Büchertipps
Leselust und Geschenk-Ideen für Weihnachten

Gegen Ende des Jahres möchte ich meine literarischen Buch-Favoriten der Saison auch als Ideen für den Weihnachtsbaum empfehlen.

Dafür habe ich eine Auswahl aus den Genres Krimi und Groteske, Musik-Autobiografie durch Dachboden-Ausmistung, ein herrlicher Kinderbuch-Klassiker auch für Erwachsene, sowie im zweiten Teil Reise-Reportagen entlang der portugiesischen Küste und als eine Art Abenteuer-Roman, sowie ein brisantes Thema aus der spanischen Gegenwartsliteratur und ein weiteres sprachgewaltiges Debüt aus dem Gastland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse getroffen.

Beginnen möchte ich mit dem zweiten Roman der Mexikanerin Karla Zarate (geboren 1975 in Mexiko-City), der als aberwitzige Reise in die dunkelsten Winkel der menschlichen Seele angekündigt wurde. Sie erzählt die Geschichte des John Guadelupe Ontuno, der als Sohn illegaler Einwanderer aus Mexiko im Westen der USA aufwächst. Seine Sozialisation schwankt zwischen katholischer Religiosität seiner Mutter und jugendlicher Gang-Kriminalität mit Raub und Gewalt. Dann bekommt er allerdings das Jobangebot, das sein Leben völlig verändern soll. Er heuert als Küchen-Chef im Hochsicherheits-Gefängnis Polunsky Unit in Texas an, wo er für die Henkersmahlzeiten der dort einsitzenden Todeskandidaten zuständig ist, wie auch für die Verköstigung des selbstgerechten Gefängnis-Chef, der gesamten Belegschaft und der weiteren Insassen.

Mit leichtem, lockerem Erzählstil voller kleiner humoristischer Elemente schildert die Autorin den oft grotesken Alltag zwischen Todesspritze und den kulinarischen Kochkünsten unseres Romanhelden. Vorgestellt werden einzelne Todeskandidaten mit ihren oft schändlichen Mordtaten, ihren Wünschen als letztes Mahl sowie letzte Worte. Aber auch das sexuelle Lustleben von John Guadelupe, seinen Wünschen und Träumen wird beleuchtet mit sehr drastischen erotischen, fast schon pornografischen Details gespickt, dargestellt.

Daneben spielt sein „Mäusestrategieratgeber eine wichtige Rolle, aus der John immer mal wieder kleine, schlaue Sprüche zum Besten gibt. Gleichzeitig lernen wir seine Küchenkolleg/innen kennen, wie zum Beispiel Tiwa, die ein Geheimnis hütet, aber auch die Kriminalpsychologin Dr. Rosemarie Baier aus der Schweiz, den Personalleiter Giovanni Bosco, der Geschäfte macht mit den Gefangenen und den selbstgerechten Direktor Brown, ehemaliger verdeckter Ermittler, der am liebsten Jack Daniels trinkt.

Der erste Abgang, den John bewirten soll und den er nie wieder vergessen wird, ist Häftling Nr. 43, der wie alle anderen Todeskandidaten nur mit Nummern oder Verbrechensart angesprochen wird und der mit einer Schaufel seinen Arbeitgeber erschlagen hat. Alles läuft bestens für John bis zu dem Tag, als der am längsten einsitzende Häftling Ryan Gomez, ein gefürchteter Killer, ihn auffordert, den Gefängnisdirektor zu töten oder ansonsten selbst zu sterben. Also schließt John Guadelupe einen Pakt mit dem Teufel. Neben dieser grellen Thematik kommt aber auch die Frage nach der Gerechtigkeit von Todesstrafe auf. Nebenbei geht es um Kannibalismus und Küchenrezepte. „Der Tod ist gierig, denn manchmal schlingt er, ganz ohne Hunger“. Für Freunde des schrägen, abseitigen Humors mit Gruseleffekten.

Karla Zarate: Das letzte Mahl, Heyne Hard Core, München, 2022, 239 Seiten, Amazon.

Ähnlich grotesk und blutig bis zum bitteren Ende geht es im neuen Überregionalkrimi „SOKO Börsenfieber“ aus der Feder des renommierten Spötters Gerhard Henschel zu. Nach seinen bereits als Kult gefeierten „SOKO Heidefieber“ und „SOKO Fußballfieber“ jetzt also sein dritter Band, der eigentlich kein gemeiner Krimi, sondern eher eine Satire auf Krimis ist. Sein Buch, aus dem das Blut so richtig heraustropft, wenn man es nicht gerade auf dem Tisch liegen hat, ist gepflastert mit 15 fürchterlich zugerichteten Mordopfern.

