Antti Tuomainen, Foto: (c) Ville Juurikkala

Büchertipps
Frische Bücher für den sommerlichen Frühling

Der Frühling marschiert mit Riesenschritten Richtung Sommer. Bunte Blütenmeere verzaubern Gärten und Parks. Die stärker werdende Sonne hat sogar schon für erste Strand-Besuche gereicht. Also wird es Zeit, sich mit neuer Literatur einzudecken, um bei lauschigen Temperaturen am Meer, im Garten, im Park oder auf der Terrasse spannende, erkenntnisreiche oder amüsante Lesestunden zu verbringen.

Meine heutigen Buchtipps kommen aus den Bereichen: Geschichten, die das Leben schreibt, Reiseabenteuer, Religion und Spiritualität, knallharte Krimis und skurrile Mordgeschichten aus Finnland. Zunächst drei Bücher, die auf wahren Begebenheiten beruhen.

Mein erster Buch-Tipp stammt von dem bereits mit diversen Preisen ausgezeichneten Schriftsteller Martin Mosebach aus Frankfurt, von dem ich zuletzt den Roman „Mogador“ hier vorgestellt habe. Damals wie auch in seinem neuesten Buch, „Die 21“, geht es um eine Geschichte aus Nordafrika, eine Weltregion, die für ihn anscheinend einen gewissen Faszinationsraum darstellt.

Ausgangspunkt für sein aktuelles Reisebuch, für das er mehrere Wochen im Frühjahr 2017 nach Oberägypten reiste und recherchierte, war ein perfides und unglaublich brutales Propaganda-Video, das er 2015 im Internet entdeckt hatte. Dieses außerordentlich professionelle und qualitativ hochwertige Video folgte einer durchdachten Choreografie und Inszenierung mit eindeutiger Bildsprache und sollte eine klare Nachricht an die christliche Welt aussenden. Der sogenannte IS hatte an einem Strand von Sirte in Libyen 21 ägyptische Wanderarbeiter hingerichtet, weil sie Christen waren. Brutalst geköpft vor laufender Kamera an einem atemberaubenden Strand als Kulisse, weil sie christliche Kopten waren und ihr Tod ein Zeichen sein sollte an die „Welt des Kreuzes“.

Ein ungeheures Propaganda-Video einer Menschenschlachtung. 21 schwarz vermummte IS-Kämpfer schnitten 21 Christen in der orangefarbenen Kleidung der Guantanamo-Häftlinge mit viel zu kurzen Messern die Köpfe ab, nachdem diese einzeln die Aufforderung, ihren christlichen Glauben abzuschwören, abgelehnt und stattdessen den Tod gewählt hatten. In stoischer Ruhe und unfassbarer Gleichmut gingen die 21 Kopten, nur mit der leisen Anrufung von „Jarap Jesop“ („Herr Jesus“ auf Koptisch) in den Tod. Diese Standhaftigkeit im Angesicht ihrer barbarischen Ermordung hatte den bekennenden Katholiken Mosebach dermaßen beeindruckt, dass er mehr über die 21 Menschen wissen wollte, die heute von ihren Familien und der koptischen Kirche als Märtyrer gefeiert werden.

Vermittelt über mehrere kirchliche Instanzen und Eminenzen führte Mosebachs Reise in das abgelegene Dorf El-Or in Oberägypten, aus dem die meisten der 21 Enthaupteten stammten. Anders als erwartet, traf er auf Menschen, die nicht von Hass und Rachegelüsten geprägt waren, sondern auf Familien und Verwandte, die stolz und hocherfreut von ihren Kindern, Söhnen oder Ehemännern berichteten, die jetzt auf einer Stufe mit Jesus stünden. „Ich kam nicht in Trauerhäuser, ich kam nicht in Häuser von verzweifelten Menschen. Ich kam zu Menschen, die unglaublich stolz waren auf ihre Brüder. Väter, Kinder, Söhne, die ihre nächsten Verwandten, die da geschlachtet worden waren, als Heilige verehrten. Die die Toten darstellten auf Fotocollagen mit Kronen auf den Köpfen als Könige im Himmel.“

Der Patriarch von Alexandrien hatte mittlerweile alle 21 Männer heiliggesprochen, was bedeutete, dass man sie mit Heiligenschein darstellen und Kirchen nach ihnen benennen durfte. In ihrem Heimatdorf El-Or wurde darüber hinaus auf Staatskosten eine imposante neue Kirche gebaut, die als Wallfahrtsort dienen soll. Zu seinem Erstaunen erlebte Mosebach eine Welt äußerer Armut, in der Menschen scheinbar mittelalterlich leben, aber trotzdem jede Familie selbstbewusst ein Handy oder einen Videorekorder besaß, wo ihm immer wieder voller Freude das brutale Video vorgeführt wurde. Verwahrlosung, stinkende Müllberge, halb fertige Betonhäuser, in deren Parterre Schweine, Esel und Kälber gehalten werden.

