Hoffnung am Ende der Welt. Von Feuerland zur Osterinsel
Wir leben noch

Wieder einmal ist die Völkerkunde-Sammlung mit einer Sonderausstellung unterwegs in Lübecker Museen. Diesmal gibt es erneut eine Kooperation der Völkerkunde, die ihr Archiv im Zeughaus hat, mit dem Museum für Natur und Umwelt, wo bereits die Schau „Macht und Magie“ lief.

Ab Freitag gibt es dort ca. 100 Exponate und viele spannende Geschichten vom Ende der Welt zu sehen und zu hören. Dr. Lars Frühsorge, der Leiter der Völkerkunde, Ethnologe und Kurator der aktuellen Ausstellung ist dazu 2022 und 2023 nach Chile gereist, um Nachfahren der indigenen Bevölkerungsgruppen zu treffen und gemeinsam mit ihnen die Schau zu konzipieren. Denn nach Jahrzehnten der Existenz im Verborgenen, bekennen sich diese Gemeinschaften heute wieder zu ihren Wurzeln. Durch Fake-News und falsche Interpretationen in Büchern und Filmen galten einige indigene Kulturen fälschlicherweise als ausgestorben. Heute kämpfen ihre Nachfahren nicht nur um öffentliche Anerkennung, sondern auch um die Bewahrung ihrer natürlichen Umwelt und ihrer Kultur und Traditionen.

Jährliche traditionelle Tanz-Feier auf den OsterinselnJährliche traditionelle Tanz-Feier auf den Osterinseln

Aus dem Dialog mit vielen dieser Menschen ist deshalb eine zweisprachige Ausstellung in deutsch und spanisch entstanden, auch um spanisch sprechenden Menschen aus Lübeck und der Welt die Schau verständlich zu machen, wie Dr. Frühsorge diesen Ansatz erklärte. Die Ausstellung kombiniert hochwertiges Fotomaterial mit historischen Exponaten und modernen Kunstwerken der indigenen Gemeinschaften der heute zu Chile und Argentinien zählenden Osterinsel und Feuerland. Dazu wurden Mitglieder der indigenen Bevölkerung von Feuerland (Yagan und Selk´nam) um Beihilfe gebeten, genauso wie der Kieler Experte für die Osterinsel, Dr. Andreas Mieth, weltweit führender Ökosystemforscher für die Osterinsel von der Uni Kiel.

Dementsprechend geht es um aktuelle Themen wie Klimawandel, ökologische und koloniale Veränderungen, aber auch Völkermord und kulturelle Aneignung. Besonders ein gefundener Schädel aus dem Archiv der Lübecker Völkerkunde eines indigenen Führers hat dementsprechend für lange Gespräche gesorgt. Natürlich wollten die Selk´nam diesen nicht ausgestellt sehen, berichtete Herr Frühsorge, „Wer will schon den Kopf seiner Großmutter im Museum sehen“. Deshalb hat man im Museum einen schwarzen Raum konzipiert, den ein Sternenhimmel ziert, denn nach Glauben der Indigenen wird ein Verstorbener zu einem leuchtenden Stern am Himmel, erklärte Dr. Frühsorge.

Dr. Lars FrühsorgeDr. Lars Frühsorge

Überhaupt weiss der Kurator zu fast jedem Exponat eine spannende Geschichte zu erzählen. So seien die berühmten Moai, die kolossalen Steinskulpturen auf Rapa Nui, wie die Einheimischen die Osterinsel nennen, früher bemalt gewesen. Auch die Theorie, dass sich die frühere Bevölkerung buchstäblich ihr eigenes Grab schaufelte, indem sie die Wälder der Insel abholzten, gilt heute als widerlegt. Es waren die Kolonialisten, die dafür hauptsächlich verantwortlich waren. Auch galt die ursprüngliche Bevölkerung als nahezu ausgestorben, nachdem ein französischer Verbrecher sich selbst zum König ernannte und ein Terror-Regime installierte, bis nur noch 110 Menschen von ursprünglich über 5000 überlebten.

