Zwei neue Comics
Ralf König "ABBA HALLO!" und Jordan Crane "Zwei bleiben"

Der eine ist ein alter Bekannter, der in Corona-Zeiten seine Fans mit Kurz-Comics auf Facebook und Instagram amüsierte und kichern ließ, der andere hat fast schon unglaubliche 20 Jahre an seinem ausufernden Werk gezeichnet.

„ABBA HALLO!“ nennt sich das neueste Werk von Alt-Meister Ralf König, der darin die wunderbarsten Eskapaden seiner schwulen Erfolgs-Charaktere Konrad und Paul zum allgemeinen Amüsement seiner zahlreichen Anhänger zu immer neuen Höhen treibt. Das langlebige Paar kämpft sich dabei ebenso wie sein Erschaffer durch den zweiten Coronawinter. Immer noch mit Maske, aber mit wachsender Lust auf Parties, Ausgelassenheit, bärigen Sex und das neue Album von ABBA.

Entstanden ist der neue Band aus täglichen Kurz-Strips, die Ralf König seiner Gemeinde im Internet geschenkt hatte, um sie in harten Zeiten zu trösten und zu amüsieren. Dabei waren nach seinen eigenen Angaben auf seiner Internetseite eigentlich nur drei Folgen anlässlich des Erscheinens des ersten ABBA-Albums seit vierzig Jahren geplant gewesen. Aber diese setzten sofort eine Dynamik und Kommunikation mit seiner Instagram-Gemeinde in Gang, die ihn selbst überrumpelt hätten. „Wenn die Ideen quasi aufs Papier ploppen und ich gar nicht so schnell zeichnen kann, wie ich erzählen will“, zeigt sich der Zeichner vom Spass in der Kommunikation mit seinen Lesern begeistert. Aus den drei Tages-Strips wurde dann schnell eine „Voyage“: Nämlich über acht Monate lang täglich 4 Panels Konrad und Paul.

So ist rückblickend fast schon eine Chronik des Zeitgeschehens in Comic-Form herausgekommen. Die Sylvester-Party 2021/2022 sollte nach dem Willen von Karl Lauterbach wegen Corona auf 10 Personen beschränkt bleiben. Also kam natürlich die Frage auf, wer wird eingeladen und wer nicht. Und wie geht man mit dem Gedrängel auf dem Frischluft-Balkon um, und was ist überhaupt mit Sex in Zeiten von Maskenpflicht. Natürlich geht es auch um Impfgegner, die nicht nur Querdenken, sondern draußen spazieren gehen, während Putin einen Angriffs-Krieg auf die Ukraine plant.

Und erstmals steht doch tatsächlich eine Trennung von Konrad und Paul zur Debatte. Dass dabei der ewig Sex-geile Paul mal wieder einen rattenscharfen Supermann-Bären aufreißt, der nur Schmusen will und sich dafür auch noch bezahlen und am Daumen lutschen lässt, erscheint relativ normal, dass aber ausgerechnet der eher konservative Brahms-Liebhaber Konrad fremd geht mit einem befreundeten Musik-Liebhaber, lässt die erschreckende Frage aufkommen: „Was, wenn die Liebe fort ist“?

Ralf König lässt ja kaum was aus, was die schwule Seele beschäftigt, auch seine eigene. Dabei beweist er natürlich immer auch eine gewisse Portion Selbst-Ironie, wie bereits in den Vorgänger-Bänden (Herbst in der Hose, Pornostory), wo es ums Älterwerden und schwindende Hormonspiegel ging. Aber darüberhinaus macht es ihm auch Spass, dem prüden Moralkodex von Facebook ein Schnippchen zu schlagen. Er wurde nämlich zweimal vom Konzern abgemahnt, weil er „Hasswörter“ wie „Tunten!“ oder „Schlampe“ benutzte, dafür konnte er Paul ordentlich von der Leine lassen, der im Bärchen-Kostüm seinen sexy behaarten Lover den Daumen lutschte, was Facebook aber nicht als frechen Fetisch erkannte. Überhaupt sind die Dialoge der Knollennasen wieder ungezügelt boshaft und erotisch, erfrischend und unverkrampft. Da geht es wie immer um Triebe und Viagra, auch wenn Paul sich mit Daumenlutschen zufrieden geben muss, statt andere begehrte Körperteile verwöhnen zu dürfen. Ein Band voller amüsanter Tragikkomik, Zeitgeist, Sexiness und schräger Situationskomik.

