Als Kanzlerin-Fotograf, der Angela Merkel jahrelang begleitete und als Auftragsarbeit ablichtete, machte sich der 1979 in Karl-Marx-Stadt geborene Andreas Mühe einen Namen.
Mit Werkserien wie „Obersalzberg“ und „Neue Romantik“ entwickelte er sich zum „agent provocateur“ der jungen deutschen Fotografie. Jetzt zeigt das Haus der Photografie in Hamburg eine großartige Werkschau des gesamten Œuvre dieses außergewöhnlichen Bildermachers.
Die theatralisch gestaltete Schau in den Deichtorhallen nimmt den Betrachter mit auf eine Deutschlandreise der besonderen Art. Dramatisch inszeniert mit einer ausgefeilten Lichtinstallation, geht es zunächst in den „Großen Saal“, der auf der einen Seite mit großformatigen, scheinbar zu dunkel abgelichteten Bildern in barocker „Petersburger Hängung“ bis über die Mauerhöhe ausufernd vollgehängt ist. Vom Eingang und vom Ausgang grüßen Porträts der Kanzlerin Merkel und ihres Vorgängers Helmut Kohl. Im Raum stehen diverse Leuchtkästen mit frisch geschossenem Wild der Serie „Jagd“, verschiedene bemooste Waldbänke und ein herrlich angeräucherter Jäger-Hochsitz.
Dieser ist leider nicht der Original-Hochsitz von DDR-Größe Mielke aus der Schorfheide, sondern ein Nachbau, weil das Original nicht in die Halle gepasst hätte mit seiner perversen Größe, die den fußlahmen Staatssicherheitschef den Aufstieg zum Abschuss ermöglichte, wie Mühe bei der Eröffnung erklärte. Von oben wird der Blick frei auf die Bilderschau, die geprägt ist von der poetischen Sicht auf die deutschen Dinge des Lebens: provokativ, theatralisch, ironisch und pathetisch. Doch gleichzeitig wirkt das Pathos auch distanziert, denn die scheinbar romantische Welt wird aufs Korn genommen, indem man auf den zweiten Blick zum Beispiel Flüchtlinge im Wald entdeckt. Stimmungsklischees der Deutschen wie Romantik oder Soldatentum werden durch Überhöhung und Glorifizierung gebrochen. Akribisch wird der deutsche Weihnachtsbaum im gesonderten Kabinett abgefeiert, aber auch gleichzeitig in „Becher-Manier“ die Wohnsitze der DDR-Größen in Wandlitz akkurat abgelichtet und in Reih und Glied gehängt.
So entstehen Bilder aus einer rotierenden Gegenwart mit dem Blick zurück nach vorn.
Die Inszenierung der unterschiedlichsten Bilder wirken wie ein Theaterstück, von den romantischen Rügenansichten à la David Caspar Friedrich über blutige Fotos aus der Jagdkammer Honeckers bis hin zu Porträts von feschen Jünglingen oder protzigen Politikern. Nazi-Ästhetik trifft auf biedere DDR-Piefigkeit, scheinbar widersprüchliche Momente und Gesten werden effektvoll ins Licht gerückt, theatralisch inszeniert und sorgfältig arrangiert. Und kaum einer ist vor ihm sicher beziehungsweise will unbedingt vom jungen Fotostar abgelichtet werden: Malerfürst Gerhard Richter, Gangsterrapper Bushido, Feuerrocker Rammstein oder Schauspielervater Ulrich Mühe gehören zu den Porträtierten wie auch Politiker und andere Berühmtheiten.
Andreas Mühe hat eine eigene Bildsprache entwickelt, die in ihrer Ästhetik unverwechselbar ist. Damit gestaltet er deutsche Geschichte und Gegenwart aus einer sehr persönlichen Sicht, die Position bezieht, oft kritisch und ironisch, manchmal verletzlich und poetisch.
Wie Ingo Taubhorn, der Kurator der Deichtorhallen/Haus der Photografie erläutert, „gibt Andreas Mühe in seinen fotografischen Inszenierungen Deutschland zwischen Berlin, Rügen, Rhein und Obersalzberg eine scheinbar andere, zeitlos konservative Wendung: ein Hauch von Vorkriegsreich und der in West und Ost aufgeteilten Nachkriegsrepubliken. Die SED-Funktionäre der DDR wohnen wie Zwerge in einer unauffällig abgeschotteten Siedlung zwischen Berlin und Wandlitz. Das erlegte Wild ist frisch abgehangen“.
Andreas Mühe fordert den Betrachter zum genauen Schauen auf. Vieles wird erst auf den zweiten Blick eindeutig. Und nicht immer ist es die Original-Merkel, der man über die Schulter schaut beim Betrachten der deutschen Landschaft. Der historische Kontext der Bilder verwischt. Erst der genaue Blick verifiziert, ob es sich um eine subjektive Wirklichkeit handelt. Man sollte sich also Zeit lassen, in Ruhe Platz nehmen auf der Waldbank, wie es sich der Künstler Mühe von seinen Besuchern wünscht, und die Bilder für sich sprechen lassen.
Neben dieser großartigen Deutschlandreise eines deutschen Fotografen zeigt das Haus der Photografie aber gleichzeitig auch noch eine andere Schau, die sehr speziell und sehenswert ist. Die niederländische Fotografin Vivian Sassen ist bereits ein internationaler Star der Szene, weltweit ausgestellt und wurde bei der Biennale in Venedig gefeiert und prämiert. Mit ihrer Schau „Umbra“ (ver-)führt sie den Besucher in ganz neue Bereiche der Fotografie, die an Malerei (Rothko, Malewitsch) erinnern oder mit Spiegeln, Licht und Schatten spielen. Harte Kontraste zwischen Hell und Dunkel, zwischen Realismus und Abstraktion werden zu Metaphern für widerstreitende Emotionen wie Angst und Begehren, Erinnerung und Erwartung, Fantasie und Illusion.
Beide Ausstellungen laufen im Haus der Photographie der Hamburger Deichtorhallen noch bis zum 20. August 2017. Kataloge zu den Schauen sind sehenswert und kosten jeweils um die 59 Euro.