Unter dem Baum, Foto: (c) Netop Films / New Europe Film Sales

59. Nordische Filmtage
„Unter dem Baum“ – Wenn ein Nachbarschaftsstreit aus dem Ruder läuft

Islands Filmindustrie ist bekannt für skurrile, schwarz-humorige und abgründige Filme. Genau deshalb lieben wir diese Streifen von der Insel am Polarkreis. Mit dem Film „Unter dem Baum“ von Hafsteinn Gunnar Sigurdsson wurde genau so eine bitter-böse Komödie mit Tiefgang gerade auf den Nordischen Filmtagen gezeigt.

Der isländische Regisseur ist dabei in Lübeck kein Unbekannter. Bereits 2011 wurde sein Erstlingswerk „Either Way“ gezeigt und erhielt den Baltischen Filmpreis. Drei Jahre später folgte mit „Paris des Nordens“ ein weiterer sehr erfolgreicher Streifen bei den NFL.

Jetzt also nach weiteren drei Jahren „Unter dem Baum“ mit dem so bekannten und beliebten Schauspieler Sigurdur Sigurjónsson, der vor zwei Jahren als einer von zwei durchgeknallten Schafzüchter-Brüdern, die sich in die Haare kriegen, überzeugen konnte. Im aktuellen Streifen geht es um Atli, herrlich tumb und naiv dargestellt von Steinthor Steinthorsson, der von seiner Frau aus der Beziehung und gemeinsamen Wohnung geworfen wird, weil sie ihn dabei erwischt, als er sich einen Pornostreifen von seiner Ex-Freundin und sich selbst anschaut und dabei onaniert.

Unter dem Baum, Foto: (c) Netop Films / New Europe Film SalesUnter dem Baum, Foto: (c) Netop Films / New Europe Film Sales

Sofort wechselt sie die Türschlösser. Seine egozentrischen Versuche, Frau und Kind zurückzugewinnen, indem er bei ihr auf der Arbeit auftaucht, oder seine Tochter unerlaubt aus dem Kindergarten abholt, verschlechtern seine Position beträchtlich. Also zieht er erst einmal notgedrungen wieder bei den Eltern im Reihenhaus ein. Doch bei denen sieht es nicht viel besser aus. Ein quälender Nachbarschaftsstreit, der sich hauptsächlich um einen großen Baum der Eltern dreht, der zu viel Schatten auf das Nachbargelände wirft, wo sich die neue und junge Frau des frisch geschiedenen Nachbarn gerne sonnen möchte, sorgt für böses Blut.

Die verhärmte Mutter (Edda Björgvinsdóttir – herrlich grantig) wittert hinter allen Problemen die sportliche Nachbarin, während der Vater (Sigurjónsson), immer wenn es brenzlig wird, zum Singen im Männer-Gesangsverein verschwindet. Es folgen verwüstete Blumenbeete mit nackt-ärschigen Gartenzwergen, eine verschwundene Katze, ein ausgestopfter Schäferhund, und auch dem imposanten Baum geht es an den Kragen. Der bizarre Nachbarschaftsstreit läuft unausweichlich mehr und mehr aus dem Ruder. Menschliche Abgründe tun sich auf und Tote und Verletzte sind zu beklagen. Aber Genaueres will ich hier nicht verraten. Für Freunde böser, absurder Filme, die dabei noch beeindruckend kunstvoll in Szene gesetzt sind, ist dieser Streifen Pflichtprogramm, den man nicht verpassen sollte.

Unter dem Baum, Spielfilm, Island / Polen / Dänemark / Deutschland 2017, 89 Min., isländ. OF, engl. UT

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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