In der Hamburger Kunsthalle gibt es eine kurze Geschichte der Illusionen in Bildern und Skulpturen: „Illusion - Traum - Identität - Wirklichkeit“ nennt sich die aktuellste Schau in der Hamburger Kunsthalle, die mal wieder belegt, dass viele Kunst zu schön ist, um wahr zu sein. Dabei beleuchtet die großartige, äußerst umfangreiche und epochenübergreifende Ausstellung die unterschiedlichsten Facetten des Thema Illusion von der Kunst der Alten Meister bis in die unmittelbare Gegenwart.
Fake News in der Kunst gab es schon seit der Antike. Seit jener Zeit ist die Kunstrichtung des „Trompe-l`Oeil“ weit verbreitet und erlebte vor allem in der Renaissance und im Barock eine Blütezeit. Schon damals war den Betrachtern von Kunst klar, dass sie ihren Augen nicht immer trauen durften. Auch heute in Zeiten von Fakes auf allen Ebenen sind die Künstler der Gegenwart begeistert und versuchen, die Wahrnehmung mit allen Mitteln auszutricksen. Gerade über das Internet werden wir Menschen mit manipulierten Bildern konfrontiert und müssen erleben, dass Bilder trügen können und die Wirklichkeit weniger abbilden als vielmehr zu gestalten versuchen. KI sei Dank!(c) Duane Hanson, Foto: Holger KistenmacherDie Hamburger Ausstellung zeigt aber auch, dass künstlerische Illusionen weit mehr bedeuten als bloße Augenwischerei. Sie offenbart sich in der illusionistischen Selbstliebe des Narziss (John William Waterhouse: Echo und Narziss von 1903) genauso wie in architektonischen Raumillusionen. So war die Erfindung der Zentralperspektive ein Quantensprung, der die Malerei für immer verändern sollte. Gemälde von Kirchengebäuden spiegeln eine Tiefe vor, die der Realität spottet. Die Künstler spielen bis heute mit dem Spiel des Enthüllens und Verbergens, der Spiegelung oder der Bedeutung von Fenstern und Türen, die in der Malerei manchmal den Rahmen sprengen. Hinzu kommt in der modernen Gegenwartskunst das Spiel mit der Hyperrealität, wie sie zum Beispiel Duane Hanson mit seinen hyperrealistischen Skulpturen gelingt, der seit den 70er Jahren seine „Menschen - meist Obdachlose, Putzfrauen, etc“ in Ausstellungen schmuggelt. Auch die überdimensionale Größe von Skulpturen eines Ron Mueck, der ein ausgenommenes, riesiges, fast echtes Huhn von der Decke hängen lässt, spielt mit den Betrachtern.
Aber Täuschungen des Auges und des Verstandes können auch andere Wege gehen, wie schon Gerhard Richter mit seinem aufgeschlagenem Blatt oder mit gemalten Vorhängen aus den 60er Jahren bewies. Zur gleichen Zeit widmeten sich die Op-Art-Künstler wie der Franzose Victor Vasarely der geometrischen Malerei und suggerierten Wellenbewegungen durch Stauchungen und Streckungen.
(c) Anish Kapoor: Concave Convex Mirror, Foto: Holger Kistenmacher
Der indisch-britische Bildhauer Anis Kapoor wiederum trickst seit den 80er Jahren die Wahrnehmung mit konkav und konvex geschwungenen Objekten aus, besonders seine Spiegelformen lassen den Betrachter Kopf stehen und sich wundern. Ganz in der Neuzeit der Absurditäten des täglichen Lebens ist der großartige Schauspieler Lars Eidinger angekommen, der immer eine Kamera dabei hat, wenn er durch die Straßen Berlins läuft. Dabei entdeckt er immer wieder absurde und meist humorvolle Situationen, Gegenstände und Menschen, die er ablichtet. Seine Fotos sind in der gesamten Schau immer einmal wieder dazwischen geschmuggelt und verdeutlichen, dass die alten Klassiker auch in der Jetztzeit ein Pendant finden könnten.
Foto: Holger KistenmacherAlso sollten die Besucher der Schau ihre Sinne schärfen, denn die Kunsthalle bietet anhand von ca. 150 Gemälden, Zeichnungen, Druckgrafiken, Fotografien, Skulpturen, Installationen und Videoarbeiten genügend Futter, um sich täuschen zu lassen. In insgesamt zehn Themenkomplexen spürt sie den vielfältigen Erscheinungsformen von Hyperrealismus, Realität, Fiktion, Traum, Verwandlung und Täuschung nach. Die Liste der teilnehmenden Künstler*innen ist lang und beginnt mit Helene Appel, Hans Arp und Max Beckmann über Nan Golden, Francisco de Goya oder Piet Mondrian bis hin zu Gerhard Richter, Kiki Smith, Victor Vasarely und Francisco de Zurbaran.
Schon 1964 hatte Marcel Duchamp unumwunden festgestellt: „Die Kunst ist eine Täuschung“; während Sigmar Polke 1976 die Frage formulierte: „Can you allways believe your eyes?“, womit sie beide auf die Grenzen der menschlichen Wahrnehmung hinwiesen. Gerade heute in Zeiten von Fake News und künstlicher Intelligenz wirft die sehr sehenswerte Ausstellung ein Schlaglicht auf unsere Gesellschaft im 21. Jahrhundert und lädt zur Sinnesschärfung und zum Nachdenken über uns selbst ein.
Die Ausstellung ist in der Hamburger Kunsthalle bis zum 6.April 2025 zu sehen. Ein großartiger Katalog zur Schau ist im Museum für 35 Euro zu kaufen.
Fotos: Holger Kistenmacher