Die Opfer sind reihenweise Bänker, aber auch ein gruselig entstellter Autor namens Frank Schulz. Ein Ermittler-Ehepaar mit Drillingen hetzt auf seinem Feldzug gegen die schmutzigen Geschäfte und das organisierte Verbrechen von Uelzen über Neapel und Bogota bis zum Popocatepetl. Dabei geht es eigentlich nur oberflächlich um Drogenbarone und die kriminelle Finanzwelt, denn das Salz in der Suppe dieses aberwitzigen, furiosen Krimis sind Henschels literarische Freunde, die der Autor ins Feld führt: Schriftsteller Frank Schulz („Onno Viets“- Krimireihe, mit Zitaten aus dem legendären Tischtennismatch aus dem Roman „Kolks blonde Bräute“ garniert) und Dichter Thomas Gsella (ein alter Freund aus frühen Titanic-Zeiten) werden in Südamerika geprüft wie sonst nur Hiob in der Bibel. Dazu gehören Prügel-Orgien, eingenähte Koks-Beutel im eigenen Leib und Unterbringung im berüchtigten Hochsicherheitsgefängnis in Argentinien.

Gesucht werden diese von taz-Redakteur Michael Ringel, dem erneut eine Vielzahl amouröser Abenteuer, u.a. die Heirat mit einer sexsüchtigen Tochter eines gefährlichen Drogenbarons, untergeschoben werden und der nur durch den unermüdlichen Rayk Wieland („Beleidigungen dritten Grades“) in die rechte Spur zurückgeholt werden kann. Sie alle finden nur Trost im freien Zitieren anderer Werke aus der Romantik oder von Adorno. Wieder einmal steckt in dem Krimi von Henschel ein wahnsinniges Lesevergnügen voller grandioser Ideen und groteskem Witz. Fast 300 Seiten voller Absurditäten und blutrünstiger Morde, die sich eigentlich nicht nacherzählen lassen, die man aber unbedingt nachlesen sollte. Ein irrwitziger, urkomischer Lesespass für Leserinnen, die nichts schocken kann.

Gerhard Henschel: SOKO Börsenfieber, Hoffmann und Campe, Hamburg, 2022, 285 Seiten, Amazon.

Nach soviel Blut, Groteske und Drama jetzt mal was für den geneigten Musikfreund. Der charismatische Bandgründer und Sänger der Britpop-Band Pulp, Jarvis Cocker hat seinen Dachboden aufgeräumt und aus dem Betrachten des teilweise wertvollen Krempels seine kluge und extrem witzige Autobiografie geschrieben. Bei seiner Ausmisten-Aktion ist er dabei zunächst auf ein schier unüberschaubares Durcheinander von Gegenständen gestoßen, bei der er sich gefragt hat: „Wegschmeißen oder Behalten“? Denn buchstäblich sein halbes Leben als Musiker lagerte dort seit mehr als zwanzig Jahren: Fotos, Eintrittskarten, ein orange-grünes Polyesterhemd, alte Magazine, angefangene Notizbücher, halb aufgebrauchte Kaugummi-Packungen, Plastik-Spielfiguren, alte Zahnabgüsse, grell-bunte Schlipse oder unzählige kaputte Sonnenbrillen.

„Die Erinnerung ist wie ein Hund, der sich hinlegt, wo er will“, hat der niederländische Schriftsteller Cees Nooteboom einst in seinem Roman „Rituale“ geschrieben. Über all diese Hunde, diese Erinnerungen, die sich in sein Leben gelegt haben, hat Jarvis Cocker jetzt ein wunderbar gestaltetes Buch voller Anekdoten, Fotos und Malereien auf charmante und witzige Weise geschrieben. „Good Pop, Bad Pop“ ist dabei nicht nur ein Fan-Artikel für Pulp-Freunde, sondern auch ein unterhaltsames, zugängliches und manchmal brüllend komisches Buch über eine Musik-Ära, eine fesselnde Geschichte der Pop-Kultur.

So erinnert er sich an seine Jugend. Zu sehen ist zum Beispiel ein Schulfoto von 1981, auf dem er als subversiver Schlipsträger zwischen zwei weiteren Mitstreitern zu sehen ist. Bereits damals als 17jähriger hat er seinen Pulp-Masterplan verfasst, wie er sich seinen Werdegang als zukünftigen Pop-Star vorstellte. Das ging über die Mode, die man tragen sollte, über die Frisuren mit toupierten Haaren, als auch die Unterwanderung der Musikindustrie. „Erst recht konventionelle, aber wenig ausgefallene Popsongs, um Aufmerksamkeit zu schaffen, dann Pop-Erfolg als Trojanisches Pferd“.

So habe er als junger Mensch seine Pop-Ambitionen mit seinen neu entdeckten Punk-Idealen versöhnt. Dann folgten in den 90er Jahren tatsächlich die Erfolge mit Pulp, die sich geschickt aus den skandalträchtigen Endlos-Fehden zwischen der Britpop-Konkurrenz von Oasis und Blur raushielten. Mit Nummern wie „Common People“ und „Disco 2000“ wurden sie berühmt. Jarvis Cockers Dachboden-Autobiografie ist ein Buch über Kreativität, über Scheitern und Weitermachen, über Jungs, die einen hochfliegenden Traum haben und ihn tatsächlich verwirklichen.

