Nach dem quasi „Lustspiel“ über Vivaldis „Jahreszeiten“ mit dem Janoska Ensemble bescherten die Lübecker Philharmoniker unter ihrem GMD Stefan Vladar nun in ihrem nächsten, dem sechsten Sinfoniekonzert eines mit einem ganz anderen Programm. Ernster war es und gewichtiger. Vor allem das Violinkonzert Mieczysław Weinbergs im ersten Teil beeindruckte stark.
Es stand als tiefgreifender Schlusspunkt in der Reihe von Aufführungen, mit denen das Theater Lübeck an den 1919 in Warschau geborenen Komponisten Weinberg erinnerte. Seine Oper „Die Passagierin“, nach der Premiere am 12. Oktober 2024 in Lübeck zu sehen, hatte wieder für das Thema Auschwitz sensibilisiert. Er selbst, jüdischen Glaubens, war vor dem faschistischen Deutschland geflohen, über Weißrussland nach Moskau, dorthin, wo ihn und seine Familie der Stalinismus terrorisierte. Erst die Zeit nach Stalins Tod gab ihm Ruhe, Werke wie das Violinkonzert zu schaffen oder zehn Jahre später die „Passagierin“. Beide zeugen intensiv von seinen Erlebnissen. Er starb 1996 in Moskau nach einer Krankheit, die ihn drei Jahre ans Bett fesselte.
Sein viersätziges Violinkonzert ist ungewöhnlich beredt. Gleich anfangs glaubt man das Soloinstrument gehetzt und getrieben zu hören. Laute Schlagzeugschläge bedrohen es, bevor es im zweiten Themenkomplex für ein paar Momente Ruhe findet. Dann beginnt die atemraubende Jagd von neuem, immer wieder, ehe es den Satz beschließt. Eine große Aufgabe ist es für den Solisten, diesen Wandel zu gestalten. Immer wieder zeugen Partien von Lebensmut, aber auch von der inneren Disharmonie, von der Spannung, die sein Leben prägt. Zwei langsamere Mittelsätze, ein Allegretto und ein Adagio, beleuchten dann diese andere Innenwelt, die sich bedachtsam und farbig entwickelt, bis im vierten Satz ein falsches Außen wieder zu überwältigen droht. Die seelenlose Pracht von Märschen und Tänzen in der Struktur des „Allegro con fuoco“ erinnert an Dmitri Schostakowitsch, der Weinberg zum Freund geworden war.
Stefan Vladar, Foto: (c) Olaf Malzahn
Seine Musik ist ungewöhnlich, teils ungeschminkt, sprach das Publikum dennoch unmittelbar an, zumal der Wiener Benjamin Schmid mit seinem äußerst sensiblen Spiel dieser bedrohten Innenwelt glaubwürdig Klang gab. Mit zwei sehr unterschiedlichen Zugaben aus Johann Sebastian Bachs Partiten bedankte er sich am Montag für den großen Applaus, wählte dabei aus dessen ungewöhnliche Spieltechniken fordernden Solowerken zwei sehr unterschiedlichen Charakters. Aus der ersten Partita war es die melodisch und harmonisch reiche „Sarabande“, aus der dritten dann das „Preludio“, ein linear konzipiertes, dennoch akkordisch gedachtes Werk, das einen außergewöhnlich behänden Solisten fordert. Benjamin Schmid wandelte diese zweite Zugabe mit Mimik und Auftreten zu einem Virtuosenstück, das sogar das Orchester erheiterte, das ihm ein bewundernswert sensibler Partner war.
Im zweiten Teil dirigierte Stefan Vladar Antonín Dvořáks (1841-1904) sehr bekannte und beliebte Sinfonie Nr. 9 in e-Moll, die so eindringlich nationale wie weltläufige Momente mischt. Sie trägt den markanten Beinamen „Aus der Neuen Welt“ und soll jedoch nach des Komponisten Willen nur „im Geiste dieser amerikanischen Volkslieder geschrieben“ sein. Dennoch, viele Eindrücke sind aus seinem dreijährigen Aufenthalt in New York verarbeitet. So fasziniert sie immer noch als feine Mischung eines Werks, das seine böhmische Herkunft nicht verleugnenden Komponisten. Auch in diesem Konzert durfte man wieder eine selten geschlossene Wiedergabe erleben. Stefan Vladar hatte sich so vorbereitet, dass er auswendig dirigieren und alle Kontraste in Stimmung und Klang intensiv herausarbeiten konnte. Seine Philharmoniker folgten ihm an allen Pulten mit großer Geschlossenheit. Langer Beifall zeugte auch bei diesem Werk, dass diese Wiedergabe intensiv aufgenommen wurde.