Noch bevor alle Zuschauer ihren Platz im bestuhlten Rund der Open-Air-Arena eingenommen haben, beginnt der Altmeister am Piano seine launig-humorige Ansprache an das Publikum. Mit dem typisch Hamburger „Hummel,Hummel“ begrüßt er seine begeisterten Fans, die natürlich mit einem vielstimmigen „Mors, Mors“ antworten.
Dann kündigt der Meister eine kurze Ouvertüre, die etwas „schräg“, sprich verrückt, daher komme, an. Daraus entwickelt sich allerdings ein gut fünfzehn-minütiges Jazz-Feinschmecker-Stück zwischen Improvisation und Fusion. Das perlende Pianospiel von Hancock wird tatkräftig unterstützt von seinem Begleit-Trio aus hochkarätigen Mitspielern. Das sind der virtuose Schlagzeuger Justin Tyson, der sonst mit Größen wie Kamasi Washington oder Kendrick Lamar spielt, der Bassist James Genus, bei dem kein Solo langweilig wird und der überwältigende Gitarrist Lionel Loueke, der die Verbindung von US-Jazz und Blues nach Westafrika schafft. Er stammt ursprünglich aus Benin, wird aber von Herbie Hancock als „Außerirdisch“ gelobt: „Wie kein anderer auf diesem Planeten“. Dessen virtuose Technik zwischen Flamenco-Gitarrist und Jazz-Allwissen wie künstlicher Intelligenz stellt alles in den Schatten.
Da kann eigentlich nur der Alt-Meister aller Tasten-Instrumente mithalten. Herbie Hancock, mittlerweile 82 Jahre alt, 1940 in Chicago geboren, hat auf sämtlichen Feldern der Musik seine großen Spuren hinterlassen. Vom anfänglichen Bebop über Rock, Funk, R`n`B, Electro bis hin zu Techno und HipHop, überall hat er maßgeblich mitgemischt. Er verwendete früh Synthesizer und andere technische Spielereien und leistete Pionierarbeit beim Einsatz von Computern in der Musik. Dabei begann seine musikalische Ausbildung mit Klassik und Mozart. Sein Durchbruch im Jazz gelang als Musiker in der Band von Trompeten-Legende Miles Davis in den 60ern. Danach spielte er mit allen Größen des Jazz, aber auch vielen Vertretern anderer Genres wie Prince, Anny Lennox, Carlos Santana und Co.
Nachdem er seinem Publikum seine Sicht der Ouvertüre erklärt hat: „Erst mal von allem ein bisschen, dann später ausführlich mehr“ und grinst schelmisch dabei. Dann rast das Quartett durch 60 Jahre Musikgeschichte. Bebop, Fusion, Discofunk, gemixt mit flirrenden Sounds in Anlehnung an Klassiker wie Maurice Ravel oder Igor Stravinsky. Der Funken springt sofort über. Als er dann ein Stück seines alten Kumpels und Wegbegleiters Wayne Shorter (Saxophon) ankündigt mit der launigen Vorrede: „Mein junger Freund hat in seinem zarten Alter, (der gute Mann wird demnächst 88) gerade seine erste Oper komponiert“, wird klar, das wird ein Abend, den man nicht vergessen wird. Es folgen „Chamäleon“ von 1973, wo sich die Farben des gewaltigen Funk mit den sprudelnden Klängen von Hancocks Piano einen Kampf liefern.
Völlig losgelöst kommt dann das am Vocoder gesungene „Running After Me“ daher, wo der verspielte Meister bescheinigt, dass er das Gerät schon in den 70er Jahren in Deutschland erstanden hat und nicht erst durch die heutigen Pop-Sternchen entdeckt wurde. Sehr spacig und durchgeknallt. Mit ein paar Takten seines Welthits „Cantaloupe Island“ sammelt Hancock aber dann alle Fans wieder ein, selbst wenn auch dieses Stück Jazz-Geschichte von dem Quartett gehörig durch die Improvisationsmangel geschickt wird. Als er dann auch noch seinen Gitarrensynthesizer umschnallt, kennt der Jubel der Fans kein halten mehr. Es wird geklatscht und gegroovt, während der Altmeister ein weiteres Sound-Gewitter durch die Arena schickt.
Als Hancock dann mit seinen 82 Jahren auch noch einige kleine Sprünge samt Musik-Gerät a lá Charly Chaplin plus Tanz-Pirouetten auf die Bühne legt, hält es keinen mehr auf seinem Sitz. Alle tanzen oder stürmen zum Bühnenrand, um der Legende ganz nah zu sein und um ein Handy-Foto zu schießen. Am Ende wird das grandiose Quartett mit stehenden Ovationen von dem zuvor so gesittetem Publikum gefeiert.