Er denkt nach über „die Gedanken & Erinnerungen, die wir mit uns herumtragen & unwillkürlich zu einer Erzählung zusammenfügen, die wir unsere Lebensgeschichte nennen. Ich hoffe, dass ich meine Aufgabe, aus den hier oben gefundenen Objekten ein einigermaßen stimmiges Bild meiner Anfänge als Musiker zu zeichnen, bisher zufriedenstellend erledigt habe“, schreibt er etwa in der Mitte des Buches.

Gegen Ende landet Cocker dann im Krankenhaus, nachdem er aus dem Fenster gestürzt ist und seine zwei Nummern zu großen Lacklederstiefel dem Knöchel überhaupt keinen Halt gaben. Dazu schreibt er: „Das Leben ist seltsamer als jede Geschichte“. „Es ist auch hundertmal interessanter“. Durch den Fenstersturz aus 6 Metern Höhe brach er sich Beine, Becken, Arm und Handgelenk. Pulp, die gerade am Durchstarten waren, mussten daraufhin diverse Konzerte absagen. Dafür lernt er jede Menge seltsame Mit-Kranke im Hospital kennen, die er auf einem wiedergefundenem Zettel notiert hatte. Zum Beispiel: „1. Doug - ca. 50, eingeklemmter Nerv, schenkt den Krankenschwestern immer was aus der Quality-Street-Dose, alberne Schuhe mit halbhohen Absätzen. Wurde von einem Taxi angefahren, Zähne gezogen, um Schädel zu richten. 4. Schnauzbart-Townie - wurde in Ernests Bett gelegt. Ziemlicher Poser. Enger Pyjama, Beine hochgekrempelt & Oberteil in die Hose gestopft“. So zeigte sich sein Humor selbst im eigenen Krankenhauselend.

Nach dieser umfangreichen Aufarbeitung der eigenen Geschichte scheint Jarvis Cocker auch wieder die Lust zu packen, neue Musik aufzunehmen und auf Tour zu gehen. Zumindest hat er solche Ambitionen bei seiner Lese-Tour schon einmal angekündigt. Die Fans würde es freuen. Bis es so weit ist, kann man sich schon einmal mit dieser wunderbaren, witzigen und äußerst kreativen Autobiografie die Zeit verkürzen.

Jarvis Cocker: Good Pop, Bad Pop, Die Dinge meines Lebens, KiWi-Verlag, Köln 2022, 400 Seiten, Amazon.

Und jetzt kommt noch ein absoluter Lieblingsband von mir: Der traumhaft von Nadia Budde ins Deutsche gebrachte Kinderbuchklassiker Dr. Seuss` Schlummerbuch. Großformatig, mit bezaubernden Zeichnungen versehen, erzählt das Buch, das „unbedingt mit ins Bett“ muss, vom Schlummern. „Gähnen steckt an, so ähnlich wie Lachen. Fängt erst einer an, müssen alle es machen…“

Es beginnt mit der Eilmeldung, die aus Trudelteichtannen kommt: „Wonach man dem Käferchen Willi van Wann, beim Gähnen den Schlund hinabblicken kann. Das scheint nicht so wichtig. Wozu und wofür? Doch das ist es und deshalb erzähl ich es dir“. Und natürlich steckt Willi seine sieben Freunde mit dem Gähnen an, denen man wunderbar in den Schlund schauen kann. Es folgen allerlei Vögel, Hirsche und anderes Getier in Wald und Flur, wie zum Beispiel die beiden Fluffig-Flaum-Vögel, die schnell ihr Nest bauen.

Weitere fantasievolle Schlummerer sind u.a. die Herk-Heimers Schwestern, die sich unter den Kaskaden des gleichnamigen Wasserfalls schon mal die Zähne bürsten, die Stelzenläufer von der Gelbpfefferquelle oder der Hinkelhorn-Bläserklub. Alle sagen schon einmal „Gute Nacht“. „Sie schlafen auf Treppen! Auf Seilen! Und auf Blüten! In Briefkästen, Schlüssellöchern und in Kajüten!“

Da wird einem beim Betrachten dieses liebreizenden Bandes selbst schon ganz blümerant und man verspürt die Lust, ins Bett zu gehen. Mit dem fantastischen alten Einschlafbuch-Klassiker, erstmals 1962 erschienen, kriegt man jeden und jede ins Bett, und selten hat es so viel Spass gemacht. Ein absolutes Wunsch-Buch für kleine Bett-Hasen und alte Schnarcher, für Träumer und Langschläfer.

Dr. Seuss`: Schlummer-Buch, Verlag Antje Kunstmann, München 2022, Amazon.

Die Bücher sind in den inhabergeführten Buchhandlungen BellingProsa, Buchfink, Arno Adler, Langenkamp, maKULaTUR, Störtebeker und Buchstabe erhältlich.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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