Die Tindersticks auf Kampnagel
Poesie zwischen Schmerz, Schönheit, Selbstzweifel und Melancholie

Ein Konzert der 1992 in Nottingham gegründeten Band rund um den Mastermind, Texter und Sänger Stuart Staples ist immer etwas Besonderes. Das Quintett passt nicht so Recht in eine musikalische Schublade.

Mit ihren dichten, ernsten Liedern mit anspruchsvollen Texten, umgeben von einer fast düsteren, cineastischen Atmosphäre werden sie meist als Tragik-Pop oder alternativer Kammer-Pop verortet. Dabei versetzt der Gesang von Stuart mit seinem brummelnden Vibrato seiner Bariton-Stimme das Publikum geradezu in eine sanft-hypnotische Stimmung.

Nach der pandemiebedingten Unterbrechung der letzten großen Veröffentlichung „No Treasure But Hope“ von 2019 findet die Band auf ihrem neuen Album „Soft Tissue“, das sie im Mai 2024 im spanischen Girona aufgenommen hat, endlich wieder ihren Rhythmus. Am Sonntag waren die Tindersticks einmal wieder auf Kampnagel zu Gast, um herrlich herzergreifend ihre düsteren und teils dramatischen Songs anmutig und hingebungsvoll zu zelebrieren. Dabei spielten sie sowohl das gesamte neue Album als auch diverse Highlights aus ihrer über 30jährigen Karriere.



Zu Beginn machte ein Klassiker „How To Entered“ von „The Waiting Room“ den Auftakt für ein sorgfältig kuratiertes Set, welches mit den nachfolgenden „A Night So Still“ und „Trees Fall“ sofort das Publikum zum Träumen, Schweben und Meditieren brachte. Das brummelnde Vibrato des Frontmanns Stuart Staples feierte die Schönheit des Einfachen. Der Sänger griff ab und zu zur Gitarre oder schlug sanft mit dem Besen auf ein Becken. Dann spielte er auch noch liebevoll auf der Melodika und wiegte sich selbstvergessen im Tanz. Ansonsten kam er mit wenig Gestik durch den Abend und sprach erst am Ende des Konzerts mit dem Publikum. Er sei zwar schon mehrfach in Hamburg gewesen, aber das heutige Publikum habe es ihm sehr besonders gemacht.

Seine Mitstreiter, alles große Könner an ihren Instrumenten legten einen oft minimalen Soundteppich unter den Gesang von Stuart. Dabei war meist weniger mehr. So spielte Earl Harvin souverän und ebenfalls meist mit dem Besen dezent aber taktvoll akzentuiert sein Schlagzeug, während sich David Boulter und Dan McKinna an Bass und Tasten eine Dauer-Rochade lieferten. Der Gitarrist Neil Frazer zupfte und berührte seine Gitarre intensiv aber sanft und leise, konnte aber sein Können trotzdem bei einigen kleinen Soli unter Beweis stellen.



Poesie lag in der Luft, die bei dem elegant souligen „Lady With The Brain“ wie beim Aufklaren nach einem dunklen Gewitter die Sonnenstrahlen auf die düstere Bühne durchließen. Dann zwitscherten Vögel, Glockenspiel und dezente Tasten begleiteten durch das fragile Konstrukt von „Willow“, wobei das besungene Glück wieder ins Melancholische abdriftete. Selbstzweifel, Schwäche und Schmerz lauerten in fast jedem Song. In „Nancy“: „Answer me, it was just a line of speed“ gibt sich Stuart verlassen, obwohl offen bleibt, ob jene Nancy durch eine von ihm verabreichte Überdosis unbeabsichtigt umgebracht wurde. Dabei bestimmt ein cooler Bass ganz klar die Richtung und bewirbt sich indirekt schon einmal für den nächsten Film von Tarantino. Überhaupt haben etliche Songs die Qualität für Underground-Filme der alternativen Sorte. So wie beim Song „Turned my Back“, das wie ein lauerndes Biest für Gefahr sorgt. „I Held it in my hands, trembling“, wobei das „It“ wahlweise für vermeintliche Freiheit, Glück, Begierde, Sehnsucht stehen könnte, aber leider alles verpasst und alles verloren ist.

Im letzten Drittel des Konzerts kam dann doch noch fast sowas wie Euphorie und Freude auf. Druckvoll und etwas rockiger wurden Titel wie „The Secret Of Breathing“, „Always A Stranger“ und „New Order“ unter das Volk geworfen, das dankbar mitging und lächelnd auf den Sitzen tanzte, wenn auch nur in Gedanken oder durch Kopfnicken.“Slipping Shoes“ und „Turned My Back“ machten eine Sehnsucht nach Freiheit deutlich und brachten die begeisterten Zuschauer fast schon zum Mit-Klatschen. Mit sanfter Stimme sang Stuart Staples tieftraurige Texte untermalt von typischen Zwiegesprächen von Keyboards und Gitarre: „I won´t let love become my weakness“.



Mit „Soon to be April“ beendete die Band dann erstmal das Konzert, um aber kurz danach noch einmal für drei Zugaben auf die Bühne zurückzukehren, um ihren treuen Fans mit „Pinky in the Daylight“ und dem abschließenden „For the Beauty“ noch einige freundliche Gedanken mit auf den Heimweg zu geben: „Just to feel, to live and to love“.

Fotos: Holger Kistenmacher

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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