Literaturempfehlungen
Neue Bücher 2019

Liebe Leser, heute habe ich für Sie wieder einmal einen bunten Strauß guter neuer Bücher zusammengestellt, die ich Ihnen zum Lesen ans Herz legen möchte. Meine Reise durch die internationale Literatur geht von Israel nach Amerika, von Brasilien über Finnland nach Bayern und endet mit einem Schmankerl in der Küche der Sybil Gräfin Schönfeldt.

Thematisch geht es um Erinnerungskultur und Holocaust-Tourismus, Hippies, Aussteiger, Drogen und einen LSD-Guru, den legendären Magic-Bus und das Woodstock-Festival, Krimis mit Kunstbezug und finnischen Humor sowie eine kulinarische Reise für kleine alte Damen.

Beginnen möchte ich mit einem schmalen, aber nicht weniger wichtigen Band des Israeli Yishai Sarid (1965, Tel Aviv), der es vom Nachrichtenoffizier der Armee zum Staatsanwalt und Rechtsanwalt gebracht hat, um dann als Schriftsteller zu arbeiten. Sein faszinierendes, aber schonungsloses Buch beleuchtet den schmalen Grat zwischen Banalisierung und Umdeutung des Holocaust. Er beschreibt in betont sachlich gehaltenem Stil, dass es zum Thema immer wieder Verdrängungsmechanismen gibt, aber kein Ende der Erinnerung. Wie diese Erinnerung zum Monster wird, wie er auch sein Buch betitelt hat, muss sein junger Ich-Erzähler schmerzlich verkraften.

Dieser namenlose junge Historiker gerät eher zufällig zum Erinnerungsarbeiter. Eigentlich will der Familienvater nach dem Studium der Geschichte irgendwo im diplomatischen Dienst eine ruhige Kugel schieben. Er promoviert mangels anderer Alternativen im Fach Holocaust-Studien. Um Geld für seine junge Familie zu verdienen, führt er Schulklassen durch die israelische Gedenkstätte Yad Vashem. Begleitet durch sein Studium zum Holocaust entwickelt er sich mehr und mehr zum Fachmann auf diesem Gebiet.

Aufgrund dieser Kompetenz übernimmt er bald darauf als Erinnerungsarbeiter Führungen durch die ehemaligen Konzentrationslager von Auschwitz, Birkenau, Majdanek und Treblinka. Je intensiver er sich mit der wissenschaftlichen Auseinandersetzung der grausamen Thematik befasst, umso stärker wächst sein inneres Monster, bis er am Ende die Selbstkontrolle verliert und einen deutschen Regisseur, der einen Dokumentarfilm drehen will, mit einem Fausthieb niederstreckt. Dieser Kontrollverlust hat eine langsam sich aufbauende Vorgeschichte, die der Protagonist in Form eines Erklärungsversuchs als Bericht an seinen ehemaligen Vorgesetzten aufschreibt.

Zunächst ist er als begehrter Erinnerungsarbeiter ein beliebter Führer für Schüler, Soldaten und politische Prominenz in den Stätten des Grauens. Er agiert sachlich und rational. Sein Fachwissen ist fundiert, aber führt zu immer mehr Erschrecken durch zunehmendes Wissen und ignorantes Verhalten der Besucher. Da werden Handys gezückt, Selfies gemacht, israelische Fahnen geschwenkt, Lieder gesungen – alles natürlich aus ritualisierter Betroffenheit.

Rückblickend berichtet er von Gedenkkitsch, touristisch aufgeladener Ignoranz und politischem Kalkül, wenn sich ein israelischer Politiker eigentlich nur für ein Propaganda-Bild für sein heimisches Image unter großem Aufwand durch das Lager führen lässt. So beginnt er langsam Fragen zu stellen, die heute keiner mehr hören will. Er wird langsam zum Opfer zweierlei Monster: des Holocaust, über den er zu viel weiß, sowie der Erinnerung daran.

