(c) David LaChapelle (rechts Miley Cyrus)

David LaChapelle – bildgewaltiger Fotokünstler zwischen Kitsch und Anspruch

Der als Bilderstürmer und Ausnahmefotograf bekannt gewordene Amerikaner David LaChapelle schrammt mit seinen in grellen Farben und schrillen Themen behafteten Arbeiten oft knapp an der Kitschgrenze vorbei. Manche bezeichnen seine Kunst als „Camp“. Neu sind jetzt seine Aufnahmen, die sich mit Religion, Umweltschutz und Zivilisationskritik auseinandersetzen.

David LaChapelle, der am 11. März 1963 in Connecticut geboren wurde, begann seine Karriere als Fotograf und Filmemacher in der berühmten Factory von Andy Warhol, der ihm seine erste Ausstellung ermöglichte und für dessen Zeitschrift „Interview-Magazine“ er in den 80er Jahren als Fotograf arbeitete.

(c) David LaChapelle (links Amy Winehouse)(c) David LaChapelle (links Amy Winehouse)

Er porträtierte zahlreiche Prominente (Sänger, Schauspieler, Models und Künstler/innen) oder setzte sie in schrillen Videos in Szene, für die er diverse Preise einheimste (von David Bowie, Mariah Carey und Eminem über Naomi Campbell und David Beckham bis zu Madonna, Keith Richards oder die nackte Miley Cyrus). Seine Abnehmer waren die berühmtesten und angesagtesten Magazine und Zeitschriften der englisch-sprachigen Welt. Auch als Mode-Fotograf und Produzent abgedrehter Werbebilder machte er sich einen großen Namen und hatte zeitweilig völlige Narrenfreiheit. So steckte er Models in Gummimasken, um für Kaffee zu posieren, aber gleichzeitig das braune Genussmittel als Droge oder Fetisch zu kritisieren. Auf seinen trashigen Bildern wurden Toastpackungen zu Killern. Monströse Riesen-Hamburger und Hot Dogs warnten vor den Essgewohnheiten der Amerikaner, obwohl es eigentlich im Bild um Luxusschuhe ging.

Aber 2006 war dann erst einmal Schluss mit Mode, Celebrities, Popstars und Werbebildern. David LaChapelle war ausgebrannt und nahm sich eine Auszeit. Er erwarb auf Hawaii ein aufgegebenes ehemaliges Nudistencamp und nahm Abstand von den Titelseiten für Vanity Fair, Interview, i-D oder Vogue und wandte sich der künstlerischen Arbeit für Galerien und Museen zu.

(c) David LaChapelle (mit Miley Cyrus)(c) David LaChapelle (mit Miley Cyrus)

In seiner neuen tropischen Heimat entstanden neue Werkgruppen, wie seine „Landscapes“, in der er aus Pappe und Abfall gebaute Modelle von Industrieanlagen in leuchtende, acidfarbene Glitzerwelten verwandelt. Die immergrünen Urwälder von Hawaii bildeten die Kulisse für Bilder der Unschuld, der Unberührtheit. Religiöse Themen von Wiedergeburt und Auferstehung werden hart an der Grenze zum Kitsch zelebriert. Kanye West hat schwer an seinem Kreuz zu tragen, während sich abgerissene Jugendliche voller Tattoos um die Jungfrau Maria scharen.

Aber auch seine Zivilisationskritik wird kraftvoll ins Bild gesetzt: Ein verloren wirkender Mensch liegt inmitten von Elektroschrott, wie der mythologische Ikarus, der zu dicht an die Sonne geraten und aus den Höhen der Elektronik und Digitalisierung abgestürzt ist.

In seiner Werkgruppe der „Earth Laughs In Flowers“, die wie altmeisterliche Blumenstillleben daherkommen, versteckt er Handys, Zigarettenkippen und zerknüllte Plastikflaschen, während in der Serie „Gas“ gespenstisch illuminierte Tankstellen in grün-dunklen Dschungeln aufzuglühen scheinen.

(c) David LaChapelle (Sintflut)(c) David LaChapelle (Sintflut)

Natürlich gibt es auch immer noch Porträts von Prominenten, die er gewohnt nackt oder mit grellen Bemalungen in Szene setzt. Aber biblische Motive sollen Trost und Frieden stiften. Fast schon apokalyptisch sind seine in aufwendigen Installationen gemachten Riesenaufnahmen, wie das gigantische Werk, in der er die Sintflut aus dem Alten Testament inszeniert. Ausgangspunkt und Ideengeber war die Naturkatastrophe, die der Hurrikan Katrina im Süden der USA anrichtete. Dutzende Helfer, Statisten, Models und Darsteller wurden am Set akkurat platziert, um ein Monumentalbild zu schaffen, das sich frei an Michelangelos Fresken in der Sixtinischen Kapelle vom Vatikan orientierte.

Dieses und viele weitere einzigartige Aufnahmen aus den letzten 30 Jahren finden sich in den beiden gerade erschienenen Prachtbänden aus dem Kölner TASCHEN Verlag. Die Bücher „Lost + Found. Part I“ und „Good News. Part II“ bilden den vierten und fünften Teil seiner fünfbändigen Anthologie, die mit „LaChapelle Land“ (1996) begann und kurz darauf mit „Hotel LaChapelle“ (1999) und später mit „Heaven and Hell“ (2006) fortgesetzt wurde. Die wild zusammengestellten Aufnahmen zwischen Kitsch, Anspruch und Pathos wurden selten gezeigt und sind noch nie in Buchform veröffentlicht worden. Wer auf schrille, sexy, aber auch mystisch-religiös aufgeladene und künstlerisch erstrangige Fotokunst abfährt, für den sind diese beiden Bände ein Muss!

(c) David LaChapelle (Adam und Eva)(c) David LaChapelle (Adam und Eva)

David LaChapelle: Lost + Found, Part I, Hardcover mit Ausklappseiten in einer Box, 278 Seiten, TASCHEN Verlag, Köln, 2017.
David LaChapelle: Good News, Part II, Hardcover in einer Box, 276 Seiten, Taschen-Verlag, Köln, 2017.

Die Bildbände sind in den inhabergeführten Buchhandlungen Prosa, Buchfink, Arno Adler, Langenkamp, maKULaTUR und Buchstabe erhältlich.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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