Nach der Pandemie-Pause sowie der Club-Edition im letzten Jahr konnte dieses Jahr das wunderbare und beliebte Post-Genre-Jazz-Festival erstmalig wieder seit 2019 auf Kampnagel in Hamburg stattfinden. Zwar war das Programm in nur noch 3 Hallen mit insgesamt 21 Acts deutlich abgespeckt, aber die geringere Quantität sollte dabei nicht unbedingt mit geringerer Qualität gleich gesetzt werden. Dafür war das Programm am Freitagabend einfach zu frech, zu jung und zu divers.
Da war zum Beispiel als Opener in der großen K6 der Hamburger Jung Silvan Strauss am Schlagzeug. Der junge Drummer, Komponist und Beatmaker wurde als krassester Schlagzeuger der Hansestadt vorgestellt und bewies gleich von Anfang an, was für ein frischer, energiegeladener und unfassbar guter Mann er an seinen Trommeln ist. Mit einem Dauergrinsen absolviert er seinen Part als dynamischer Tonangeber, der sein Quartett aus Bass, Keyboards, Saxophon und Gitarre ungemein antrieb, dass es eine Freude war.
Er erzählte davon, dass er schon als kleiner Junge zu Besuch beim Überjazz gewesen sei und all die geilen Sachen gesehen hätte. „Und jetzt stehe ich selbst auf der großen Bühne und darf hier spielen“. Als dann auch noch als Überraschungsgast Lena Goye mit Gitarre und Gesang dazu kam, war die Besetzung perfekt. Bei dem Stück „Sometimes“ von George Duke, das mit viel Elektronik, Echo, Gefrickel und den Drums von Strauss der Extraklasse über die Bühne ging, war die Begeisterung groß.
Offiziell eröffnet wurde der Abend gut eine Stunde vorher von dem Projekt Gianni Brezzo, hinter dem sich eigentlich der in Köln ansässige Produzent und Multiinstrumentalist Marvin Horsch verbirgt - in der voll besetzten K2. Seine sechsköpfige Band war mit drei Musikern und drei Musikerinnen paritätisch besetzt und wurde von Horsch mit seiner E-Gitarre, die schon fast klassisch wirkte, dezent geführt. Es wurde ein entspannter Kopfnickergroove geboten, der lässig mit fast schon barocken Einflüssen daherkam.
In der Clubatmosphäre der kleinen KMH durfte sich dieses Jahr das Münchner Label Squama Records aus dem Umfeld der Band Frazer präsentieren. Da gab es zum Beispiel die zierliche japanische Pianistin Masako Ohta, die sich mit dem Trompeter Matthias Lindermayr von Faser zusammen getan hatte oder die mongolische Sängerin Enji, die mit einer fünfköpfigen Band auftrat und dabei ihre Glocken-helle-Stimme aufblitzen ließ.
Etwas seltsam war dann der Auftritt von Bex Burch, hinter der die in Berlin lebende Percussionistin und Instrumentenbauerin Burch steckt, die mit einer Geigerin und einem Sammelsurium an Klanginstrumenten auf der Bühne K2 hantierte. Ihr seltsames Gedängel, das unter anderem mit Hilfe eines Kochtopfes entstand, wird von ihr selbst als „Messy Minimalism“ beschrieben. Als sie dann noch allerlei Rasseln und Klingel-Zeugs aus der Plastiktüte an das Publikum verteilte, habe ich lieber die Halle verlassen.
Dafür wurde es in der großen K6 mit dem in Seattle/USA geborenen Sänger, MC, Produzenten und Drummer Kassa Overall wieder hoch spannend. Seine vierköpfige Band verknüpfte Rap und Jazz auf ungehörte Art und Weise. Sein quirliger Saxophonist, der aber auch für Percussion und manchmal Schlagzeug zuständig war, wirbelte über die Bühne und setzte dem 808-Beats des Avantgarde-Schlagzeugs und der Rap-Poesie seines Chefs die Krone auf. Ein vielseitig rhythmischer Set voller elektronischer Spielereien wie orchestralen Streicher-Arrangements aber auch eleganten Jazz-Improvisationen - wunderbar und schlau.
Es folgte ein weiterer Höhepunkt des Abends mit der galaktischen Musik vom zauberhaft verschrobenen Projekt „Salami Rose Joe Louis“, hinter der die aus der kalifornischen Bay Area stammende Songwriterin, Multiinstrumentalisten, Sängerin und Produzentin Lindsay Olsen steckt. Gemeinsam mit ihrem Gitarristen bot sie eine schräge und teilweise gesampelt sphärische Mischung aus Jazz bis HipHop, sehr abgedreht und außerirdisch.
Dann war noch Alabaster Deplume aus London auf der großen Bühne zu Gast, der ebenfalls sehr außergewöhnlich mit seinen drei Mitstreiterinnen, einer Schlagzeugerin, einer Gitarristin und Keyboarder daherkam. Als schräger Saxophonist, der sein Instrument wirklich schräg hält und spielt und als Spoken-Word-Poet belustigte und beschimpfte er erstmal sein anfänglich verunsichertes Publikum. Dann legten er und seine dynamische Band aber doch auf der Bühne ein großartiges Set hin - bei seinem lange erwarteten Debüt beim Hamburger Überjazz-Festival.
Fotos: (c) Holger Kistenmacher