Iiro Rantala

Jazz Baltica 2016
Der Samstag - Jazz Baltica Niendorf ist, wenn Oma und Opa zum Funk tanzen

Ja, wirklich erlebt, und das trotz des scheußlichen Wetters am 2. Tag von Jazz Baltica, aber dazu kommen wir später. Beginnen wir mit Iiro Rantala & Ulf Wakenius: Die finnische Naturgewalt und der schwedische Saitentänzer brachten die vollbesetzte Halle zum Toben. Nicht erst zum Schluss, sondern schon fast von Anfang an.

Der gewitzte Finne, gemessen an seinen eher zurückhaltenden ruhigen Landsleuten äußerst extrovertiert und eloquent, zündete ein Feuerwerk am Flügel und lieferte sich mitunter kleine Schlachten mit Ulf Wakenius, Jazz Baltica Urgestein und Freund von Nils Landgren. Es war beeindruckend, mit welch technischer Finesse die beiden kreuz und quer durch die Jazzgeschichte mäanderten und mit welch kraftvollem Ausdruck und höchster Musikalität sie ihre Musik in neue Gewänder gehüllt zum Klingen brachten.

Nach diesem audiophilen Sinnesrausch hatte es die folgende Band Cyminology anfangs schwer, denn sie zeigte eine komplett andere Facette des Jazz: Die deutsch-iranische Sängerin Cymin Samawatie, der Pianist Benedikt Jahnel, der Bassist Ralf Schwarz, der Schlagzeuger Tobias Backhaus und der Bratschist Martin Segner setzten persische Lyrik (vom 15. bis zum 20. Jahrhundert) in Kammerjazz um. Ich musste mich erst einhören und war Samawatie dankbar für die Moderationen und Übersetzungen, die mir den Zugang deutlich erleichterten. Vielleicht wäre es hilfreich gewesen, diese eher ruhige und lyrische Spielart des Jazz vor das Konzert des skandinavischen Duos zu stellen.

Cymin Samawatie und Martin Segner (Cyminology)Cymin Samawatie und Martin Segner (Cyminology)Bevor die begeisterten ZuhörerInnen eine weitere Variante der Jazzmusik erleben durfte, betrat der frühere Leiter und Begründer von Jazz Baltica, Rainer Haarmann, die Bühne, um für eine unter seinem Label erschienene Schallplatte von Don Friedman zu werben. Der Pianist Friedman, lange Zeit eine feste Größe in Jazz Baltica sei schwer erkrankt, mussten wir vernehmen. Und Haarmann möchte ihn durch den Verkauf dieser Schallplatte unterstützen, eine anstehende Operation zu finanzieren, denn Krankenhauskosten in den USA gehen ins unermessliche. Schön war zu erleben, dass von dem vor Jahren nicht leichten Wechsel in der Intendanz nichts mehr zu spüren war und Haarmann und Landgren Arm in Arm miteinander auf der Bühne standen.

Danach Anke Helfrich, zusammen mit Tim Hagans, Martin Wind, Jonas Burgwinkel. Die in Namibia und Deutschland aufgewachsene Pianistin brachte mit ihren renommierten Kollegen die politische Seite des Jazz kraftvoll zum Klingen. So vertonte sie die Rede Martin Luther Kings und unterlegte sie mit Musik. "I'm the master of my fate and I'm the captain of my soul”, deklamierte Hagans in einem anderen Stück ein Gedicht Nelson Mandelas - berührend und bewegend von Anfang bis Ende.

Anke Helfrich Trio & Tim HagansAnke Helfrich Trio & Tim HagansAnd again something completely different: Das Publikum war gefordert: Amok Amor, laut Landgrens Ankündigung eine demokratische Band, arbeiteten sich durch holprige Tonlandschaften. Der Schweiß der vier Musiker floss in Strömen und das, obwohl sich die Temperaturen deutlich abgekühlt hatten. Ein Stück hieß Body Decline, der Name ist Programm. Als ich mich gerade eingehört hatte, war Schluss, nein, eine Zugabe gab es dann doch noch. Amok Amor spielen gerne, laut, vertrackt und scheinbar wild, frei und doch in strengen Mustern. Beim Zuhören ist es hilfreich, sein Bewusstsein auszuschalten und auf die Kommunikation mit dem Publikum sollte man nicht setzen, reden ist nicht so ihr Fall. An der Moderation dürfen die vier noch schrauben.

Und wann tanzten jetzt Oma und Opa? Zu „What the Funk“, aber das kommt noch...


Fotos (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann


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