Bewohnt von den wahren „Ureinwohnern Ägyptens“, die ihren koptischen Glauben als urchristlich zelebrieren. Beeindruckt von diesem standhaften Glauben in einer unwirklichen Welt, beschreibt der neugierige Reisende Mosebach unaufdringlich, aber mit ungewöhnlicher stilistischer und intellektueller Brillanz die koptische Welt, über die im Westen kaum etwas bekannt ist. Sein Buch ist frei von jeglicher „Islamophobie“, obwohl es den Medien-affinen Mördern genau darum ging. Doch bei den ägyptischen Kopten ist genau das Gegenteil erreicht worden. Diese Urchristen, die immer noch in einer mythischen und von Liturgie geprägten Welt ihr hartes Dasein ausleben, deren Leben im heutigen Ägypten seit Jahrhunderten von Ausgrenzung, Benachteiligung und Unterdrückung gekennzeichnet ist, stehen im krassen Gegensatz zu der Moderne von Shopping-Malls in Neu-Kairo, die Mosebach am Ende des Buches beschreibt.

Einerseits setzt er den 21 Ermordeten mit seiner genialen Sprache und seiner außerordentlichen Beobachtungsgabe ein Denkmal, das sie zu mehr als Opfern des IS macht, andererseits gelingt ihm ein Reise-Essay der Sonderklasse über das heutige Ägypten zwischen Moderne und religiöser Archaik, ein Land in einer nicht absehbaren Zerreißprobe.

Martin Mosebach: „Die 21“ , Rowohlt Verlag, Hamburg, März 2018, 272 Seiten, 20 Euro

Auch mein zweiter Buchtipp beruht auf wahren Begebenheiten, spielt erneut im Orient und kommt so bizarr und fantastisch daher, dass man sie kaum glauben möchte. Es handelt sich um den historischen Roman von Jakob Hein, (geboren 1971 in Leipzig, aber in Berlin als Psychiater und Schriftsteller lebend): „Die Orient-Mission des Leutnant Stern“. In dieser verrückten Dschihad-Groteske erzählt er mit wunderbarer Lust am Fabulieren die Geschichte einer falschen Zirkustruppe, die den Lauf der Geschichte verändern sollte. Es geht um den jüdischen Leutnant Edgar Stern, der während des Ersten Weltkriegs für Kaiser Wilhelm II. den Dschihad organisieren sollte, indem er eine als Zirkustruppe getarnte Gruppe von 14 muslimischen Gefangenen nach Konstantinopel schmuggelte.

Diese Schelmengeschichte voller Abenteuer und Humor klingt so unglaublich wie abstrus, hat aber trotzdem einen wahren Kern, auf die der Berliner Schriftsteller bei einer Reise nach Israel gestoßen ist. Als das Deutsche Reich um 1915 den Ersten Weltkrieg zu verlieren drohte, legte der seinerzeit bedeutendste Orientalist Max von Oppenheim einen gewagten Plan vor: Der türkische Sultan sollte dazu gebracht werden, die Muslime der Welt zum Dschihad gegen England und Frankreich aufzurufen. Jakob Heim hat nun Oppenheimers Plan zum Ausgangspunkt dieser aberwitzigen Orient-Mission seines Helden Edgar Stern gemacht.

Dieser junge, sympathische jüdische Leutnant, der gerade noch im Vorkriegssommer 2014 die Sommerfrische an der belgischen Küste mit gutem französischen Essen und internationalen Freunden aus ganz Europa genießt, wird überraschend abberufen und findet sich schnell als gelangweilter Soldat im Schützengraben wieder. In seinem Wunsch, dieser dreckigen Langeweile zu entfliehen, ersinnt er eine verblüffende Kriegsstrategie, die ihn schnell nach Berlin in die Generalität bringt: „Sein Suez-Plan, in dem er nichts weniger vorhat, als den gleichnamigen Kanal in die Luft zu sprengen, soll die Engländer davon abhalten, sich in den Krieg einzumischen.“

Zwar wird sein Plan verworfen, aber dieser verrückte Stern scheint prädestiniert für weitere aberwitzige Kriegslisten. „[...] ein Wahnsinniger, aber genau diese Art von Wahnsinn benötigt man, um diesen Krieg erfolgreich zu führen.“ Also wird Stern auf die abenteuerliche Orient-Mission geschickt, um als selbsternannter Zirkusdirektor seine 14 verkleideten muslimischen Zirkusartisten im Balkan-Express mit mehr Glück als Verstand durchs Feindesland nach Konstantinopel zu bringen, damit diese den Dschihad anzetteln können.