Die Toten sind ihm zunehmend vertraut, während ihm die Lebenden immer unheimlicher werden. Er verliert langsam auch die persönliche Kontrolle. Er vernachlässigt sich, seine Kleidung und seine Familie. In seiner bescheidenen Bleibe, einem ehemaligen Gestapo-Hotel, versinkt er in Einsamkeit, Alkoholmissbrauch und Isolation. Und dann trifft er auch noch auf einen deutschen Filmemacher.

Yishai Sarid: Monster, Kein&Aber Verlag, Zürich, 173 Seiten, Februar 2019, Amazon.

Als Nächstes möchte ich Ihnen meinen diesmaligen Themenschwerpunkt ans Herz liegen. Einerseits geht es um eine geschichtliche Auseinandersetzung mit einer Aufbruch-Generation, andererseits ist die Herangehensweise der Schriftsteller und Herausgeber eher humorvoll und emphatisch. Es geht um die Hippie-Bewegung und ihr musikalisches Symbol, das Woodstock-Festival, um die dabei konsumierten Drogen und die Aussteigermentalität der Protagonisten.

Zuerst möchte ich Ihnen „Licht“ vom fleißigen Vielschreiber T. C. Boyle wärmstens empfehlen. Der Mann weiß, worüber er schreibt. Der mittlerweile 70-jährige US-Amerikaner hat laut eigener Aussage in jüngeren Jahren alles ausprobiert, was an Drogen auf dem Markt war. Mittlerweile lebt er abstinent und zurückgezogen auf dem Land in Kalifornien. Trotzdem weiß er natürlich über das Thema LSD bestens Bescheid. So beginnt sein Roman mit dem Forscher Albert Hoffmann, der in seinem Labor in Basel für seinen Auftraggeber Sandoz im Jahre 1943 die psychoaktiven Eigenschaften von LSD entdeckte. Nach diversen Selbstversuchen konnte dieser begeistert Bericht erstatten: „Ich habe Dinge gesehen, ganze Kaleidoskope von wirbelnden Farben und Mustern. Ich habe die Welt gesehen, wie sie wirklich ist. Die immaterielle Welt, Kants Ding an sich in jedem Objekt.“

Nach diesem wissenschaftlichen Vorspiel schwenkt der Roman über zum Drogenguru der 60er Jahre, Timothy Leary, der seinen Anhängern nichts weniger als die Weltverbesserung durch Drogenkonsum versprach. Beeinflusst durch die Beat-Generation und ihre Poeten, die aufkommende Hippie-Bewegung und die begleitende Popmusik wurde Leary zum Guru der Gegenkultur in den USA. Es war die Zeit des Vietnamkrieges, des Aufbruchs einer rebellischen Jugend und der Befreiung aus alten Denkschemata durch Bewusstseinserweiterung mittels Konsum von LSD und Cannabis.

Timothy Leary begann als Psychologie-Professor mit der Erforschung des psychotherapeutischen Nutzens der aus halluzinogenen Pilzen gewonnenen Droge Psilocybin. Schnell scharrte er eine Gruppe von Studenten und Kollegen als Jünger um sich. Zu dieser Anhängerschaft gehört auch der fiktive Doktorand Fitz und seine Frau Joanie mit dem 13-jährigen Sohn Corey. Aus ihrer Sicht schildert Boyle den verhängnisvollen Weg der Geschehnisse der nächsten Jahre.

Es beginnt mit samstäglichen Drogensitzungen seiner Forschergruppe, die, ermutigt vom Charisma des Drogen-Gurus und seiner wundersamen schamanistischen Gruppen-Trips nach Mexiko, immer mehr Sekten-artige Ausmaße annehmen. Unter dem Deckmantel der psychologischen Forschung und einem gigantischen theoretischen Überbau setzt sich die Gruppe durch den exzessiven Drogenkonsum vehement gegen die konventionelle Verhaltenstherapie des Behaviorismus der Harvard-Kollegen zur Wehr.

