Anna Depenbusch spaziert auf die Bühne, nimmt am Flügel Platz, legt los – und man ist mittendrin. Mitten im Leben.
Haucht sie im ersten Moment noch still von ihrer verflossenen Liebe, fordert sie gleich darauf mit der Kraft der Verzweiflung „Komm tanz mit mir so, als wär’n wir verliebt“, um sich schließlich ins unvermeidliche Ende zu fügen – und dann trotzig-triumphierend festzustellen „An Matrosen lieb’ ich eigentlich nur das Meer!“. Es mögen drei, vier Minuten gewesen sein, doch Anna Depenbusch hat in ihrer „Haifischbarpolka“ mehr Facetten einer gescheiterten Liebe aufschillern lassen, als mancher im gesamten Leben wahrnimmt. Und sie kann es: Das melancholisch-sanfte Aufseufzen gerät ihr genauso glaubhaft wie die fordernde Sehnsucht der Matrosenfrau, ganz zu schweigen vom selbstbewussten Protest. Das gilt für alles gleichermaßen: Text, Musik, Stimme, Mimik und ihre anmutigen Bewegungen.
Die Hamburgerin ist ein Star, ein Profi, hat das Publikum im Kolosseum von der ersten bis zur letzten Sekunde im Griff. Und doch ist da nichts von dem antrainiert Fröhlichen, von dem Geschäftsmäßigen, das bei so vielen Bühnenprofis schnell auch angestrengt wirkt. Depenbusch unterläuft mal ein kleiner Patzer oder Hänger in ihrer Moderation – dann lacht sie so ansteckend über sich selbst, dass sie mit Natürlichkeit und Spontaneität punktet. Sie kommt frisch und unverbraucht daher, so als hätte sie all die Chansons, all die Texte extra für diesen einen Abend erdacht. Und das wunderschöne Kleid – passend zum Namen der Tour in Schwarz-Weiß – genau für diesen Auftritt anfertigen lassen.
Die vielseitige Künstlerin textet, komponiert und produziert selbst und spielt das – ein bisschen kokett – in einer Anmoderation herunter. Man kann nur erahnen, wie viel Disziplin und harte Arbeit in Wirklichkeit hinter dem steckt, was sie ihren allmorgendlichen Bereitschaftsdienst nennt: „Ich setze mich um neun ans Klavier und warte. Ich bin überzeugt davon, dass alle Lieder schon komplett fertig im Kosmos vorhanden sind, und die suchen sich aus, zu wem sie wollen. Und ich, ich sitze dann bereit.“
Diese Musikerin ist auch eine versierte Entertainerin, die das Publikum immer wieder einbezieht. Sei es, als alle beim Frühjahrsputzlied mit ihr zusammen „nein“ rufen müssen, wenn es um die Frage geht, ob Bett, Schrank, Klamotten noch gebraucht werden. Nur bei den Schuhen jubiliert sie selbst natürlich abweichend: „Ja!“ Sei es, als die Männer einen Cowboychor bilden und howdy-y-y-a-yeah singen sollen, und zwar „so dicke-Hose-mäßig; macht mal, ich hör mir das mal an“.
Als sie davon singt, dass ihr ganzes Leben ein Zug sei, tutet sie übermütig „uuuh“, wenn sie Ilse Werner zitiert, pfeift sie eine Liedstrophe. Die Frau ist ein Energiebündel mit einem Füllhorn an Stimmung und Tonalität. Sie kann sensibel sein und kaltschnäuzig; mal meint man das Unverblümte einer Ulla Meinecke herauszuhören. Sie ist leidenschaftlich, zartfühlend, traurig und verletzt, und doch hat jede Melancholie bei ihr eine Restsüße. Es ist das (zumeist) Lebensbejahende, das sie bei aller Tiefe von den typischen französischen Chansons unterscheidet. Dabei passt von der Auswahl Liedermacherin, Singer-Songwriter und Chansonnière Letzteres am besten. Mit der Eleganz einer Patricia Kaas hält Anna Depenbusch lässig mit.
Neben ihrem musikalischen Können verdienen die Texte besondere Beachtung. „Dann küss mich wie noch nie zuvor // Sing mir ein süßes Lied ins Ohr // Und lieb mich bis der Morgen kommt // Dann flieg mich übern Horizont // Beiß dich ganz fest in Weiblichkeit // Reiß mir mein bestes Kleid vom Leib // Leck meine Wunden frei vom Schmerz // Und dann brich mir das Herz“ dichtet sie in „Tango“. Nichts zeigt ihren Wortwitz besser als das Lied über den Nachbarn, aus dessen Wohnung nachts eindeutige Geräusche dringen – der Mann heißt dann Ben-ja!-ja!-ja!-ja!-min.
Mit den überraschenden Wendungen, die das Publikum gut zwei Stunden in Atem und bei Laune halten, zeigt Depenbusch ihren eigenen, spritzigen, ach was: überschäumenden Stil. Sie hat die stehenden Ovationen verdient. Fürimmersekunde: „Du bist Rakete, ich Feuerwerk“. Dem ist nichts hinzuzufügen.