Es ist der zweite Gedichtband von Ute Jons-Meister. Wie bei ihrem Erstling „Sprechverbot“ geht es in diesem Werk um Ungesagtes; darum, nach Worten zu fahnden für das riesige Reich des Unausgesprochenen in allen Wesen und der Welt.
Ute Jons-Meister fängt diese Schwebeteilchen ein: Worte, die nie ausgesprochen, die überhört wurden oder die so leicht verlorengehen. Es spricht der hohle, verkrüppelte Apfelbaum im Garten, es sprechen eine Weide, es sprechen Krankheit und Tod – und es spricht natürlich das Unaussprechliche per se: die Liebe.
Die Worte in diesem Buch tragen nicht schwer an ihren Bedeutungen; die Gedichte sind nicht gravitätisch. Jons-Meister hat mit ihren Versen eine Form der Poesie geschaffen, die man respiratorisch nennen könnte: Lyrik, die man einatmen kann. „In einer Zeit, in der alle ständig über alles sprechen, in der ein uferloser Austausch herrscht, „so die Autorin, „bleiben oftmals die ganz elementaren Dinge ungesagt.“ Diese Sprach-Gefängnisse aufzuschließen, und die Geheimnisse zu erschließen – das seien einige ihrer Anliegen.
Zwar sind die Gedichte im besten Sinne modern, als dass sie die Fragen nach dem Verhältnis von Sprache, Wahrnehmung und Welt ventilieren. Wohltuend an Jons-Meisters Poesie ist jedoch, dass sie sich keinerlei formaler Akrobatik verpflichtet fühlt, noch sich einer Modeströmung unterwirft. Sie spricht schlicht ihre eigene Sprache, die sich manchmal liest wie aus der Frühzeit aller Poesie, so dass sie Beschwörungsformeln gleicht: „Du warst da/ eh ich Dich sah/eingewoben/in die Linien/ meiner Spuren [...]“ heißt es in „Frei“, oder: „[...] die Zellteilung findet nicht statt – wir bleiben im Paradies“ klingt es in „Einzeller“.
Diese Gedichte wollen weder verstören noch betören. Auch wollen sie uns nicht mit dem Öffnen von Wahrnehmungs-Pforten imponieren. Sie übertreten nur rasch eine Schwelle, vor der wir im Alltag gewöhnlich stehenbleiben. Um zu schweigen.
62 Gedichte schweben durch das Bändchen, von dem man kaum annehmen darf, dass es im Bücherregal liegen bleiben wird: Es wird durch alle Zimmer oder durch die Fenster hinaus treiben wollen. Ein Büchlein, das man also besser im Auge behalten sollte – um es immer und immer wieder zu lesen.
Ute Jons-Meister: Stimmen verschwebenden Schweigens, Edition Fischer, April 2020, Amazon.
Das Buch ist in den inhabergeführten Buchhandlungen Belling, Prosa, Buchfink, Arno Adler, Langenkamp, maKULaTUR und Buchstabe erhältlich.