Aber nicht nur die bürgerliche Wissenschaft wird lächerlich gemacht, sondern die Leary-Bewegung richtet sich auch gegen alte Moralvorstellungen und religiöse Bevormundung. Das führt natürlich zum Rauswurf von Leary aus der berühmten Universität. Dieser zieht dann mit seiner willigen Anhängerschaft weiter an die mexikanische Westküste, wo die LSD-Kommune einen traumhaften Sommer voller spiritueller Drogenerfahrungen und sexueller Freizügigkeit erlebt.

Als sie auch dort von Polizei und Einheimischen vertrieben werden, gelingt es Leary durch seine Bekanntschaft zu wohlhabenden Promis aus der High Society, ein luxuriöses Anwesen in Millbrook im Bundesstaat New York als Schauplatz für die weiteren Drogen-Experimente zu etablieren. Dieses Landhaus-Domizil wird zum Anlaufpunkt für reiche und berühmte Schauspieler und Musiker, Drogen-Touristen und experimentierfreudige Landsleute. Hier spielt auch der größte Teil des Romans bis zum bitteren Ende, das ich hier nicht weiter verraten möchte.

Boyle wandert in seinem Roman mal wieder zwischen Historie und Fiktion. Trotz vieler bedenklicher Entwicklungen wird der LSD-Prophet von ihm nicht gänzlich demontiert, obwohl er eindeutig die Schattenseiten der Bewusstseinserweiterung aufzeigt. „Scheiß auf Gott, gehen wir auf Trip“, wird Leary zitiert, der weitermachte bis zu seinem Tod. T. C. Boyle gelingt wieder ein äußerst lesenswerter Roman, der zwischen Groteske, Dramatik, Spannung und Humor changiert. Ein Buch mit Risiken und Nebenwirkungen.

T. C. Boyle: Das Licht, Hanser Verlag, 384 Seiten, Januar 2019, Amazon.

Passend zum Thema, aber auch weil es ein 50-jähriges Jubiläum zu feiern gilt, möchte ich einen großartigen Bildband über das legendäre Musikfestival „Woodstock“ vorstellen. Es wirkt als musikalisches Symbol der amerikanischen Jugend- und Gegenkultur bis in die heutige Zeit. Gerade habe ich gelesen, dass das berühmte, aber auch berüchtigte Festival zum Jubiläum eine Neuauflage in diesem August bekommen soll. Einige Bands wie Santana, Robert Plant und Canned Heat, die bereits im August 1969 auf der Bühne standen, wollen auftreten, aber auch jüngere, angesagte Bands wie die Imagine Dragons, The Killers oder Jay-Z haben ihr Erscheinen vom 16.–18. August 2019 in Watkins Glen im US-Bundesstaat New York angekündigt.

Aber was war im August 1969 passiert? Groß-Konzerte dieser Art gab es schon viele in den 60er Jahren. Beim Monterey-Pop-Festival kamen 100.000 Fans, um die Flower-Power-Generation zu feiern. Alles was Rang und Namen in der Pop- und Rock-Welt hatte, war auch auf dem Atlanta Festival oder in Miami im Jahre 1969. Aber Woodstock toppte alles. Lange bevor die Musiker überhaupt auf der Bühne standen, war der Verkehr zusammengebrochen, weil sich nicht nur die erwarteten 150.000 Menschen, sondern bis zu einer halben Million junge Leute, die später als „Woodstock Nation“ bezeichnet wurden, auf den Weg gemacht hatten.

„Es gab bahnbrechende Meilensteine in der Geschichte der Popmusik – das Plattendebüt von Elvis, die Ankunft der Beatles in Amerika, ,Dylan goes electric', die die Rockkultur prägten und gleichzeitig als Katalysatoren einer rasanten Entwicklung wirkten. Mehr als alles andere war das Festival in Woodstock ein solcher Meilenstein. Das Ereignis, bei dem eine halbe Million Fans zu 3 Tagen des Friedens und der Musik auf einer kleinen Farm zusammenkamen, ist das Symbol schlechthin für die Rockmusik-geprägte Gegenkultur der Sechzigerjahre“, schreibt Mike Evans in seinem Vorwort.

