Joachim Meyerhoff, Foto: (c) Marie Amrei

Joachim Meyerhoff
Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war: Das Leben ist ein Irrenhaus

Nach Alle Toten fliegen hoch aus dem Jahre 2011 hat der Schauspieler und Schriftsteller Joachim Meyerhoff jetzt seinen zweiten autobiografischen Roman Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war veröffentlicht. Während es im ersten Buch um sein Austauschjahr in den USA und den Tod durch einen Verkehrsunfall des mittleren Bruders ging, beschreibt er im aktuellen Roman sein Aufwachsen mitten in der Psychiatrie von Schleswig-Hesterberg, wo sein Vater leitender Direktor war.

Geschrieben aus der Sicht des achtjährigen Sohnes Josse erzählt Meyerhoff in Ich-Form seine ungewöhnliche Kindheit inmitten einer ungewöhnlichen Lebenswelt. Sein Elternhaus liegt mitten auf dem Gelände der Kinder- und Jugendpsychiatrie von Schleswig, wo 1200 körperlich und geistig behinderte Kinder und Jugendliche leben. Der Anstaltsleiter und medizinische Direktor ist sein Vater - ein liebenswerter, außerordentlich dicker Mann, schwer gebildet und belesen, aber im praktischen Leben ein ziemlicher Versager. So entscheidet er sich zu seinem 40. Geburtstag zum sofortigen Aufgeben des Rauchens, einer strengen Diät und zu sportlichen Aktivitäten. Allerdings gleich beim ersten Joggingversuch in den neuen Sportschuhen knickt er um und hat einen Bänderriss. Ähnlich läuft es mit dem Segeln. Durch das Studium diverser Segelmagazine entdeckt der Vater diesen Wassersport für sich. Sofort wird ein Liegeplatz für das noch nicht existente Segelboot gemietet, die Mitgliedschaft im örtlichen Segelverein abgeschlossen, großspurig theoretisches Fachwissen gespeichert, aber bei der folgenden Segelprüfung fällt der Vater als einziger Teilnehmer durch, weil ihm bei der praktischen Prüfung die Seekrankheit arg zusetzt.

So lakonisch, humorvoll, authentisch und ehrlich wie Meyerhoff seinen Vater beschreibt, erzählt er auch über die unterschiedlichsten Patienten, die er täglich auf dem Gelände der Psychiatrie erlebt. Kindlich brutal und direkt werden die Anstaltsinsassen von ihm und seinen Brüdern teilweise als Idioten, Hirnies oder Psychos bezeichnet, aber trotzdem begegnet er ihnen immer auch mit Achtung und teilweise sogar mit Zärtlichkeit. Von dem bärtigen Riesen, vor dem sich alle fürchten und der immer mit zwei riesigen Glocken über das Gelände bimmelt, lässt er sich auf den Rücken nehmen und durch die Anlagen reiten. Oder der Einweiser am Tor der Klinik, der ihn jeden Morgen immer mit dem gleichen Spruch zur Schule durchläßt: „Ah, jetzt wird in der Schule wieder ficki-ficki gemacht.“

So verrückt die Insassen, so verrückt ist eigentlich auch seine ganze Familie: Vater, Mutter, drei Brüder und der gutmütige Hund. Sich selbst beschreibt Meyerhoff als Kind mit Rechtschreib- und Leseschwäche und einer Neigung zu unkontrollierbaren Wut- und Weinausbrüchen mit dem Spitznamen „Die blonde Bombe“. Der mittlere Bruder ist ein Klugscheisser und Besserwisser vor dem Herrn, und auch der älteste Bruder lässt kaum eine Gelegenheit aus, den Kleinen zu trietzen und zum Heulen zu bringen. Aber trotzdem lieben sie sich innig.

In vielen einzelnen Episoden erzählt Meyerhoff hemmungslos komisch, selbstironisch und unterhaltsam über das schräge Leben auf dem platten norddeutschen Land. Aber die Komödie ist beim genaueren Hinschauen auch immer eine Tragödie, denn der Tod lauert immer gleich hinterm Eck. Gleich zu Beginn des Romans findet Josse zum Beispiel einen toten Rentner im Schrebergartengelände und wird sofort zum Helden seiner Klassenkameraden, denen er von seinem Fund ausufernd berichtet.

Auch der geliebte Hund, mit dem er blutige Blutsbrüderschaft à la Winetou feiert und ihn fast verbluten lässt, muss später eingeschläfert werden. Oder der Klugscheisserbruder und selbst der Vater sterben im Laufe des Romans. Da tut sich schnell die dunkle Seite des Romans auf und die Komik stürzt ab ins Tragische. Trotzdem findet Meyerhoff immer eine Leichtigkeit im Ton, auch wenn die Dramatik des Todes des Vaters kaum zu ertragen ist. Was grotesk klingt ist eben besser zu ertragen. Meyerhof setzt dem Tod die Komik entgegen, die Spontanität des Banalen, des skurrilen Augenblicks als Gegenentwurf zum Sterben. Darin liegt eine unglaublich Meisterschaft, die diesen Roman so liebenswert und lesenswert macht. Die reine Freude, sich durch diese Ansammlung von Fabulierlust und Lebensbejahung zu lesen.

Joachim Meyerhoff: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war, Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2013, 352 Seiten, Amazon.

Das Buch ist in den Lübecker Buchhandlungen Arno AdlerLangenkampmaKULaTUR, Buchhandlung BellingAntiquariat Tautenhahn und Rathaus-Buchhandlung zu erwerben.

Titelfoto: Joachim Meyerhoff, (c) Marie Amrei, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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