OH FYO!, Foto: Christoffer Greiß

Kunst am Kai 2019
Local Live am Kai

Mit der Local Live am Kai-Reihe auf der nördlichen Wallhalbinsel wollen Thomas Tesche und Alex Mans Musiker*innen aus der Stadt und Region Lübeck eine Bühne geben. Ihre Erstveranstaltung am 13. Juli in der reizvollen Rumpel-Ästhetik des Schuppen C lässt Potential ahnen.

Als Reaktion auf den bedauerlichen sozialen und substanziellen Ausverkauf des Stereopark-Festivals (nun bei Gollan für € 38.- statt wie bisher € 15.-, der regionale Schwerpunkt ist weg) möchten sie ihr Projekt nicht verstanden wissen, stehen andererseits gerade für Aspekte, die dort verworfen wurden: verträgliche Eintrittspreise (VVK € 11,50) und lokaler Fokus. Qualität versteht sich von selbst. „Lübeck verfügt über so einige gute Live-Bands, die viele nicht kennen“, konstatiert Tesche und erzählt vom Anfang des Projekts: „Wir saßen vor gut fünf Monaten in unserem Stammpub Finnegan in der Mengstraße und lauschten der Musik von Johanna. Und während wir da so saßen, kamen wir auf die Idee zu Local Live".

Gesagt, getan. Termin, Location, Technik. Viele unentgeltliche Helfer. Ein leckgeschlagener Kühlanhänger (Tesche: „meine fucking Anhängerkupplung“), dann die Absage des Tontechnikers 24 Stunden vor Veranstaltungsbeginn. Ein Debakel. Doch Lichttechniker Julian Christoph Roering springt furchtlos ein und „improvisiert“ den Live-Soundmix parallel.

Johanna & Friend auf der Bühne. Läuft. Feels natural. Dann hat Johanna den Text vergessen. Steht verblüfft vor ihrem ca. vierten Stück und kommt nicht drauf. Macht aber nichts. Die junge Frau besitzt Bühnenpräsenz, fühlt sich wohl hier. Sie stutzt, schüttelt den Kopf über die eigene Durchlässigkeit, bewältigt die Situation mit Charme und Humor.

Johanna & Friend, Foto: Christoffer GreißJohanna & Friend, Foto: Christoffer Greiß

Ja. So macht man das. Man ist echt.

Philipp Schulz (perc, voc), ihr musikalischer Partner, lässt zwischen Puls und Akzent, Schlag und Strich ein hohes Maß an Daseinsfreude von der Rampe. Bereits seit Schultagen arbeiten beide zusammen. Früher, „als Philipp und ich uns noch nicht getraut haben, eigene Songs auf der Bühne zu spielen“, bestand das Programm aus Coverversionen, heute sind es nur noch wenige. Darunter eine berührende, fragile Interpretation des Whitney-Houston-Krachers „I Wanna Dance With Somebody“, die die Eigenständigkeit der 20-jährigen Songfrau abbildet. Bei kompetenter Gitarrenarbeit zwischen Fingerpicking und Restrockrhythmik erinnert Johanna manchmal an das Understatement einer Sheryl Crow, entspricht der Stellenbeschreibung Singer/Songwriter genau: Ihr Gesang – sicher, dynamisch beweglich, emotional, klar und kraftvoll – bleibt stets dem Song und seiner Aussage verpflichtet.

Cameo, Foto: Christoffer GreißCameo, Foto: Christoffer GreißDann: Cameo. Selbstverständlich nicht die wiedervereinigte gleichnamige US-Funkband („Word Up“). Überhaupt ein merkwürdiger Name für eine Coverband: Cameo ist ja die Bezeichnung für einen Schauspieler, der in einem Film sich selbst spielt. Eine Coverband ist das Gegenteil. Ohnehin ist künstlerisches Streben nichts, das die drei Jungmänner mit zwei Akustikgitarren, Minimalst-Schlagzeug und Schrammelversionen von Rock- und Pop-Klassikern von Elvis und den Beatles bis Iggy Pop und Eminem belastet. Es wackelt und schwankt, einiges geht nicht gut, aber die Gartenparty-Stimmung hält sich, spricht für sich. Wer's mag, und Punkt. (Ein inhaltlich düsteres Stück wie „Folsom Prison Blues“ von Johnny Cash allerdings, das die psychische Kondition eines Mörders erzählt („I shot a man in Reno / just to watch him die“), ist in so einem lustigen Mitsing-Repertoire deplatziert. Country hin, Western her.)

Der Top-Act schließlich, die Band mit dem größten Bekanntheitsgrad und Publikumsappeal des Abends, sind OH FYO!. Im Kern das Songwriter-Duo Flix Highfield (lead voc/git) und Marius Evan (git/voc), konnte die Band sich in kürzester Kürze guten Ruf und Namen nicht nur in der Region erspielen. 2017, praktisch aus dem Stand, stand ihr Musikvideo zu "Walls Of Utopia" unter den Finalisten der „International Songwriting Competition“; das Debütalbum sowie Tourneen folgten im gleichen Jahr.

OH FYO!, Foto: Christoffer GreißOH FYO!, Foto: Christoffer Greiß

OH FYO! auf der Bühne sind ein kompaktes, professionell agierendes Quintett, ein profunder Haufen aus dem Kernduo plus Adrian Polley (key / voc), Leon Saleh (dr) und Henning Schiewer (b, voc). Musik zwischen Hymne, Rock, keyboardiger Spät-Wave, melodischem Songschreibing und Zugänglichkeits-Konstrukten, zwischen echter Empfindung und großer Hose. Sogar ein wenig emotionale Irritation in den zwei, drei akustischen Duo-Nummern von Highfield und Evan. Die Combo auf der Bühne weiß, wie all das geht, hat sichtbar Spaß an eigenen Verspielern, wie es sich gehört; legt sich für's Publikum ins Zeug. Mehrstimmige Gesangssätze, exzellentes Drumming, gut abgehangene Gitarrenarbeit und ein versatiler Sänger mit Erfahrungsspektrum von hier bis Metal (kommt bei Fyo nicht direkt zum Tragen).

Fazit: Schöner, interessanter Abend, der mehr Publikum verdient hätte. Das Wetter, vermutlich. Krachender Schauerschlag, da blieb man vielfach lieber @ home. Etwas Werbung im Vorfeld wäre zudem sinnvoll. Dann könnte auch kommen, wer nicht bei facebook blättert. Zum nächsten Local Live am Kai. Am Hafen. Im Schuppen. C.

Rolf Jäger
Rolf Jäger
Geb. 1958, freischaffender Teilzeit-Journalist im Großraum Kultur - Musik, Film, bildende Künste, Literatur. Professioneller Musikjournalist 1996-2006 (Intro, Jazzthetik, Rolling Stone, LN, Badische Zeitung u. noch paar a.m.), Kulturschaffender bei www.wolkenkuckucksheim.tv, Gitarrist seit kurz nach Konfirmation.

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