Jan Plewka, Foto: (c) Sebastian Madej

Jan Plewka mit „Eine Art Soloalbum“ auf Kampnagel
Ein großartiger Musiker ganz authentisch

Seit gut 30 Jahren ist der charismatische Sänger und Musiker Jan Plewka die Stimme der Independent-Rockband Selig, ein absoluter Symphatie-Träger und vielseitiger Künstler. Denn seit Jahren spielt er in diversen anderen Konstellationen und Kollektiven, zum Beispiel in der „Schwarz-Roten Heilsarmee mit Rio-Reiser-Abenden oder „Ton, Steine und Scherben“-Revuen, sowie gemeinsam mit seinem Gitarristen-Kumpel Marco Schmedtje. Viele der abendfüllenden Programme hat er in besonderen Inszenierungen in Hamburg auf Kampnagel auf die Bühne gebracht, wie auch am letzten Freitag, als er seine neue Scheibe dort vorgestellt hat.

Ein theatralischer Abend, der wie viele Auftritte in den letzten Jahren vom ehemaligen Intendanten des Deutschen Schauspielhauses Tom Stromberg inszeniert wurde. Es beginnt mit einem Video, das zeigt, wie Plewka mit langem roten Mantel auf einem Fahrrad durch Hamburg fährt und dabei erzählt, dass er sich die letzten fünf Jahre durch seine alten Lyrik- und Tagebücher gearbeitet hat, die er seitdem er 15 ist voll schreibt und zeichnet. Alles landete in einer Kiste, die er in Corona-Zeiten endlich einmal sichten konnte, um daraus eine besondere Kunstform zu gießen - „eine Art Soloalbum“.

Jan Plewka, Foto: (c) Sebastian MadejJan Plewka, Foto: (c) Sebastian Madej

Und natürlich radelt Plewka dann mit seinem roten Fahrrad auch direkt auf die Bühne. Nicht ganz so spektakulär und lärmig, wie früher Judas Priest, die ihren Sänger per Motorrad röhrend auf die Bühne beförderten, aber trotzdem vom voll versammelten Publikum in der ausverkauften K6 auf Kampnagel umjubelt. Er beginnt mit der Nummer „Rauch steigt auf“, ein Song um Ängste, Verlust und Endlichkeit. „Das ist wie beim Phönix aus der Asche - wenn man die alten Ängste ins Feuer schmeißt und den Rauch sieht und mit den Dämonen in Dialog geht und sie dann loslassen kann. „Loslassen bedeutet akzeptieren“, wie der mittlerweile 54-jährige Sänger im Interview erklärte.

Überhaupt wirkt der gesamte Abend wie ein in sich geschlossenes Kunstwerk aus Musik, Sprache, Bühne, Videos und bildender Kunst. Eine knapp 2-stündige Show, die die Besucher auf eine sehr persönliche und poetische Reise durch den Kreislauf des Lebens führt. Und Plewka überzeugt dabei mit seiner unverwechselbaren Stimme und wie er sie einsetzt: warm, brüchig, eindringlich und dabei immer sehr voller Freude und Dankbarkeit, dass alle gekommen sind.

Anna und Jan Plewka, Foto: (c) Sebastian MadejAnna und Jan Plewka, Foto: (c) Sebastian Madej

Natürlich hat er sich außerdem verschiedenste Unterstützung gesichert. Als Gast-Musikerinnen sind Lina Maly, Mieze Katz und seine Ehefrau Anna Plewka bei der Show dabei, wobei er seine Frau stürmisch auf der Bühne abknutscht. Eigentlich sollte ja auch Marianne Rosenberg mit ihm ein Duett singen, aber die Berliner Schwulen-Ikone war selbst auf Tournee und entschuldigte sich per Brief. Also sang Plewka den Song „Nur wenn du bleibst“ allein mit sich im Duett.

Ganz großes Kino wurde dann die Aufführung von „Bald sind wir zuhaus“, eine schwungvolle Nummer mit Hit-Qualität. Denn plötzlich öffnete sich der große schwarze Vorhang hinter der Band (Christoph Bernewitz - E-Gitarre, Tom Gatza - Keyboards, Gitarre, Sonja Glass - Bass, Timon Schempp - Drums, Peter „Jem“ Seifert - Akustikgitarre und Produzent) und ein großes klassisches Orchester aus Kindern und Jugendlichen - das Oberstufenorchester Waldorfschule Wandsbek vollendete dieses wunderbare Lied. Es folgte eine Erfrischungspause, beziehungsweise wie der Musiker lachend erklärte: „Das war jetzt die A-Seite der Scheibe, und wir müssen nun die Platte umdrehen“.

Jan Plewka und Band, Foto: (c) Sebastian MadejJan Plewka und Band, Foto: (c) Sebastian Madej

Nach der Pause folgte eine weitere Inszenierung, diesmal mit Hilfe von „Studio Braun“, die einen kleinen Flieger organisiert hatten, aus dem Plewka beim Song „Luxus“ entsteigt. Selbstkritisch betrachtet er sein Leben als reicher Musiker, der auf Fellini steht und sich alles leisten kann. Dazu gehören natürlich auch verschiedene Kostümwechsel, aber auch wunderbare, die Show untermalende Videos. So gibt es kunstvolle Zeichnungen von Städten, die er als Musiker kennenlernen durfte, wie Aurich, Wilhelmshafen, aber auch Paris, London, Hannover, Leibzig und Lübeck.

Vieles ist magisch an diesem wunderbaren Abend, nicht nur die sehr ehrliche Freude der Musiker über die begeisterten Menschen im Publikum, die willig die Arme werfen oder ihre Handy-Lampen und old-school Feuerzeuge aufblitzen lassen. Magisch sind auch die Worte und Sätze, die wie natürliche Gedichte mit Musik vorgetragen werden. Auch wenn die Stimmungen in den Texten manchmal Moll sind, die Musik bleibt bunt und erfrischend.

Jan Plewka und Band, Foto: (c) Sebastian MadejJan Plewka und Band, Foto: (c) Sebastian Madej

Jan Plewka bleibt sich musikalisch treu. Der Sound des gesamten Konzertes ist sinnlich verträumt, irgendwo zwischen Pop, Rock und Chanson, manchmal fast schon Schlager. Aber es sei ihm verziehen, dafür sind die Texte zu gut, voller Poesie, Ehrlichkeit und Authentizität. Thematisch spannt er den Bogen weit - von Liebe und Sehnsucht über Schmerz und Abschied. Besonders ergreifend ist die Schlussnummer des Abends, die seinem Vater gewidmet ist. Untermalt ist die fast schon im Sprechgesang gehaltene Nummer „Tornado“ von privaten Fotos aus der Kindheit und Jugend des Künstlers. Hier, wie überhaupt während der gesamten Platte ist der Künstler Jan Plewka ganz bei sich, sehr intim, aber nie peinlich. Dieses Solo-Album ist sowohl Lebens-Resümee, wie auch Neu-Aufbruch. Ein großer musikalischer Abend.

Wer Jan Plewka auch in Lübeck sehen will, muss sich noch etwas gedulden. Ab Ende April 2026 geht er mit seiner Band auf Tournee und kommt dann auch am 19. Mai 26 nach Lübeck in die Gollan-Werft: Tickets buchen.


Fotos: (c) Sebastian Madej

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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