Foto: (c) Holger Kistenmacher

Musikalischer Geheimtipp - Jungstötter auf Kampnagel
Ist das wirklich der neue Nick Cave der Gegenwart?

Die Vorschuss-Lorbeeren hingen ziemlich hoch im Vorfeld des Konzertes auf Kampnagel von Fabian Altstötter, alias Jungstötter, wie sich der mittlerweile 31 jährige Musiker aus Landau in der Pfalz, der nach Zwischenstop in Berlin jetzt mit seiner Freundin und Indiepop-Musikerin Anja Plaschg alias Soap&Skin in Wien lebt. Viele Kritiker und Musikliebhaber vergleichen seine sonore Stimme mit Leuten wie Nick Cave, Scott Walker oder Mark Hollies von Talk Talk.

Die fünfköpfige Band um den introvertierten Sänger zeichnet düstere Bilder und setzt auf theatralisch dramatische Inszenierungen der Songs, die hauptsächlich von der zweiten Soloscheibe „One Star“ stammen. Seine Karriere begann mit dem Alternativ-Trio Sizarr, bevor er sein Solo-Projekt 2019 mit Jungstötter fortsetzte. Während die erste Platte „Love Is“ noch überwiegend von Stimme, Elektronik und Klavier geprägt war, hat er jetzt mit dem neuen Material neue Wege beschritten.

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Nach wie vor thront sein dunkler, warmer Bass-Gesang über der vielschichtigen Begleitung von Bläsern, Gitarren, Synthesizern, einem jazzigen Schlagzeug, dem akustischen Bass und ein wenig Klavier. Zu Beginn der Show erinnert seine sonore Stimmlage aber auch an den älteren David Bowie, manchmal aber ist sie auch so grabestief wie bei Leonard Cohen. Dabei haben die Stücke eine magische Sogwirkung inklusive atonaler experimenteller Sound-Elemente, die sich manchmal bis zu einer brutalen Noise-Wand auftürmen können. Da werden Erinnerungen an die isländische Band Sigur Ros hörbar, obwohl Fabian Altstötter eher von seinen Bezügen zu Radiohead oder den Einstürzenden Neubauten spricht.

Die Instrumentierung seiner düster- melancholischen Songs sind sehr ausgefeilt und vielschichtig, mal zart fragil, dann brutal, hart und industrial. Ein schlichtes Liebeslied wie „My fear ist but a looting game“ wird nur von einer zarten Gitarre begleitet, während andere Stücke von Samples, Rückkopplungen und Echos nur so strotzen. So ist die Nummer „Nothing is Holy“ von Echo und Hall geprägt.

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Seine Lieder erzählen von Schmerz, von Verlassensein und von der absurden, existenzialistischen Last, am Leben zu sein. Dabei sind die Texte für den Hörer aber auch teilweise sehr herausfordernd, wenn es zum Beispiel um den menschengemachten Klimawandel geht, wie in „Burdens“. Es geht ihm dabei um Last, Schuld und Aggression, wie er in einem Interview betonte. Der Song fragt, warum wir uns das selbst einbrocken. Produziert wurde die aktuelle Scheibe von dem Stuttgarter Krach-Spezialisten Max Rieger von den Nerven. Am Schlagzeug sitzt nach wie vor Manu Chittka, während der alte Kollege P.A. Hülsenbeck für Gitarre und Synth zuständig ist.

Die gesamte Show ist mit einer wunderbaren Licht-Installation, besonders bei den düster romantischen Stücken, beleuchtet. Die unheimliche Atmosphäre von zum Beispiel „Nothing is Holy“ wird mit faszinierender Dunkelheit auf der Bühne exzellent in Szene gesetzt, so dass unweigerlich das Bild auftaucht, nachts über einen Friedhof zu spazieren. Dazu singt Altstötter atemlos, während metallisch klirrende Becken und ein schwerfälliges Schlagzeug mit quietschenden Geigensamples ein beklemmendes Gefühl erzeugen. Immer wieder streut die Band aber auch kleine Pausen in die Stücke ein, die die Dynamik der Musik noch verstärken. Art-Pop vom Feinsten.

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Am Ende des Konzert ziehen die fünf Musiker noch einmal alle Register und lassen den Emotionen und Klängen freien Lauf bis zur krachenden Noise-Wand. Die beiden Zugaben, die sich das leider sehr bescheiden versammelte Publikum erklatscht, sind dann wieder sehr viel ruhiger, handelt es sich doch auch um ältere Stücke vom ersten Solo-Album. Es ist zu hoffen, dass es sich auch im Norden noch mehr rumspricht, was für eine großartige und einzigartige Band da am Start ist. Die Show und die Musik hätte auf jeden Fall ein größeres Publikum verdient gehabt.

Wienerisch charmant verabschiedete sich der Sänger und seine Band dann, indem er uns allen noch eine angenehme Nacht wünschte und „gehabt euch wohl“.


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Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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