Es manifestierte sich eine hauptsächlich weiße Jugendkultur, die Lebensstil und Werte der breiten Masse der amerikanischen Gesellschaft infrage stellte. Es war die Zeit der Polarisierung in den USA zu den Themen: Bürgerrechte, Rassismus, sexuelle Befreiung, Drogenkonsum und ausufernder Vietnamkrieg. Wegen des allgemeinen Chaos, der sintflutartigen Regenfälle am 2. Tag des Festivals und Verzögerungen der auftretenden Musiker (wie Jimi Hendrix, The Who, Joan Baez oder Janis Joplin) endete das bis Sonntag geplante Festival erst am Montagmorgen. Sämtliche Vorkehrungen, die auf 150.000 Besucher ausgerichtet waren, wie Verpflegung, Hygiene und medizinische Versorgung, brachen in sich zusammen. Aber gerade als das Gelände zum Katastrophengebiet erklärt wurde, entstand der „Geist von Woodstock“. Gegenseitige Unterstützung, Solidarität aus der ländlichen Bevölkerung, aber vor allem ein starkes Gemeinschaftsgefühl konnten das menschliche Drama abwenden.

Die Musik – eine Mischung aus Rock und Folk – war neben der liberalen Haltung zu Sex und Drogen sowie der Wut über den Vietnamkonflikt der gemeinsame Nenner der versammelten Menge. Es entwickelte sich eine Atmosphäre von Kameradschaftsgeist unter völlig Fremden, ein Teilen ohne Gewalt oder Eskalation, ein reines Gemeinschaftsgefühl des Moments. Und alles wurde untermalt von der Musik der wichtigsten Musiker dieser Generation. Berühmt gewordene Hymnen wie „Freedom“ von Richie Havens oder Country Joes Antikriegssong „Fixin´to Die Rag“ wurden besonders durch den späteren Woodstock-Film von Michael Wadleigh, bei dem Martin Scorsese als Cutter arbeitete, weltberühmt.

Der Bildband von Mike Evans und Paul Kingsbury dokumentiert mit hervorragenden Fotos und Texten, Interviews und Einordnungen in das Zeitgeschehen dieses bis heute legendäre Festival. Es gibt wunderbar recherchierte Zahlen und Fakten, wie zum Beispiel, dass es weitere 250.000 Fans nicht bis zum Festivalgelände schafften. Jeder einzelne Auftritt wird mit Bildern der Künstler/innen sowie Statements von ihnen wiedergegeben, aber auch die Folgen von Woodstock, wie die Katastrophe von Altamont, als die friedliche Zeit von Peace und Happyness zu Ende ging, indem ein Hells' Angel einen Besucher des Stones-Konzertes dort direkt vor der Bühne abstach. Andere Themen beschreiben, was aus der kleinen Gemeinde Bethel wurde, wo das Festival stattfand, sowie die Entwicklung der Künstler, die damals auftraten, und das Vermächtnis von Woodstock kommen zur Sprache.

Woodstock lebt bis heute fort. Sein Geist findet sich noch heute in vielen Jugend-Bewegungen und in der Musikszene. Es diente Jahrzehnte als Vorbild für andere Musik-Großveranstaltungen, wie das Roskilde-Festival oder Rock am Ring, auch wenn es da eigentlich meist nur um den schnöden Mammon geht.

Mick Evans, Paul Kingsley: Woodstock – Chronik eines legendären Festivals, Riva-Verlag, 20. März 2019, Amazon.

Mein dritter Tipp zur Thematik stammt vom Welt-Bestseller Autor Paulo Coelho, der in seinem neuesten Band „Hippie“ eine wenig bekannte Etappe seines außergewöhnlichen Lebens beschreibt. Der in Brasilien geborene Erfolgsschriftsteller mit einer weltweiten Auflage seiner diversen Bücher von 225 Millionen verkaufter Exemplare in 81 Sprachen (u. a. Der Alchimist, Die Spionin oder Untreue) erzählt den Traum der Hippie-Generation von einem anderen, freieren und friedlicheren Leben.

