Ganz großes Kino
Peter Doherty in der Großen Freiheit

Fliegende Gitarren, Anti-Brexit-Statements, Seilhüpfen mit Mikrophonkabel, kopflose Barbie-Puppen, ins Publikum geworfene Mikrophonständer, bizarre Tanzschritte, theatralisches Wälzen auf dem Boden, Mom and Dad im Publikum, brillante Gitarren-Soli und eine schillernde Performance: All das erlebte der Besucher des großartigen Konzertes vom „Enfant terrible“ der Rockmusik, Peter Doherty, am Freitag auf dem Kiez in Hamburg.

Die Auftritte des britischen Rockmusikers, Lyrikers und sehenswerten Performers waren schon immer ein Erlebnis. Mal, weil er zu spät oder gar nicht erst kam, oder wenn, dann sturzbetrunken, auf Drogen oder sonstigen Substanzen, aber gleichzeitig legendäre Demonstrationen seines Könnens ablieferte.

Nüchtern, bestens gelaunt und äußerst spielfreudig präsentierte sich Doherty diesmal vor rappelvollem Haus in der „Großen Freiheit“. Scheinbar vergessen seine Skandale und exzentrischen Allüren, wie der gemeinsame Gitarrenklau mit August Diehl in Süddeutschland, seine diversen Verhaftungen wegen Drogenmissbrauchs oder seine Langzeitliaison mit Supermodel Kate Moss. Wie bei vielen künstlerisch hochbegabten Menschen lebt Doherty dabei bewusst und unter ständiger Medienbeobachtung ein Leben auf der Überholspur, voller Exzesse.

Aber gleichzeitig wird er als Lichtgestalt zwischen Rockmusik, Lyrik, darstellender Kunst und brillanter Bühnen-Performance gefeiert und anerkannt. Sein Gespür für den Sound der Gegenwart in Verbindung mit lyrischen Texten ließ ihn zu einer lebenden Ikone der Popkultur reifen. Zunächst Ende der 90er mit „The Libertines“, die er mit Studienfreund und Hass-Liebe Carl Barat gründete, dann 2005 mit den „Babyshambles“ und schließlich mit seinen Soloprojekten löste er immer wieder Euphorie-Stürme aus.

Ergebnis war zuletzt sein Soloalbum „Hamburg Demonstrations“, welches im Dezember 2016 auf den Markt kam, nachdem er monatelang in Hamburg auch gelebt hatte. Eine Stadt, die er liebt und „Where always strange things are going on“, wie er auf der Bühne verkündete. Auf höchst intime Art und Weise erzählt er in den Songs von seiner Wahlheimat. Als gereifter, in Momenten sogar milde wirkender Songschreiber gelingen ihm darauf verschrobene Lovesongs wie „I don´t love anyone (but you´re not just anyone)“ oder „The whole world is our playground“.

Diese beiden Stücke waren beim ca. 2-stündigen Auftritt in der Großen Freiheit natürlich auch zu hören, den er mit seinen drei Musikern (Bass, Schlagzeug, Gitarre) und zwei Musikerinnen (Geige, Banjo, Orgel, Mundharmonika und Glockenspiel) locker und lustvoll präsentierte. Auch die soulige Popnummer „Birdcage“ oder die selbstkritische Absturzballade „A spy is in the house of love“ mit der Zeile „found myself in the Monday news“ wurde wie eigentlich das gesamte Album zu Gehör gebracht, wobei das Publikum textsicher immer auch wieder in seinen Gesang mit einstimmte. Ein besonders anrührendes Stück Trauerarbeit für Amy Winehouse, die unsagbar traurige, zittrige Zeitlupenballade „Flags from the old regime“, erzählt zum Beispiel, wie es sich anfühlt, wenn der Erfolg einen zerbricht, „Let´s get it right, we all know the score“.

Nach eineinhalb Stunden verlassen die Musiker unter Gejohle und Applaus die Bühne, um nur kurze Zeit später mit vier Rockkrachern im Zugabenteil noch einmal Vollgas zu geben. Mit seiner Hitsingle „Fuck Forever“ aus seinem ersten Soloalbum „Down in Albion“ werden die restlos glücklichen Fans mit einer unglaublichen Lärmkaskade dann endgültig in die Hamburger Nacht entlassen.

"Peter, weiter so, und komm möglichst bald wieder", wünscht sich Holger Kistenmacher.

Fotos: Peter Doherty, 5.10.2004 (c) The Lilywhite Collection/creative commons

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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