch ein letztes Akustik-Konzert in Arnstadt/Thüringen, der Ort, wo er mit seiner Mutter Elsbeth auf der Fluch vor den heranrückenden Russen gelandet war. Daneben waren John Kay und seine Frau Jutta Maue auch jahrelang sehr sozial engagiert und hatten eine eigene Stiftung gegründet, die sich unter anderem für Schulen in Kambodscha einsetzt, aber auch die Aufzucht von verwaisten Baby-Elefanten unterstütztt.
Theo De Vos ist sicherlich ein großer Fan von John Kay und Steppenwolf und hat dementsprechend seinem Idol mit diesem Buch ein persönliches Denkmal gesetzt. Trotzdem muss man loben, wie akribisch er sämtliche Fakten und Daten zum Leben des einzigartigen Musikers, der aus Deutschland stammte und in den USA eine Weltkarriere machte, zusammengetragen hat. Andererseits erkennt man in ihm aber auch den ehemaligen Offizier der Belgischen Airforce, der sich außerordentlich zur Geschichte des 2. Weltkrieges auslässt, was sicherlich angesichts des persönlichen Schicksals von John Kay und seiner Familie seine Berechtigung hat, aber trotzdem etwas zu lang geraten ist. Gleichzeitig glänzt das Buch durch viele Fotos, diverse Diskographien über die veröffentlichten Platten und Auftritte von John Kay und seinen jeweiligen Bands. Er durfte John Kay unter anderem auch beim legendären Konzert in Arnstadt persönlich treffen und begleiten, wie auch diverse andere Hardcore-Fans, den sogenannten Wolf-Packer aus Deutschland, Dänemark, den Niederlanden und Skandinavien, die viel mit Infos und Fotos zum Buch beigetragen haben. Leider ist das Buch bisher nur in Flämisch und Englisch erschienen.
Infos: www.uitgeverijaspekt.nl
Theo De Dos: From Barbed Wire to Steppenwolf - John Kay, Not always an easy Ride, Aspekt Publishers, 2023, 380 Seiten
Auch mein zweiter Musik-Buch-Tipp ist ein Buch von Fans für Fans, aber nicht nur, denn dafür ist die titelgebende Band doch zu wichtig und allgemein beliebt. Und das seit über 40 Jahren. Sicherlich tragen die beiden Autoren des vorliegenden Foto-Bildbandes „Depeche Mode Live“, Sascha Lange und Dennis Burmeister das spezielle Fan-Gen in sich. Sie lieben und leben die Musik von Depeche Mode und kennen das besondere Gefühl, das sie als Mitglieder des Black Swarm auf den Konzerten spüren. Dementsprechend war es fast schon logisch, dass sie nach dem Bestseller „Monuments“ jetzt anlässlich der aktuellen Deutschland-Tour einen zweiten Bildband vorlegen. Entstanden ist mit dem über 400-seitigen Wälzer über 40 Jahre-Konzert-Geschichte, der der Magie der „Black Celebrations, die das besonders innige Verhältnis zwischen Depeche Mode und ihren Fans dokumentiert, ein weiteres Monument der Größe der Band und des besonderen Expertentums der Autoren.
Der Autor Sascha Lange und der DJ und Veranstalter Dennis Burmeister zeichnen den Weg der Band, angefangen mit liebenswerten-amateurhaften Gigs Anfang der 1980er Jahre, bei denen Vince Clark und Martin Gore ihre Synthesizer mangels Alternativen auf Bierkästen stapelten, bis hin zu den perfekt durchchoreografierten Konzerten der aktuellen Memento-Mori-Tour in einem voluminösen und bildgewaltigen Band. Darin sind bisher ungesehene Fotos und Gespräche mit Wegbegleitern der Band versammelt. Dabei entwickelt das mächtige Werk seinen besonderen Charme aus den schier endlosen Bildern und Repros aus der persönlichen Sammlung von Dennis Burmeister. Fotostrecken von Konzerten aus 40 Jahren, Schnappschüsse hinter den Kulissen und mit Fans, Plakate, Backstage-Pässe und Eintrittskarten belegen die persönliche Fan-Begeisterung der Autoren.
Natürlich gibt es so einiges, das bereits bekannt ist, wie zum Beispiel Fotos der Konzertfilm-Produktion zum Film „101“, der den Durchbruch der Band in den USA dokumentiert, oder das Drama der Devotionalien-Tour, als der damals schwer drogenabhängige Dave Gahan bei einem Auftritt einen Herzinfarkt erlitt und Andy Fletcher aufgrund von Depressionen die Tournee vorzeitig abbrechen musste. Der geneigte Fan kann aber auch besondere Perlen aus der Band-Geschichte entdecken: Da gibt es einen im Faksimiles gehaltenen Briefwechsel von Martin Gore, den er in den 80er Jahren auf Deutsch mit der Kölnerin Maren Bode unterhielt. Die damals 15jährige hatte seinerzeit ein Konzert besucht und die Band kurz nach der Show getroffen. Daraus entwickelte sich eine Brieffreundschaft, deren Geschichte auf einer Doppelseite in dem damals angesagten Jugend-Magazin Bravo erzählt wurde.
Aber auch abseits solch bunter Geschichten und Fan-Aktivitäten gewährt der dicke Band auch einmalige Einblicke in die spezielle Dynamik von Depeche Mode, die natürlich wie allgemein bekannt diverse schwere Rückschläge einstecken musste. Es fing an mit dem Ausstieg von Vince Clark, der seinerzeit das erste Album fast allein entwickelt hatte und der gerade ganz aktuell sein erstes Solo-Album, das in Ambient-Sound schwelgt, vorgelegt hat. Auch Alan Wilder verließ die aufstrebende Band. Es folgten die diversen Drogen- und Alkohol-Abstürze von Dave Gahan und Martin Gore, sowie Depressionen und psychische Krisen und schließlich der Tod von Andy Fletcher, der 2022 überraschend starb. Trotz allem haben die beiden verbliebenen Ur-Mitglieder das alles verarbeitet in neuen großartigen Songs voller Düsternis und Trauer. Der Vitalität der Band hat das alles keinen Abbruch getan, ganz im Gegenteil, wie die Auftritte der aktuellen Tour eindrucksvoll belegen.
Neben der schier kaum fassbaren Menge an großartigen Konzert- und Privat-Fotos der Band gibt es im Buch natürlich auch eine akribisch zusammengestellte Übersicht über alle Tourdaten von 1980 bis 2023, die weltweit von Millionen von Fans besucht wurden. Des weiteren begeistern Interviews zum Beispiel mit Markus Kavka oder Peter Illmann, sowie dem langjährigen Deutschland-Tour-Veranstalter Karsten Jahnke. Außerdem teilt Sascha Lange eine ganz persönliche Favorites-Playlist aus gut 40 Jahren Diskographie mit den Lesern.
Dennis Burmeister, Sascha Lange: Depeche Mode Live, Blumenbar im Aufbau-Verlag, Berlin Oktober 2023, Hardcover, 430 Seiten, 60 Euro.
Die Bücher sind in den inhabergeführten Buchhandlungen Belling, Prosa, Buchfink, Arno Adler, Langenkamp, maKULaTUR, Störtebeker, Buchstabe und Bücherliebe erhältlich.