Es geht um Karla, eine junge Holländerin, die mit dem berühmten Magic-Bus nach Kathmandu reisen will und dem jungen, langhaarigen Brasilianer Paulo, deren Wege sich 1970 in Amsterdam kreuzten. Eine Aussteiger-Geschichte, in der es um die Suche nach Sinn und Spiritualität geht. Entlang des Hippie-Trails von Europa nach Asien durchleben sie eine zarte Liebesgeschichte, werden Teil von kleinen und großen Revolutionen, stellen sich ihren Ängsten und Wünschen und entdecken neue Werte, die sie für immer verändern werden.

Wie der Autor sagt, habe er alle erzählten Geschichten persönlich erlebt, aber andere Teile des Textes sind chronologisch und personell von ihm verändert wiedergegeben. Er schreibt in der dritten Person – teilweise etwas blumig und naiv, aber immer sehr authentisch. Es beginnt mit seiner Horror-Biografie, als er beim Grenzübertritt von Bolivien nach Argentinien von Polizisten aus dem Hotel geholt wurde – es herrschte die schlimme Zeit der Militär-Diktatur –, um in einem Folter-Gefängnis tagelang festgehalten zu werden.

Nach seiner Entlassung reiste er wie viele junge Leute seiner Zeit nach Europa, wo die Traumziele einer ganzen Generation Amsterdam und London hießen. Es ging um Drogen, Musik und Religionen. Alle waren auf der Suche nach sich selbst oder dem großen Glück. Und dann gab es auch noch den legendären Magic-Bus, der von London über Amsterdam, Paris und Istanbul bis ins sagenhafte Kathmandu in Nepal fuhr. Für wenig Geld und mit minimalem Gepäck, dafür aber mit LSD-getränkten Buchseiten ging die Aussteiger-Reise durch den Orient. Unterwegs besucht Paulo Sufis und andere spirituelle Lehrer, um schließlich in Istanbul hängenzubleiben. Ein unterhaltsames Buch, welches einen Zeitgeist beschreibt, der heute leider in den digitalen Wirren der Neuzeit verloren gegangen ist.

Paulo Coelho: Hippie, Diogenes Verlag, September 2018, 320 Seiten, Amazon.

Nach so vielen Alternativ- und Drogen-Geschichten sind meine nächsten beiden Buch-Tipps für Krimi-Liebhaber gedacht. Zunächst geht es um das Verschwinden eines Meisterwerkes der modernen Malerei. „Der Turm der blauen Pferde“ von Bernhard Jaumann erzählt die spannende, hochinteressante Geschichte eines berühmten Bildes von Franz Marc, das es weltweit auf Postkarten und Postern zu kaufen gibt. Es wurde als verschollen in den Wirren des Zweiten Weltkrieges gesehen, obwohl viele Historiker wussten, dass das großformatige Gemälde zur umfänglich zusammengeklauten Privatsammlung des Reichsmarschalls Hermann Göring gehörte.

Obwohl die meisten Bilder moderner Künstler als entartet diffamiert wurden, raffte Göring alles an sich, was er unter die Finger bekam. Seit 1945 wurde das Original niemals mehr gesichtet, und es entstanden Mythen und Legenden über das Verschwinden und den Verbleib des Meisterwerkes der Moderne. Der 1957 in Augsburg geborene Schriftsteller Bernhard Jaumann hat daraus einen fulminanten, gut durchdachten und spannenden Krimi ersonnen, der so oder so geschehen sein könnte.

Die Geschichte beginnt mit zwei Jungen, die in den letzten Kriegstagen in einem verlassenen Tunnel einen Zug, randvoll mit Kunstschätzen entdecken. Vor allem das geheimnisvolle Gemälde mit den blauen Pferden fasziniert die beiden Freunde – doch dann kommt es zur Katastrophe. Weiter geht es in der Gegenwart, in der die Münchner Kunst-Detektei von Schleewitz einen neuen Auftrag erhält. Das Bild soll wieder aufgetaucht und von einem steinreichen Kunst-Sammler aufgekauft worden sein. Nun soll geklärt werden, ob es sich um das Original handelt, was eine Weltsensation wäre, oder nicht.

