Gary Powell an den Drums

Edel-Optics-Arena in Wilhelmsburg
The Libertines auf Besuch in Hamburg

Anläßlich ihrer „Up The Bracket - 20th Anniversary Tour“ lässt es die wiedervereinte Skandal-Truppe rund um Pete Doherty in der Edel-Optics-Arena in Wilhelmsburg richtig krachen.

Dabei hatte man die einst als größte Rock-Sensation Großbritanniens gefeierte Band Anfang des 21. Jahrhunderts schon abgehakt. Zuviele Skandale, Prügeleien, Drogen und gegenseitige Einbrüche hatten das kongeniale Gesangs- und Gitarren-Duo Pete Doherty und Carl Barat gesprengt. Immer wieder war Doherty aufgrund seiner Crack- und Heroinsucht am Boden oder im Knast. Selbst Solo-Versuchen wie mit den Babyshambles blieben eher die Ausnahme. Doch dann im Jahre 2015 wendete sich das Blatt. Es folgte die Reunion und das dritte Studioalbum „Anthem for Doomed Youth“.

Doherty lebt mittlerweile in der Bretagne, hat eine neue Frau und ist angeblich clean. Um ihn vor neuem Drogenkonsum zu schützen, soll ihn seine Frau auch schon einmal eingeschlossen haben, hört man. Als Doherty jetzt auf die Bühne der Sporthalle, wo normalerweise die Hamburger Basketballer der „Towers“ spielen und die mit 1.700 Besuchern relativ gut gefüllt ist, tritt, sieht man ihm seine körperlichen Veränderungen an. Er wirkt aufgedunsen und fett, aber immer noch agil und gut gelaunt. Lässig legen er und sein Kumpel Barat los. Im Laufe des Abends spielen sie sich locker durch das gesamte Material von „Up the Bracket“ und zwar komplett von A wie „Vertigo“ bis Z wie „I get along“ in der exakten Album-Reihenfolge. Und die Songs haben insgesamt absolut nichts von ihrer Rohheit und Aggressivität verloren.

Pete DohertyPete Doherty

Der Unwille sauber gespielter Akkorde und wildem Gitarren-Geschrammels zieht sich durch den gesamten Abend. Doherty und Barat werfen sich die Bälle zu, fächern sich mit ihren Hüten auch mal Frischluft zu, aber verschwinden oft auch schnell einmal an den Bühnenrand, um Alkohol-technisch nachzulegen. Bassist John Hassall steht dabei - cool sein Musikgerät am Buch haltend - am Rand und wartet auf seinen Einsatz. Den legt er dann aber genauso wie sein Rhythmus-Partner, Gary Powell an den Drums, mit größter Dynamik und Druck auf die Platte. Überhaupt überzeugt der Amerikaner Powell mit erstklassigem Wumms und Schnelligkeit an seinem Schlagzeug, was er zwischendurch auch mal mit einem großartigem Solo beweisen darf.

Dann nach einer kleinen Erfrischungspause (?) legen die Libertines mit ihrem infernalischen Furor weitere grandiose Klassiker des Albums wie „Horrorshow“ oder „The Boy looked at Johnny“ nach. Zwischendurch bettelt Pete Doherty, dass die Herren von der amerikanischen Botschaft ihm doch bitte wieder ein Visum für die USA geben mögen. Dort darf er nämlich aufgrund seiner Drogen-Eskapaden nicht mehr einreisen.

Carl BaratCarl Barat

Nach der Erfrischungspause kommen aber auch noch Stücke aus dem Zweitwerk, wobei besonders die kompositorisch wertvolleren Nummern wie „What Katie did“ oder „Can´t stand me now“ von den Fans euphorisch abgefeiert werden. Die vier älter gewordenen Herren haben es immer noch drauf. Aber auch die Fans, teilweise aus Dänemark angereist, lassen sich nicht lumpen. Es gibt euphorische Bierbecherwürfe - hinterher schwimmt die Halle - , wilde Tänze und textsichere Begleit-Gesänge. Es scheint so, dass zu früh Todgesagte immer noch oder schon wieder der „heiße Scheiß“ sind, so lange Pete Doherty seine Drogensucht im Griff behält. Ein Keith Richards als Langzeit-Untoter hat es ja schon mal vorgemacht.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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