Foto: (c) Lauge Sorensen

Saisoneröffnung auf Kampnagel mit Hamlet von Dada Masilo
Radikal gekürzt - rasant getanzt

Hamburgs internationale Kulturfabrik und Zentrum der schönen Künste, kurz: Kampnagel, durfte zur Saisoneröffnung die Deutschland-Premiere der Tanzadaption von Shakespeare`s wortgewaltigem Königsdrama „Hamlet“ von der südafrikanischen Star-Choreografin Dada Masilo aufführen.

Außer ein paar Monologen, wie dem berühmten „To be or not to be“ gleich zu Beginn des Stückes, vorgetragen vom Schauspieler Aphiwe Dike in Englisch und im lila Licht der ansonsten nackten Bühne als Hamlet im Frack, ist die Wort-lastige Tragödie um den Dänenprinzen ein rasant getanztes Performancestück von hohem Tempo, viel Witz und mit einem Fokus auf die Frauenfiguren. Den Anteil der Worte radikal reduzierend kreiert Masilo aus dem gewichtigen Klassiker ein zeitgenössisches, universell verständliches Stück.

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Die weltweit gefeierte Choreografin Dada Masilo, die in Soweto/Südafrika geboren wurde und mit ihren Interpretationen von klassischen Balletten wie Romeo und Julia, Schwanensee, Carmen, Giselle und zuletzt 2022 mit „The Sacrifice“ auch auf Kampnagel zu Gast war und weltweit Erfolge feiern durfte, schält aus der wohl berühmtesten Tragödie der Weltliteratur die Essenz heraus, die ihr am wichtigsten erscheint. Als Frau richtet sie ihren Blick auf das Schicksal von Ophelia, die an ihrer Liebe zu Hamlet und an der Gewalt zerbricht. Und als filigrane, großartige Tänzerin schlüpft sie selbst in die tragische Rolle der Unglücklichen.

Wie das gesamte Ensemble aus 10 TänzerInnen und zwei Schauspielern plus vier live spielenden Musikern stammen alle aus Südafrika. Getanzt wird barfuß mit weit ausufernden Armkreisen, rasanten Läufen, wilden Sprüngen und sich windenden Oberkörpern. Hamlet und die edlen Herren tragen Frack und weiße Hemden, während die Frauen zunächst in fröhlichen Blumenkleidern und später zu Grau und Schwarz wechseln. Es beginnt mit fröhlichen Tänzen vom Hofstaat, der das Königspaar umtanzt. In der typischen Tanzsprache von Masilo, die zwischen zeitgenössischem Tanz und afrikanischen Einflüssen wechselt, wird viel mit kleinsten Gesten oder Augenzucken, aber ohne große Worte erzählt. Es wird gejauchzt bei Freude und sich krampfhaft zu Boden geworfen und gewunden, als der Gifttrunk am Ende alle niederstreckt.

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Dazwischen tanzen die Tänzer*innen akkurat im Takt der rhythmischen Musik, die von den beiden Musikern - Leroy Mapholo und Mpho Mothiba - am Rand der Bühne per Trommel, Rassel oder Geige live vorgetragen werden. Sogar ein Schlauch, der rumgeschleudert wird im Kreis, erzeugt unheimliches Gesurre und unterstützt die teilweise opernhaften Gesänge und das Summen der beiden schwergewichtigen SängerInnen. Wobei Albert Khoza gleichzeitig auf der Bühne auch noch die mächtige Königin Gertrud gibt, die nach der Ermordung ihres Gatten durch seinen Bruder, denselbigen zum neuen König erwählt. Was wiederum den gemeinsamen Sohn Hamlet zur Rache am Onkel zwingt und in den Wahnsinn treibt.

Das alles wird in 1,5-facher Geschwindigkeit mit den typischen blitzschnellen Armbewegungen getanzt und rasant auf die in wechselndem Licht erleuchtete Bühne gebracht. Später solidarisieren sich die unterschiedlichen Körper der schwergewichtigen Königin mit der zarten, nackten Ophelia zu einer trauergebeutelten Einheit, nachdem Hamlet den Vater der Königin, Polonius ermordet hat. Es wird gejammert und gezetert. Auf diesen Augenblick hat Dada Masilo die gesamte Performance ausgerichtet.

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Sie persifliert ganz wunderbar das Chaos im ursprünglich fünften Akt des Dramas - „Wer hat noch mal wen mit welchen Kelchen vergiftet?“ - indem sie die gesamte Tanzkompanie mit Kelchen ausstattet, die sie sich gegenseitig reichen, um alle von dem vergifteten Wein zu trinken. Elegant tanzen sie sich zu Tode, während die Besucher ihnen beim Sterben zusehen. Zuerst fallen sie, dann bäumen sie sich noch einmal auf und zucken bis in den Tod. Nur Ophelia, jetzt gänzlich nackt, überlebt in ihrer Verletzlichkeit und Zartheit und streut Blumen auf die Toten, bis sie sich am Ende selbst ertränkt.


Fotos: (c) Lauge Sorensen

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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