Die Osterinsel, die erst 1967 durch Chile ihre Bürgerechte zurückbekam, leidet bis heute darunter, dass es Theorien gibt, die behaupten, dass ihre Kultur verschwunden sei. Das stimme aber nicht, denn bis heute gibt es demokratische Wahlen, die mit kultischen Ritualen, wie dem Vogelmann-Ritual verbunden sind. So gibt es nach wie vor dieses spezielle Ereignis eines sportlichen Schwimm-Wettbewerbes, bei dem ein Vertreter einer jeweiligen Gruppe das erste Ei von Hochsee-Vögeln von einer äußeren Insel heil auf die Hauptinsel bringen muss. Auch gibt es eine Art Karneval, wobei traditionelle Tänze und historische Artefakte vorgeführt werden, wie ein Video in der Schau belegt. Heute ist die Osterinsel ein Sehnsuchtsort, nachdem diverse Bücher und ein Film mit Kevin Kostner hunderttausende Touristen auf die Inseln am Ende der Welt lockten. Natürlich führt das wiederum zu kulturellen Aneignungen und ökologischen Problemen.

Zu sehen gibt es zum Beispiel Modelle hölzerner Schiffe, die einerseits die größte Migrationswelle der Geschichte von Taiwan und Südostasien nach Südamerika, Feuerland und die Osterinsel belegen, aber auch heutige Modelle, die schon früh von Eingeborenen an Seefahrer und heutige Touristen verkauft wurden. Dazu gibt es alte Holzskulpturen, die teilweise gerade wieder zusammengeführt wurden. So sind eine Fruchtbarkeits-Skulptur und die Restfamilie aus Hamburg und Lübeck endlich gemeinsam zu sehen. Rapa Nui, „das Ende der Welt“, wie es Kolonialisten nannten, während die einheimische Bevölkerung vom Mittelpunkt der Erde sprach - es ist halt alles eine Frage der Perspektive - besaß also früher tatsächlich Holz.

Dr. Frühsorge will mit dieser Ausstellung mit vielen Falschmeldungen aufräumen. Zum Beispiel, dass die indigene Bevölkerung von Feuerland, die Yagan und die Selk´nam, die als See-Nomaden und Jäger lebten, durch den Völkermord ausgestorben sei. Außerdem wurden sie seit Zeiten von Charles Darwin als primitivste Menschen auf Erden verunglimpft. Eine kleine Hörstation in der Ausstellung beweist, dass es noch Nachfahren gibt, die diese Sprachen sprechen.

Lamas in PatagonienLamas in Patagonien

Auf eine besondere Verbindung wies auch noch Frau Dr. Füting hin, nämlich auf eine biologische Beziehung von Südamerika und Lübeck. Heute gibt es eine große Population von Nandus im Umland von Lübeck, große Laufvögel, die eigentlich in der Pampa und in den Anden von Chile und Argentinien leben. Aus einer Privat-Zucht bei Groß Grönau waren einst einige Tiere in die Natur geflüchtet, die heute eine eigene Population darstellen, aber auch viel Ärger mit Verkehrsteilnehmern und Bauern heraufbeschwören. Aber auch andere Exponate der Schau haben einen konkreten Lübeck-Bezug. So stammen diverse Exponate aus dem Besitz der berühmten hanseatischen Familie Sartori, die als Auswanderer eine Farm, die „Nueva Lubecka“ gründeten. Von dort stammt zum Beispiel ein wunderbar bemalter Mantel aus Pferdehaut, ein einmaliges Stück, das vermutlich ursprünglich einem Häuptling der Tehuelche gehörte, der sich auf der Hazienda aufhielt. Dieses und noch viel mehr hat Dr. Lars Frühsorge von seinen Reisen und Gesprächen nach Chile zu berichten, die er für seine „ eindrucksvollsten Erlebnisse“ seiner Forscher-Tätigkeit hält.

„Diese Ausstellung, die in enger Zusammenarbeit mit den indigenen Gemeinschaften von der Osterinsel und Feuerland konzipiert wurde, kommt meinem Anspruch, mit den Kulturen zu arbeiten, statt über sie, näher als je zuvor“, erläuterte er. Ein weiterer Beleg, wie ein Umdenken endlich in Zeiten von Diskursen über Kolonialismus, Rassismus und Völkermord, Beutekunst und Rückgabe von ethnologischen Schätzen, notwendig ist und in Lübeck zumindest in vielen Ansätzen auch bereits aufgenommen wurde.



Die Ausstellung „Hoffnung am Ende der Welt. Von Feuerland zur Osterinsel“ läuft bis zum 3. September im Lübecker Museum für Natur und Umwelt. Es gibt ein umfängliches Begleit-Programm mit Führungen zum Beispiel mit Dr. Andreas Mieth aus Kiel, sowie Vorträge und eine Lesung mit der Lübecker Autorin Charlotte Kerner, die am 4. April aus ihrem Roman „Kopflos“ liest, der unter dem Eindruck ihrer Reise auf die Osterinsel entstand.


Fotos: Holger Kistenmacher

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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