Die drei Mitarbeiter der Detektei begeben sich auf die Spurensuche. Da gibt es Rupert, den Chef des Unternehmens und eloquenten Manager, Max, ein fleißiges Arbeitstier und überzeugten Familienvater, sowie die hübsche, freche und clevere Karla. Das dreiköpfige Ermittler-Team stürzt sich dynamisch in die Arbeit und trifft auf unglaubliche Abgründe. Ein zweifacher Mord kommt ins Spiel. Eifersucht, Neid, künstlerisches Fachwissen und Scharlatanerie treffen auf eitle Kunstmäzene, verschrobene Bauern und durchgeknallte Mädchen.

Mehrfach wechseln die Erzählstränge und zeitlichen Abläufe der Geschichte, oft verwirrend, aber immer zielführend. Jaumann verwebt die diversen, geheimnisvollen und rätselhaften Aspekte zu einem Ganzen, das bis zum Ende die Spannung hält. Ein nervenzehrendes Lesevergnügen.

Bernhard Jaumann: Der Turm der blauen Pferde, Galiani-Verlag, Januar 2019, 336 Seiten, Amazon.

Mein zweiter Krimi-Tipp stammt von einem richtig coolen Finnen. Antti Tuomainen, dessen letztes Buch „Die letzten Meter bis zum Friedhof“ ich hier bereits vorgestellt habe, hat mit „Palm Beach, Finland“ einen weiteren skurrilen, schrägen, aber trotzdem hoch komplexen, vielschichtigen Krimi vorgelegt.

Die Geschichte spielt in dem seltsamen Urlaubs-Resort Kähärä, genannt Palm Beach, Finnland: Ein Urlaubs-Paradies der grell-bunten Farben und schrillen Interieurs, als sei aus einem grauen Ei ein kunterbunter Vogel geschlüpft. An der nasskalten Ostsee entfaltet sich ein weitläufiges Areal aus Strandhäusern, Restaurants, Umkleidehütten, Liegestühlen, Surfbrett-Verleih, Kiosken und einer Pizzeria, das in Türkis, Hellblau, Rosa und Grellgrün erstrahlt, dass einem die Augen tränen. Dazu kommt ein imposantes, zwanzig mal fünf Meter großes Schild in Neongrell, welches man vermutlich bis nach Estland sehen kann. Soweit das skurrile Setting der mit Plastik-Palmen dekorierten Story.

In der Anmerkung zum Buch steht: „Alles, was folgt, beruht auf tatsächlichen Ereignissen mit echten Menschen. Nichts ist verändert worden. In Finnland scheint immer die Sonne.“ Schnell kann man sich vorstellen, dass die folgende Geschichte vor schwarzem Humor und genialen Ideen nur so sprudelt. Tuomainen erzählt flüssig und geistreich, schickt ein zunächst verwirrendes, vielköpfiges Personal ins Geschehen und hält den Spannungsbogen bis zum Ende.

Im alten, leicht heruntergekommenen Haus von Olivia Koski, der Surf-Trainerin im Ressort, wird eine unbekannte Leiche in der Küche entdeckt. Das führt den Undercover-Polizisten Jan Nyman in das verschrobene Ferien-Domizil. Er soll die Hauptverdächtige Olivia unter die Lupe nehmen. Stattdessen verliebt sich der Polizist in die attraktive Strand-Schönheit. Dazu gesellt sich der schmierige Palm-Beach-Investor Jorma Leivo, der „aussah wie einer dieser verrückten Erfinder, die man nur aus Filmen kannte. Sein Schädel war kahl, an den Seiten wucherten die Haare, lockig und wirr nach allen Seiten abstehend. Mit seinen blauen Augen blickte er sein Gegenüber stechend und durchdringend an, man wollte umgehend ausweichen“.

