Musikalischer Programmpunkt: Weltweit gefeierter Star der traditionellen iranischen Musik: Majid Derakhshani, Foto: Holger Kistenmacher

Preisverleihung im Theater Lübeck
Thomas Mann-Preis 2024 an Navid Kermani

Großer Auflauf der Kultur- und Politik-Szene am vergangenen Freitag im Theater Lübeck. Der Anlass war die Verleihung des Thomas Mann-Preises an den deutsch-iranischen Autor, Journalisten und Essayisten Navid Kermani. Der im jährlichen Wechsel in Lübeck und München vergebene Literaturpreis wird von der Hansestadt Lübeck und der Bayrischen Akademie der Schönen Künste seit 2010 verliehen und ist mit 25.000 Euro dotiert.

Der 1967 in Siegen geborene Autor gilt als Weltenwanderer und Mittler zwischen Orient und Okzident. Als Essayist und studierter Orientalist hat sich der Autor tiefgreifend mit europäischer wie orientalischer Literatur und dem Islam beschäftigt und diese dabei auch immer wieder zueinander in Beziehung gesetzt. Als Erzähler beobachtet er unsere ebenso betörend-flirrende wie verstörende Gegenwart, wie es in der Begründung der Preis-verleihenden Jury aus München und Lübeck (Prof.Dr. Friedhelm Marx als Vorsitzender, Prof.Dr. Sven Hanuschek, Michael Krüger, Dr. Birte Lipinski, Dr. Wolfgang Matz, Henning Schumann und Prof. Dr. Hans Wißkirchen) hieß.

Bürgermeister Jan Lindenau und der Präsident der Akademie der schönen Künste aus München, Professor Nerdinger gratulieren dem Preisträger Navid Kermani, Foto: Holger KistenmacherBürgermeister Jan Lindenau und der Präsident der Akademie der schönen Künste aus München, Professor Nerdinger gratulieren dem Preisträger Navid Kermani, Foto: Holger Kistenmacher

Schon gleich zu Beginn der Veranstaltung hatte Dr. Caren Heuer, die Leiterin des Buddenbrookhauses, die souverän und humorvoll durch die Veranstaltung führte, von unruhigen Zeiten, gar furchtbaren Zeiten gesprochen, in der es gut sei, dass jemand wie Navid Kermani Orientierung anbiete. „In der Mitte des Orkans braucht es Stimmen wie die Ihre, damit wir nicht den Verstand verlieren“. Danach konnte der leicht verspätete Oberbürgermeister, Jan Lindenau in seiner Begrüßungsrede zunächst zwei gute Nachrichten verbreiten: Das Buddenbrookhaus darf weiter gebaut werden, wie der Senat in seiner abendlichen Sitzung beschlossen hatte und der diesjährige Preisträger des Literaturpreises erhalte diesen, weil sein erzählerisches und essayistisches Werk mit analytischer Brillanz und mitfühlender Anteilnahme glänze.

Dann wurde dem Schriftsteller gemeinsam vom Bürgermeister und dem Leiter der Münchner Akademie, Professor Nerdinger die Urkunde und der Preisscheck übergeben. Zur musikalischen Auflockerung des etwas steifen Abends kam dann der berühmte iranische Starmusiker Majid Derakhshani auf die Bühne. Er ist ein Meister der traditionellen iranischen Musik und spielt die Langhalslaute Tar und Setar. Weil er gemeinsam mit Frauen ein Ensemble gründete, hat er Auftrittsverbot im Iran und lebt mittlerweile im Exil in Köln und Hamburg. Seine exzellent gespielte Musik zwischen volkstümlicher Dynamik und Meditation ließ das Publikum in Ergriffenheit verstummen. Im Laufe des Abends wurde der Musiker dreimal auf die Bühne gerufen.

Navid Kermani bei seiner Dankesrede im Lübecker Theater, Foto: Holger KistenmacherNavid Kermani bei seiner Dankesrede im Lübecker Theater, Foto: Holger Kistenmacher

Dann erklärte Dr. Wolfgang Matz als launiger Laudator in seiner Rede, warum Kermani den Preis verdient habe: Denn für den Autor sei das Schreiben von Romanen das Fortschreiben seines Denkens. „Er ist kein naiver Erzähler“. Seine Romane sind immer ein Spiel zwischen Dichtung und Wahrheit, aus Erlebtem und Ausgedachtem, wobei er dazu ein kunstvolles Spiel mit der eigenen Biografie betreibe. Das gilt in besonderem Maße für Kermanis jüngst erschienenen Roman „Das Alphabet bis S“ (2023), der einen Jahreslauf kaleidoskopartig in 365 Einzelreflektionen beleuchtet. Dabei schreibt ein Mann aus der Perspektive einer Frau. Aber bereits in seinem Erstlingswerk „Das Buch der von Neil Young Getöteten“ findet sich viel biografisches, wie die therapeutische Wirkung der Musik des kanadischen Sängers und Rockmusikers auf die Blähungen und Koliken seiner dreimonatigen Tochter, wie der Laudator amüsiert erzählt und sogar seine Mundharmonika herausholt. Für ihn ist Kermani ein Poet zwischen Koran und Kafka, ein Autor für das Jetzt, für den Sound unserer Zeit.

Der so Gepriesene bedankte sich in seiner Rede, die bei Thomas Mann ansetzte und dann in die eigene Biografie führte. Zwar in Siegen geboren, sei ihm der Einfluss durch die Herkunft seiner Familie aus dem Iran immer deutlicher geworden. „Unser Leben beginnt nicht mit der Geburt und endet nicht mit dem Tod“. Sein Großvater, ein reicher Großgrundbesitzer aus Isfahan, war stolz auf seine Klassenzugehörigkeit, einschließlich der Bediensteten im Haus. Mit seinem Vater und der Mutter sowie zwei Brüdern seien sie, als er elf Jahre alt war, zu dem im französischen Exil lebenden Ayatollah Khomeini in die Nähe von Paris gepilgert.

Für die Musik zuständig: Majid Derakhshani an der Setar, Foto: Holger KistenmacherFür die Musik zuständig: Majid Derakhshani an der Setar, Foto: Holger Kistenmacher

Lange hatten seine Eltern die iranische Revolution unterstützt, bis selbst dem Vater klar wurde, welch brutale Folgen das für sein Volk hatte. „Ich konnte ja nicht ahnen, welches 'Schlangengift' sich dahinter verbergen würde“, hatte seine Mutter später über den blutigen Gottesstaat gesagt, der Tausende ermorden und foltern ließ bis heute. Dieser Kulturkampf gehe bis heute weiter. Sich selbst sieht der Autor aber heute auf Seiten der protestierenden Frauen, die nach dem Motto „Frauen, Freiheit, Leben“ für den Wandel kämpfen und dabei ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen. Aber auch andere Tendenzen, wie Trump oder Populisten wie die AFD sorgen für Unbehagen. Wie bereits Thomas Mann befand: „Die Freiheit ist ein beängstigendes Phänomen“.

Nachdem sich Navid Kermani dann noch in das Goldene Buch der Hansestadt Lübeck eingetragen hatte, endete der Abend mit einem wunderbaren Lied, welches vom Großmeister Majid Derakhshani an der Tar sogar gesungen wurde.


Fotos: (c) Holger Kistenmacher

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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