Ich weiß gar nicht genau, wie oft wir uns schon in einem deiner Konzerte gesehen haben. Seit den 80er Jahren dürften es mindestens acht bis neunmal gewesen sein. Zuletzt war es vor drei Jahren hier an gleicher Stelle im Stadtpark von Hamburg. Jetzt war die „Queen of Cool“, wie sie Michael Stipe von REM einst nannte, wieder in einer ihrer deutschen Lieblingsstädte, im herrlichen Grün der wunderbaren Konzert-Arena, wie sie gleich zur Begrüßung der gut 4.000 Fans betont.
Was hat die „Godmother of Punk“ nicht schon alles für Bezeichnungen bekommen: Sie sei eine fleißige, kluge Frau, eine Seelenverkäuferin, die Poetin des Punkrock, ja selbst als Schamanin wurde die Musikerin, Schriftstellerin und Fotografin betitelt. Dabei ist die eigenwillige Frau aus New York eigentlich hauptsächlich 78 Jahre Rockgeschichte oder besser noch Kulturgeschichte.
Patti Smith lebte 1969 mit dem genialen Fotografen Robert Mapplethorpe im Chelsea Hotel, saß 1997 am Sterbebett des Beat-Poeten Allen Ginsberg und nahm 2016 stellvertretend für Bob Dylan dessen Literaturnobelpreis entgegen. Dazu verfasste sie mehrere Bücher und erfolgreiche Musikalben.
Ähnlich wie Urgestein Iggy Pop, der neulich erst ebenfalls in Hamburg mit 78 Jahren bewies, dass er es noch drauf hat, war auch das Konzert von Patti eine Art Jungbrunnen für Künstlerin und Publikum. Sie strahlt nach wie vor ein Charisma aus, eine Bühnenpräsens zwischen Authentizität, Ehrlichkeit, Menschlichkeit, gepaart mit einer fast kindlichen Freude. Die Fans spüren die Ernsthaftigkeit einer großen Künstlerin, die sich nach wie vor bei jedem ihrer seltener werdenden Konzerte verausgabt, alles gibt. Und die in jeder Sekunde ihres künstlerischen Daseins, egal ob als Musikerin, Lyrikerin oder Fotografin Haltung zeigt, in der Gewissheit: Ein anderes Leben ist möglich: „People have the Power“.
Sebastian Rochford und Patti Smith, Foto: Holger Kistenmacher
Also startet sie ihr Konzert mit einem entspannten Reggae-Song „Redondo Beach“, eine spannungsreiche Kreuzung aus textlicher Trauer und reggaehaft-fröhlicher Musik als Reminiszenz für das 50jährige Jubiläum ihres Debütalbums „Horses“ von 1975. Allerdings bleibt das das einzigste Stück von dem Album. Dazu spielt ihre auf ein Quartett geschrumpfte Begleitband puristisch: Sohn Jackson Smith bedient die Gitarre, Seb Rochford sitzt an den Drums und Tony Shanahan spielt Bass und Keys. Immer mal wieder stößt Steve Earl an allerlei Gerätschaften dazu. Gleichzeitig zeigt sich die Rock-Ikone bei ihrem Auftritt cool, würdevoll und kämpferisch.
Patti Smith wirkt wesentlich jünger als 78 Jahre, gleichzeitig strahlt sie Würde, Gelassenheit und einen unbändigen Willen zu Freiheit, Solidarität und am wichtigsten Liebe aus. Dabei ist sie alles andere als eine „Dame“, dafür ist sie immer noch Punk mit ihren schwarzen Stiefeln, der Jeans, dem übergroßen Jacket über Weste und einfachem T-Shirt. Unter ihrer angegrauten Wallemähne steckt immer noch eine ordentliche Portion Leidenschaft, Emotion und Energie in der alten Freundin.
Also singt sie mit ihrer klaren Stimme mal schön, mal knarzig, mal voller Seufzer oder als Sprechgesang, aber nie glattpoliert über Love, Peace und Politics: „Let our peaceful numbers grow“, „Feel your fucking freedom“. Folgerichtig folgt im Set der „Ghost Dance“ von 1978, den Hopi-Indigenen gewidmet, denen das Trump-Regime spirituell wichtiges Land rauben will, um es für Öl-Bohrungen frei zu geben. Auch das gemeinsam mit Shanahan geschriebene Lied „1959“ schlägt in eine ähnliche Kerbe. Dann geißelt sie die Ungerechtigkeiten der Zeit, wie das Sterben der Menschen in der Ukraine und im Gaza-Krieg und tituliert eindeutig deren Verursacher: „Jedes tote Kind ist eines zu viel“.
Dann wird es wieder musikalischer mit ihrer Hommage an den geliebten Dichter William Blake, dem der Song „My Blakean Year“ gewidmet ist. Es folgen auf der Setlist: „Nine“, der klassische Mitsinger „Dancing Barefood“, der „Transcendental Blues“ von Steve Earl und „Man in the long Black Coat“ von ihrem Freund und Mentor Bob Dylan. Artig bedankt sich Patti bei dem Publikum, dass fast alle Songs lauthals begleitet oder wenn von ihr gewünscht mit klatschenden oder wedelnden Händen untermalt. Sie tänzelt über die Bühne, winkt immer wieder freundlich ins Volk oder wagt sich vorsichtig auf den Steg ins Publikum.Sebastian Rochford und Patti Smith, Foto: Holger KistenmacherDann folgt natürlich ihr eigentlich größter Hit, den alle herbei gesehnt haben: „Because the Night“, die wunderbar tanzbare Nummer, die man auch herrlich mitgröhlen kann. Die Nummer kündigt sie als gemeinsamen Song mit ihrem 1994 verstorbenen Ehemann Fred „Sonic“ Smith an, der auch bei den grandiosen MC5 spielte und der Vater von Gitarrist Jackson Smith war. 1977 wartete sie auf einen Anruf von ihm, als sie ihr Album „Easter“ aufnahm und Studionachbar Bruce Springsteen ihr den von ihm begonnenen Song zum Komplettieren zur Verfügung stellte.
Im herbeibejubelten Zugabenteil singt sie dann, begleitet nur vom Akustik-Gitarrenspiel ihres Sohnes Jackson einen weiteren kleineren Song von Bob Dylan: „One too many Mornings“ und beschließt wieder mit der gesamten Band den entspannten Stadtpark-Auftritt mit dem legendären „People have the Power“. Hand in Hand verabschieden sich die glücklichen Musiker inmitten des Publikums auf dem Steg ins Rund des Stadtparks. Und Patti verteilt sogar noch einige Setlisten an die Fans und verabschiedet sich mit Handschlag und kurzen Gesprächen mit einzelnen Leuten aus dem Publikum.
Bleibt zu hoffen, dass Patti Smith auch weiterhin so gesund und frisch bleibt, um uns alle mit weiteren Besuchen zu beehren.