Ihm zur Seite stehend, entpuppt sich das Freundespaar Chico und Robin als kindsköpfige Dilettanten. Das strunzdumme Duo erweist sich als skrupellos und geldgierig, wie ihr Auftraggeber. Natürlich haben beide außer Schulden nichts als Träume von einer Karriere als Rockstar à la Bruce Springsteen oder eine Liebe zur widersprüchlichen Neea im Kopf. Da wird schon mal die Sauna von Olivia abgefackelt oder der Chef bis zum Hals am Strand eingebuddelt.

Allerdings klappt der Mord am Palm-Beach-Besitzer am Meeresrand nicht, weil die erhoffte Flut am Ostseestrand nicht existiert. Dafür taucht ein seltsamer Leo auf, der mit 10.000en von Euros aus der Mikrowelle die verschiedenen Protagonisten gegeneinander ausspielen will, aber dann doch erschlagen wird und im Loch am Strand endet. Mehr will ich hier jetzt nicht verraten, sondern wünsche beste Unterhaltung beim Schmökern in diesem Klasse-Krimi der typisch finnischen Art, trocken und triefend voll fein dosiertem schwarzen Humor.

Antti Tuomainen: Palm Beach. Finnland, Rowohlt-Verlag, Januar 2019, 365 Seiten, Amazon.

Abschließend habe ich noch ein kleines Schmankerl im Köcher, welches sich wunderbar als Geschenk eignet. Allerdings sollte man bei der Auswahl der Beschenkten Obacht geben, denn es kann schon einmal zu Missverständnissen führen, wie ich selbst schmerzlich durch eine alte Freundin erfahren musste. Es geht um eine kulinarische Familiengeschichte, ein superbes, wenn auch dünnes Kochbuch von Sybil Gräfin Schönfeldt. Dieses Kleinod an Leckereien versammelt Rezepte und Familiengeschichten der Autorin, die hauptsächlich Kochbücher und als freie Redakteurin Texte zum Thema Essen und Trinken veröffentlicht. Es geht hier um das „Kochbuch für die kleine alte Frau“, keineswegs satirisch oder sich  über ältere Damen lustig machend gemeint.

Aus ihren höchst persönlichen Erinnerungen spricht eine große Liebe zum Kochen – für sich und andere. Jetzt hat sie aus ihren umfangreichen Rezepten und Ideen einen kleinen Band zusammengestellt, der Single-Haushalten helfen soll, eine geschmackvolle, gesunde und vielseitige Küche zu realisieren. Locker und lecker erzählt sie von ihren kulinarischen Familienrezepten, die sie in vielen Jahren aus dem Reservoir ihrer weitläufigen und weitgereisten Vorfahren geschöpft hat. Was koche ich für mich allein? Wie Sybil Gräfin Schönfeldt diese tägliche Frage eines jeden Alleinlebenden löst, ob Witwe, Witwer oder Single-Student, jung oder alt, das ist locker und leicht wie anregend und amüsant erzählt, wie ein bunter Reigen.

Es gibt Kapitel wie: Der Hamburger Großvater und sein Porridge, Das israelische Frühstück oder Arroz à la Cubana. Des Weiteren beschreibt sie Curry-gelbe Reis-Speisen oder orientalische Buffets mit Schafskäse, Paprika, Gurke und frischem Fisch aus dem Kibbuz. Heringssalat auf Vierländer Art, Coq au Vin, Huhn aus Nizza oder Chicken à la King. Köstlich! Bevor mir das Wasser im Munde zusammenläuft, schnell noch der Tipp: Nicht das Buch an kleine alte Frauen verschenken – es könnte blaue Flecken oder ewigen Beziehungsabbruch zur Folge haben.

Sybil Gräfin Schönfeldt: Kochbuch für die kleine alte Frau, edition momente, Oktober 2018, 128 Seiten, Amazon.

Die Bücher sind in den inhabergeführten Buchhandlungen BellingProsa, Buchfink, Arno Adler, Langenkamp, maKULaTUR und Buchstabe erhältlich.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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