Historische Fakten stoßen bei Heim auf Witz und Humor, deren realen Hintergrund man eigentlich gar nicht erfinden kann. Geschickterweise wechselt der Autor außerdem in jedem Kapitel die Erzähl-Perspektive. Mal folgt er dem jüdischen Expeditionsleiter, wie er mit viel Mut und Geschick die bunte Artistentruppe über die gefährlichsten Grenzen schleust, dann erzählt er vom muslimischen Gefangenen Tassaout, einem aus dem Atlasgebirge zwangsverpflichteten ehemaligen französischen Soldaten, der von der Rückkehr in seine Heimat träumt. Und dann gibt es auch noch den mitreisenden Gesandten Schabinger Freiherr von Schowingen, der hauptsächlich damit beschäftigt ist, dem Sultan zu vermitteln, die Idee vom Dschihad sei seine eigene.

Es entsteht ein Kaleidoskop voller Abstrusitäten und Abenteuer, preußischer Bürokratie und orientalischer Unberechenbarkeit. Ausgerechnet ein Jude soll auf christlichen Befehl Muslime zum ungeliebten Dschihad verführen. Ein irrsinniger Schelmenroman, der seine Figuren wie verwirrte Spieler auf dem politischen Schachbrett der Weltgeschichte hin und her schiebt. Aber insgeheim schimmert auch immer wieder die heutige Zeit durch Islamophobie, Fluchtgeschichten, Antisemitismus und Krieg im Nahen Osten durch.

Jakob Hein: „Die Orient-Mission des Leutnant Stern“, Galiani-Verlag, Berlin, Februar 2018, 256 Seiten, 18 Euro

Auch Buchtipp Nummer drei könnte man als groteske Fantasie abtun, aber auch diese Geschichte hat einen wahren Kern. „Der letzte Buddha“ von Marcus Braun (1971 in Bullay an der Mosel geboren), erzählt eine Geschichte zwischen Tibet, China und den USA. Der als Polit-Thriller daherkommende Roman stellt die politisch brisante Frage: „Was ist aus dem sechsjährigen Gendün Chökyi Nyima geworden, der als wiedergeborene Inkarnation des zehnten Panchen Lama zum zweithöchsten Würdenträger Tibets nach dem Dalai Lama galt und unter mysteriösen Bedingungen verschwunden ist.“

Auf Geheiß des Dalai Lamas wurde nach dem Tod des vorherigen Panchen Lamas nach alter Tradition ein Orakel befragt, um seinen Nachfolger 1995 zu suchen. Nach einem aufwendigen Auswahlverfahren wurde das sechsjährige Kind vom Oberhaupt der Tibeter als elfte Wiedergeburt des Panchen Lama, eines Abtes aus dem 17. Jahrhundert, anerkannt und proklamiert. Doch die Chinesen wollten die Entscheidung des ihnen verhassten, im indischen Exil lebenden Religionsführers nicht akzeptieren. Sie ließen das Kind zusammen mit seinen Eltern klammheimlich verschwinden und ernannten stattdessen den kleinen Gyaltsen Norbu aus einer kommunistischen Familie zum neuen Panchen Lama.

Bis heute ist unklar, was aus dem verschwundenen Jungen geworden ist. Angeblich soll der Entführte, der als jüngster politischer Gefangene der Welt von tibetischer Seite bezeichnet wurde, irgendwo in China ein normales Leben führen. Marcus Braun hat aus dieser ominösen, aber wahren Geschichte einen spannenden wie humorvollen Krimi gemacht, indem er den Jungen 20 Jahre später als kiffenden amerikanischen Surfer-Boy Jonathan aus San Francisco, der unter der Obhut einer Adoptivfamilie zum therapeutischen Fall missraten ist, wieder auftauchen lässt.

