Wie man aus persönlichen Krisen wunderbare Kunst zu aktuellen Problemen wie Demokratie und Macht, Freiheit und Verantwortung, Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Spaltung und anderen sozialen, politischen und philosophischen Kernfragen machen kann, zeigt die aktuelle Ausstellung „Bruchlinien-Fragile Balance“ in der Kulturtankstelle am Holstentor.
„Existentielle Krisen, wie Geldmangel oder Träume, die sich in Luft auflösen, waren der Ausgangspunkt für den Einstieg in die bildende Kunst“, erklärte mir der Künstler Francisco Prieto Montesdeoca beim Rundgang durch seine äußerst sehenswerte Ausstellung im DefactoArt. So entstanden die ausgestellten Bilder in nur einem Jahr zwischen 2024 und 2025. Die eindrucksvollen Werke kommen zumeist als Materialmix-Collagen in Dreidimensionalität aus Ölfarben kombiniert mit Federn, Metall, Jute, Asche, Stacheldraht und Marmormehl daher.
Detail mit Rost und Stacheldraht, (c) Francisco Prieto Montesdeoca
Für den Künstler sind sie Verdichtungsräume, die sowohl von Widerstand als auch von Verletzlichkeit erzählen. Gleichzeitig zeigen sie die fragile Balance zwischen Ordnung und Verfall, zwischen Sehnsucht und Kontrolle. „In der Materialität seiner Bilder liegen Erinnerungen“, erklärt der Künstler, „in jedem Bruch zeigt sich auch eine Möglichkeit zum Neubeginn“.
Zunächst begann der Lübecker Maler, der 1979 als Sohn spanischer Gastarbeiter in Gütersloh geboren wurde, um dann später nach einem BWL-Studium in Münster über Umwege in Ulm nach Lübeck kam, mit kleinformatigen Arbeiten mit viel Gold nach seinem Stil zu suchen. Erste figürliche Arbeiten zeigten Engel als Boten von Glück, Sicherheit und Wandel. Schon zu diesem Zeitpunkt setzte er Materialien wie echte Federn, aber auch Drahtgeflechte und rostigen Stacheldraht ein, um Bruchlinie der Hoffnung deutlich zu machen.
Der Trost der Kontrolle, (c) Francisco Prieto Montesdeoca
Nach wie vor arbeitet der konzeptuell schaffende Künstler im Hauptberuf bei Dräger, um seine Familie aus Partnerin und Tochter über die Runden zu bringen. Darunter leiden natürlich die großen Lebensträume, wie eine Weltreise per Fahrrad, die sich schlicht nicht finanzieren ließ. Gleichzeitig macht sich Francisco Prieto aber auch zunehmend Sorgen um den Zustand der Welt. Dafür stellt er sich Fragen: „Wie schaffen wir es, in Zeiten der Unsicherheit Vertrauen aufzubauen, wenn Kontrolle oft verlockender erscheint?“ Oder „Wo finden wir Würde, wenn bestehende Systeme ins Wanken geraten?“
Seine persönlichen, kreativen Antworten spiegeln sich in seinen Werken. In seinen frühen Arbeiten nutzt er dabei Engelsfiguren, die auf Lichtpfaden ihren Weg suchen, auch wenn Dornen, Äste, Jute und Stacheldraht den Weg erschweren. Dem Künstler geht es dabei um Residenz und Freiheit. So arbeitet er auch mit laminiertem Stahlblech und Goldfarben, um die Flucht aus dem Schatten seines Seelengefängnisses mit zersplitterten Reflexionen zu symbolisieren. Es geht ihm um Widerstand, den er entwickelt hat und die den Ursprung seiner persönlichen künstlerischen Sprache darstellen, die aus Verletzlichkeit geboren wurde.
Die Tür ohne Namen, (c) Francisco Prieto Montesdeoca
Die späteren großformatigen Bilder zeugen dann von noch mehr Sinnsuche und Auseinandersetzung mit den großen Themen unserer Zeit. Dabei ist es ihm aber wichtig: „Ich möchte Menschen bewegen ohne sie zu belehren“. Gleichzeitig geht es ihm aber auch immer noch um die Entwicklung des inneren Ichs. So zeigt sein Bild „Die Tür ohne Namen“ eine leuchtende Tür, die sich öffnet in einer verwüsteten Welt - eine Schwelle zwischen Verlust und Möglichkeit. Ein offenes Bild über das, was bleibt, wenn alles zerbricht.
Wie ein aktueller Kommentar wirkt sein Bild „Pfad der Würde“, ein scheinbares Kriegsbild, das an die Ukraine oder Gaza erinnert. Ein zerstörter Weg führt durch Ruinen aus der Dunkelheit in ein entferntes, lichtes Grau. Blitzt da etwa Hoffnung auf? Andere Bilder zeigen da weniger positives, wie zum Beispiel „Die Stimme über dem Rauschen“, das eine Welt zeigt, die im Übermaß der Informationen zerfällt. Die Überfrachtung des Einzelnen in einer Zeit der Überflutung aus Sozialen Medien und Fake News.
Architektur des Vertrauens, (c) Francisco Prieto Montesdeoca
Bei der Arbeit „Architektur des Vertrauens“, die eine fragile Brücke zeigt, die halb gebaut, halb zerstört erscheint und wo Menschen in die Tiefe stürzen, hinterfragt der Künstler, wie unsicher das Vertrauen ist, wenn die Ordnung einstürzt. Was hält uns zusammen, wenn politische und soziale Brücken bröckeln?
Eine insgesamt sehr anrührende und reflektierte Ausstellung über fragile Strukturen, die sich in der Zerbrechlichkeit unserer sozialen Bindungen widerspiegelt und gleichzeitig alle Betrachter*innen auffordert, sich mit Themen wie Macht, Freiheit und den Zustand unserer Demokratie auseinanderzusetzen. Dabei will Francisco Prieto Montesdeoca niemanden belehren, sondern den Raum bieten zum Dialog und zur Reflexion über die Herausforderungen, die sowohl individuelle als auch kollektive Identitäten prägen. Kunst als Spiegel unserer Gesellschaft aus sehr persönlicher Sichtweise, aber auch immer mit der Anregung, über die Balance zwischen Stabilität und Fragilität nachzudenken. Sehr sehenswert!
Der Künstler Francisco Prieto Montesdeoca, Foto: Holger Kistenmacher
Die Ausstellung in der Kulturtanke läuft noch bis Sonntag, den 2. November 2025. Der Künstler ist täglich von 14 bis 20 Uhr vor Ort und erläutert seine Werke und Gedankenwelten.
Fotos: Holger Kistenmacher