Ralf König: ABBA HALLO!, Rowohlt-Verlag Hamburg, 14. Februar 2023, 192 Seiten, Amazon.

Mein zweiter Buch-Tipp ist ein Comic-Meisterwerk in giftgrünen Farben, für das der Zeichner und Buch-Designer Jordan Crane fast zwanzig Jahre gebraucht hat. Seine Fans hatten den mehrfach ausgezeichneten Graphic-Novel-Meister fast schon vergessen. Doch jetzt präsentiert er mit „Zwei bleiben“ sowohl ein meisterlich gezeichnetes, wie auch vielschichtig angelegtes Buch über eine scheinbar einfache, alltägliche Liebesgeschichte, in der der Alltag zur gezeichneten Achterbahnfahrt wird.

Alles beginnt recht normal. Ein junges Paar kommt von einem Wochenendausflug nach Hause. Er hört den Telefonanrufer ab und erfährt, dass ein Mitbewohner einer Bekannten verstorben sei, genau wie der Hund seiner Mutter. Einem Aberglauben zur folge, sagt er seiner Partnerin, schlägt der Tod immer dreimal zu. Sie lacht und streitet sich eher um den Abwasch oder anstehende Einkäufe mit dem Ehemann. Sie gewinnt und er wäscht das schmutzige Geschirr.

So beginnt die eher kleine, intime, unprätentiöse Geschichte voller Alltäglichkeiten, die sich aber schnell zu einem Sog aus Spannung, paranoiden Fantasien und Imaginationen entwickelt. Das vorstädtische Durchschnittspaar um die 30 Jahre alt und kinderlos, wird zu einem Duo voller Sorgen und Ängste umeinander. Die giftgrüne Farbe des Comics, sowie die üblichen grellen „Quietsch“ und „Knarz“-Wörter tragen zu einer schon Krimi-mäßigen Spannung bei. Außerdem wechselt die Geschichte häufig die Erzähl-Ebene zwischen Realität und Imagination, die anfänglich etwas verwirrt, aber schnell gut zu durchschauen ist. Während die Frau im Stau steht, werden die Fantasien und Ängste, dass ihr etwas passiert sein könnte beim Partner immer absurder. Er steigert sich völlig hinein in seine Todes-Fantasien. Seine Sorge wächst. Als zusätzliche Ebene seines emotionalen Mahlstroms kommt nun seine Imagination ins Spiel: Bilder von blutigen Katastrophen, düsteren Zukunftsahnungen und Ängsten steigern sich ins Unermessliche. Er verlässt die Wohnung, um seine Partnerin zu suchen.

Wie Jordan Crane die unterschiedlichen Zeit- und Bewusstseinsstränge erzählerisch und zeichnerisch verknüpft ist grandios. Komplex, aber trotzdem klar und verständlich treibt er die Geschichte voller Spannung voran. So entwickelt sich ein fesselnder Strudel zwischen Realität und Vergangenheit, zwischen Imagination und literarischer Fiktion, die der Leserschaft keine Möglichkeit erlaubt, sich aus der Geschichte zu lösen. Die Spannung hält bis zum fast schon kitschig schönem Schluss-Bild.

Die gesamte Story ist wunderbar gezeichnet, auch wenn sie klassisch und stilisiert in der monochromen Farbe grün daherkommt. Die giftgrünen Flächen verheißen nichts gutes, strapazieren streckenweise sogar das Auge, aber halten dabei die Spannung am Laufen. Ein wahrer Pageturner über Verlust, Abwesenheit und Verbundensein. Am Ende ist man als Leser irgendwie erleichtert, den 320-Seiten Wälzer geschafft zu haben, gerät aber ebenso schnell wieder in die Versuchung, einfach noch einmal von vorne anzufangen.

Jordan Crane: Zwei bleiben, Suhrkamp-Verlag, Berlin November 2022, ca. 320 Seiten, Amazon.

Die Bücher sind in den inhabergeführten Buchhandlungen BellingProsa, Buchfink, Arno Adler, Langenkamp, maKULaTUR, StörtebekerBuchstabe und Bücherliebe erhältlich.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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