Als ihm ein Journalist die Nachricht seiner angeblichen Herkunft unterbreitet, erfüllt ihn seine Auserwähltheit mit messianischem Glühen. Eben noch schwer depressiv und Drogen-affin, stürzt er sich in seine neue Aufgabe als Heilsbringer Tibets. Während seine offizielle Panchen-Lama-Konkurrenz geheime gegen China gerichtete Pläne schmiedet, übt sich der kalifornische Surfer-Lama im Verborgenen eines buddhistischen Retreats im tibetischen Lama-Einmaleins. Selbst den wahren Dalai Lama darf er treffen, der Jonathan aber als hochmütig und unglaubwürdig nicht als seinen Schützling anerkennen will.

Marcus Braun konstruiert mit feiner Ironie und geschickter Stilistik ein Vexierspiel voller doppelter Böden und ironischer Brechungen, in dem er auch immer wieder real existierendes Personal (Richard Gere, Xi Jinping) auftauchen lässt. Am Ende dieses spannungsreichen Romans über falsche Gewissheiten und unechte oder halbseidene Erleuchtete kommt es zum Showdown auf einer gläsernen Hochhausterrasse in Hongkong, bei dem schlussendlich irgendwie alle betrogen sind.

Marcus Braun: „Der letzte Buddha“, Hanser-Verlag, München, 2017, 208 Seiten, 20 Euro

Nach so viel historischen Stoffen setzen meine letzten beiden Buchtipps mehr auf Spannung, Abenteuer und skurrile Krimikost aus dem Norden. „Nordwasser“ von Ian McGuire aus dem geschätzten Mare-Verlag lässt schon durch seinen Klappentext das Schlimmste erahnen: „Nichts für Zartbesaitete“ warnt The Sunday Times, und The Independent on Sunday meint: „Verglichen mit diesem brutalen Überlebenskampf wirkt ,The Revenant’ (verfilmt mit Leonardo DiCaprio) wie ein Geschichtchen von Winnie-the-Pooh.“

Worum geht es? Ian McGuire, geboren und aufgewachsen im englischen Hull, erzählt in seinem zweiten Roman, der zurecht für den Man Booker Prize 2016 nominiert war, von den Ereignissen an Bord des Walfangschiffes „Volunteer“ auf seiner letzten Fahrt. Der Roman spielt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und startet in Hull, der Hafenstadt im Nordosten Englands, die früher eine Hochburg des kommerziellen Walfangs war. An Bord sind neben den grobschlächtigen Seeleuten Patrick Sumner, ein Militärarzt, ehemals in Indien eingesetzt, dann aber unehrenhaft entlassen und an Land keine Anstellung mehr findet, und der skrupellose Harpunier Henry Drax, ein äußerst unangenehmer Zeitgenosse.

Ohne einen Funken Empathie, gewalttätig und scheinbar seelenlos – ein Dreckskerl, wie er im Buche steht. Gleich zu Beginn der Fahrt bestätigt sich dieser als Mörder, Vergewaltiger und Schläger, der mit allen schlechten Wassern gewaschen scheint. Schnell wird klar, dass die ganze Geschichte auf einen Zweikampf zwischen diesen beiden so unterschiedlichen Charakteren hinausläuft. Eingebettet in die Beschreibung des blutigen Handwerks des Walfangs als Alltag an Bord aus elender Plackerei, Dreck und Brutalität, die so gar nichts mit der Shanty-Gemütlichkeit der gängigen Seemannslieder zu tun hat, entwickelt sich zwischen den beiden Protagonisten ein Kampf um Leben und Tod. Nicht nur inhaltlich, sondern vor allem sprachlich geht es um Mord und Totschlag. Da werden Robben und Wale brutalst massakriert, alles schwimmt in Blut, Dreck und bestialischem Gestank. Selbst das „Eis randaliert“ und die wilde nordische See setzt zum „Mordschaos noch gewaltige Paukenschläge“ hinzu.

Die Geschichte eskaliert, als ein einfältiger Schiffsjunge zum Schiffsarzt kommt und über „Bauchweh“ klagt, das sich aber schnell als Vergewaltigung herausstellt. Sumner entlarvt zügig Drax als Übeltäter, kann ihn aber nicht überführen, weil der Junge ermordet in einem Fass aufgefunden wird. Daneben deutet sich ein weiteres Verbrechen an: Der Kapitän soll das alte Schiff nach dem Willen des Besitzers versenken, denn es ist altersschwach, der Walfang verliert an Bedeutung und das Schiff ist vorzüglich versichert. Außerdem wartet in der Nähe schon ein anderes Walfangschiff, dessen Kapitän in den Komplott eingeweiht ist und der die Schiffbrüchigen aufnehmen soll.

