Ira Coleman und Helge Schneider

Helge Schneider und die Helges in der MuK
Die Mutation von der singenden Herrentorte zum blaugrünen Smaragdkäfer

Mit blondroter Vokohila-Perücke, knallblauem Samtanzug und Plateauschuhen stolziert der mittlerweile 65jährige Schneider auf die Bühne und outet sich als erstes als Marzipanist - und schon hat er die Lacher auf seiner Seite.

Er stiefelt die kleine mitgebrachte Showtreppe, die er einstmals von Karel Gott geerbt haben will, rauf und runter und beginnt seinen Abend voller Schabernack und gehobenem Blödsinn. Wie kaum ein anderer deutscher Künstler aus dem Fachbereich Humor fusioniert Helge Schneider Nonsens und Niveau. Er mischt absurden Klamauk, dadaistischen Humor und anspruchsvolle Musik zu großer, abseitiger Kunst.

Er sei ja gerade von seiner großen Asien-Tour zurück, behauptet er und hustet und rotzt fast ins Publikum, und überhaupt sei der Erdapfel schon am Auseinanderbrechen. So plaudert er sich durch sein Programm, kommt von Beethoven zu Thomas Mann, „den er besuchen wollte, war aber keiner zuhause im Buddenbrookhaus“. Die Manns seien ja auch weltweit verbreitet. Selbst sein Vater habe schon bei Mannesmann gearbeitet. Dabei begleitet er sich gewohnt lässig am Klavier, unterstützt von seiner großartigen Combo, den „Helges“, wie sich seine Begleit-Musiker (Peter Thomas - Schlagzeug, Henrik Freischlader - Blues-Gitarre, Ira Coleman - Bass) neuerdings in Anlehnung an die Beatles nennen.

Die Helges: Peter Thomas (Schlagzeug), Ira Coleman (Bass), Henrik Freischlader (Blues-Gitarre) Die Helges: Peter Thomas (Schlagzeug), Ira Coleman (Bass), Henrik Freischlader (Blues-Gitarre)

Es folgen alte und neue Hits wie „Fizze, Fizze, Fazze“ oder „The lonely Pony“. Dabei philosophiert er weitschweifig über Pferdegrößen, denn er kennt sich natürlich aus mit Pferden, schließlich habe er Töchter, die die Pferdezeitung lesen. Im Lied zum einsamen Pony geht es darum, dass das Tier krank wird, weil es Kassler mit Kraut gegessen hat, was Pferde ja nicht essen sollten, weil sie ja Veganer sind. Glücklicherweise gibt es dann den Tierarzt, der eine heilende Tablette zur Hand hat. Dazu tänzelt Schneider geschmeidig über die Bühne, wechselt vom Klavier zum Vibraphon, kanzelt seinen Tonmann Erwin ab, der ab sofort nach 40 Jahren gefeuert sei. Überhaupt hat Schneider wie üblich seine kleine Entourage wie Sergej, Bodo und Carlitos aus Venezuela mit an Bord, die sich mal mit Schalmei, Saxophon oder Geige am Musizieren beteiligen dürfen oder als Sarotti-Mohr den Tee reichen müssen.

Die Musik wechselt von Beethoven über Country und Western hin zu Swing und Jazz oder Boogie-Woogie. Schneider kann alles. Und natürlich kennt man viele seiner Nummern, wie der „Telefonmann“ und natürlich „Katzenklo“, welches er diesmal ziemlich in die Länge improvisiert. Die Katze hat zu viel gefressen und passt nicht mehr durch die Katzenklappe, weshalb sie klingeln muss! Von der Oma, mit der die Katze im Bett liegt, wird sie geknuddelt und bekommt einen Zungenkuss. Was die Katze eklig findet und der Oma dementsprechend mit der „Tatze den Skalp blutig schlägt …. Was jetzt in Anbetracht der Kinder im Publikum sofort abgebrochen werden muss!“

Helge SchneiderHelge SchneiderSo treibt Schneider weiterhin seinen komischen Quatsch, der auch mal wehtun darf. Daneben lässt er auch politisch einiges raus, wenn er den Corona-Virus ähnlich wie Höcke oder Merz verdammt. „Aber davon lassen wir uns den Spaß ja nicht verderben!“ Und ab geht es in die Pause, sogar noch mit einer Schachtel Lübecker Marzipan eines weiblichen Fans beschenkt, die Schneider aber gleich im Internet anbieten will.

Im zweiten Set der Show kommt dann auch die Aktentasche zum Einsatz, die er selbst beim Gitarrespielen in der Hand behält, während er sein Arbeiterlied trällert. Sein sozialkritisches Anti-Bonzen-Lied. Dann parodiert er Udo Lindenberg, singt sein internationales Lied über Avatare in Japan oder erzählt den Witz über die Ratte in der Apotheke, die gerne ein Döschen Spalttabletten hätte.

Dann gibt es natürlich „Reis Baby“ und „Schüttel dein Haar“, aber auch Lübeck-Spezifisches wird zu Gehör gebracht. So wird er seine Zugaben mit einer Solonummer am Klavier beenden, indem er sich die Perücke vom Kopf nimmt und behauptet: „Lübeck, ich bin bereit, mich hier niederzulassen“. Textauszug: „Der Wind aus Nordost, der die Menschen gerbt, … Ich bin wieder hier in meinem Revier und es stinkt nach Hering“. Aus, Ende, tosender Applaus und 1.700 beseelte, gut unterhaltene Fans treten den Heimweg an. Tschüss Helge und bis zum nächsten Mal!

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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