Im Heiteren Besinnliches
Siebentes Konzert der Elbphilharmoniker in der MuK

Die Erwartung vor dem siebenten Konzert des Orchesters der Elbphilharmonie – man muss sich an diesen sperrigen Namen gewöhnen – war groß, so groß, dass an der Abendkasse der MuK ein „Ausverkauft“ prangte. Als Gründe lassen sich vermuten, dass Thomas Hengelbrock dirigierte und dass er eine Ausnahmekünstlerin mitgebracht hatte, die niederländische Geigerin Janine Jansen. Das Motto versprach zudem „Musica gioconda“, heitere Musik. Igor Strawinskys Pulcinella-Suite stand auf dem Programm, dazu Max Bruchs g-Moll-Violinkonzert und Felix Mendelssohn Bartholdys vierte Sinfonie, die Italienische.

Der Auftakt mochte dem Motto entsprechen, denn Strawinskys Musik, eine Bearbeitung barocker Stücke, gehört zu einem Ballett, das Pulcinella, den derben, aber liebenswürdigen Possenreißer aus der neapolitanischen Commedia dell’Arte zum Helden hat. Auf sehr gewitzte Art hatte der russische Komponist die Stücke in eigene Idiomatik übersetzt. Hier wurde hartnäckig ein harmoniefremder Ton gehalten oder ein Rhythmus verzerrt, dort der Klang grotesk geschärft oder Instrumente in einen Dialog gesetzt, die, wie Posaune und Kontrabass, sonst kaum solistisch miteinander reden. Hengelbrocks Interpretation betonte das Geistreiche, führte zudem wunderbar durchsichtig die Fähigkeiten der Musiker vor, die in dieser Kammermusik zahlreiche delikate Aufgaben hatten – und sie glänzend nicht nur meisterten, sondern sie mit sichtbarem Vergnügen gestalteten.

Anders steht es mit dem Gioconda bei Bruchs Violinkonzert. Die eingängige Melodik und elegante Faktur darf aber nicht täuschen. Länger hat man das Werk nicht gehört. Es hatte sich verbraucht, war vor wenigen Jahrzehnten (allzu) oft Prüfstein für angehende Virtuosen. Wie Janine Jansen und das Orchester sich jetzt aber dem nur 5 Jahre jüngeren Brahms-Zeitgenossen und seiner lyrischen, durchaus anspruchsvollen Ausdruckswelt widmeten, war atemnehmend. Die Geigerin verschenkte keine Note, schwelgte in lyrischen Passagen, ohne kitschig zu werden, trumpfte in dramatischen auf, ohne zu übertreiben. Das stand in großartigem Zusammenhang mit dem Orchester, das Hengelbrock zu großen Steigerungen im Tutti animierte, aber wieder grandios zurücknahm, wenn das Soloinstrument seinen Part hatte. Selbst der zweite Satz verlor sich nicht, fand immer wieder poetische Spannung, die sich dann im Finalsatz mit seiner rhythmischen Kraft löste. Der Jubel des Publikums wollte nicht enden. Als Zugabe gab es die Sarabande aus der Partita II von Bach, meisterlich noch einmal von der Solistin auf der Stradivari gestaltet.

Und auch einen Mendelssohn kann man anders interpretieren, aber kaum so tiefsinnig wie hier. Schon der temperamentvolle Kopfsatz ließ ahnen, dass die Begeisterung für das Italienische nicht uneingeschränkt galt. Feinnervig arbeitet Hengelbrock die Ansätze zum Grüblerischen mit scharfen Akzenten, die Neigung zum Kontemplativen etwa im Fugato heraus. Die Erinnerungen an den Norden ließ er schon ahnen, die dann den weiten Legato-Gesang mit dem schwermütigen König von Thule im zweiten Satz bestimmten, auch die fließende, suchende Melodik und die Hörnerrufe im dritten. Die quirlige, in einen Strudel ziehende Saltarello-Bewegung des letzten Satzes führte dann wieder in das lichte Italien, obwohl auch hier die Trübung durch die Moll-Tonart, die Unterbrechungen und die Einwürfe der Blechbläser, die leise huschende Bewegung oder das hartnäckige Paukenostinato den Eindruck hervorriefen, der Komponist suche Ernsthafteres. Ein bezwingendes Erleben!

Foto1: Janine Jansen (c) Harald Hoffmann
Foto2: Thomas Hengelbrock (c) Florence Grandidier
Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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