Der Leser ahnt, die Geschichte nimmt kein gutes Ende, aber alles wird noch viel schlimmer. Eiseskälte, Blut ohne Ende, ein aufgeschlitzter Eisbär und blutrünstige Eskimos vervollständigen die Dramatik, die teilweise über das Ziel hinausschießt. Trotz Effekthascherei und Horrorspektakel lässt der Roman den Leser nicht los, auch wenn die beschriebene Brutalität manchmal fast unerträglich wird. Dieser dramatische Roman um Gut und Böse mit seinen philosophischen und psychologischen Anspielungen über die tiefsten Abgründe des menschlichen Herzens packt den Leser bei seinen Urängsten und überzeugt durch Spannung bis zum Ende.

Ian McGuire: „Nordwasser“, Mare-Verlag, Hamburg, 2018, 352 Seiten, 22 Euro

Und nun zu guter Letzt zu meinem Geheimtipp und Favoriten unter den Frühlingsbüchern. Ein Buch wie ein Ari-Kaurismäki-Film, eine Verbindung aus Krimi und Poesie. Als Liebhaber der schwarz-humorigen, skurrilen und schrägen Filme, die man jedes Jahr bei den Nordischen Filmtagen zu sehen bekommt, ist der Roman: Die letzten Meter bis zum Friedhof“ von Antii Tuomainen ein Stoff, der sofort verfilmt gehört.

Der Romanheld heißt Jaako, ist 37 Jahre alt, verheiratet und Pilzhändler von Matsutake-Pilzen, nach denen Japaner verrückt sind und die in den umgebenden finnischen Wäldern üppig wachsen. Bei einem Arztbesuch erfährt er, dass er tödlich vergiftet wurde und nur noch kurze Zeit zu leben hat. Alle inneren Organe sind schwer geschädigt und der Weg zum Friedhof dürfte eine Frage von Tagen sein. Als er mit dieser Nachricht nach Hause fährt, um mit seiner Frau zu besprechen, was er tun soll, erwartet ihn der nächste Schock: Er erwischt seine Ehefrau Taina in flagranti auf der Gartenliege mit ihrem Fahrer Petri. Stellt sich also sofort die Frage: Hat die Kochkunst seiner Frau nicht nur zu 24 Kilogramm Übergewicht geführt, sondern soll ihn gleichzeitig ins Grab befördern? Oder steckt die schräge Konkurrenz hinter all den sich andeutenden Katastrophen? Die drei ziemlich undurchsichtigen Brüder sind nämlich gerade dabei, mit Hightech und anscheinend endlosen Geldmitteln ihm das Geschäft mit den Japanern zu klauen.

Trotz dieses scheinbar überschaubaren Plots entwickelt Antii Tuomainen aus der Story eine unglaublich wendungsreiche und skurrile Geschichte voller schwarzem Humor und Action, wie wir sie aus den lakonischen Filmen Skandinaviens kennen. Er zeichnet vielfältige, aber starke Charaktere, deren Witz meist völlig spontan, aber äußerst unaufgeregt daherkommt. Es gibt mehrere Todesfälle, die eigentlich eher Unfälle sind, aber an Schrägheit in ihrer Ausführung unübertroffen sind. Knochentrocken und komisch wird zum Beispiel eine Verfolgungsszene im Kreisverkehr beschrieben: „Ich verlangsame das Tempo. Beginne die erste Runde. Mit dem Rückspiegel kann ich nicht mehr viel anfangen, da ich begonnen habe, im Kreis zu fahren, gewissermaßen in einer andauernden Kurve.“ Das kann doch nicht gut ausgehen!

Jede neue Wendung der Geschichte bringt die Suche nach dem vermeintlichen Mörder in noch derberes Fahrwasser. Mehr will ich hier mal nicht verraten, außer dass Tuomainen zukünftig weit oben auf meiner Leseliste stehen wird, denn dieser finnische Autor ist nicht nur ein famoser Geschichten-Erfinder, sondern verfügt über genau den trockenen Humor zwischen derber Geschmacklosigkeit und urkomischem Witz, den ich so liebe. Denn eins ist auf alle Fälle klar: Mit dem Tod vor Augen geht es irgendwie auch leichter.

Antii Tuomainen: „Die letzten Meter bis zum Friedhof“, Rowohlt-Verlag, Hamburg, 2017, 320 Seiten, 19,95 Euro.

Die Bücher sind in den inhabergeführten Buchhandlungen Prosa, Buchfink, Arno Adler, Langenkamp, maKULaTUR und Buchstabe erhältlich.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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