Die Hamburger Kunsthalle kann sich glücklich schätzen, sehr großzügige Sammler und Unterstützer zu haben, die durch Schenkungen oder sehr freigiebige Leihgaben immer wieder dafür sorgen, dass hervorragende Kunst der Gegenwart plus Neuerwerbungen es ermöglichen, Ausstellungen zu konzipieren, wie die, die jetzt das gesamte Sockelgeschoss der Galerie der Gegenwart bespielt.
Unter dem neckischen Namen „Isa Mona Lisa“, wie auch Wolfgang Tillmanns seine im Jahr 1999 aufgenommene Porträtfotografie seiner Künstlerkollegin und Freundin Isa Genzken bezeichnete, ist eine umfassende Schau von Gegenwartskunst zu sehen. Natürlich wird einerseits auf das berühmteste und rätselhafteste Werk von Leonardo da Vinci (1503 - 1506), die Mona Lisa verwiesen, andererseits wollte man in der Kunsthalle nach der großartigen Caspar David Friedrich-Ausstellung, mal mit einem Programm mit weiblicher Namensgebung für Aufsehen sorgen.
Wobei sowohl Isa Genzken als auch Wolfgang Tillmanns (1968) mit jeweils eigenen Räumen gewürdigt werden. Der international gefeierte Fotograf zeigt mehrere großformatige Porträts als auch experimentelle Fotoarbeiten, die ohne Kamera entstanden sind. Diese sogenannten „Silver-Fotografien“ sind farbintensive, abstrakte Werke, die das Ergebnis eines speziellen Prozesses sind, bei dem unbelichtetes Fotopapier durch die Entwicklungsmaschine geführt wird und in den Spuren von verbrauchten Chemikalien, vor allem Silbernitrat sowie Wasser belassen wurde. Es kommt zu Ablagerungen, die sowohl die Farbigkeit als auch die Oberfläche des Fotopapiers verändern.
Isa Genzken (1948 Bad Oldesloe) hingegen wurde zunächst mit Kunst der Ästhetik des Konstruktivismus bekannt, wie ihre Betonstelen oder „Der Weltempfänger“, ein Radio in einem Betonklotz. Dann wurden ihre Arbeiten wilder, punkiger und popartiger. So zeigte sie in Münster bei den Skulpturentagen Installationen aus Schaufensterpuppen und gefundenem Trash sowie Baumarktartikeln, die provozierten. In Hamburg sind sowohl vertikale Skulpturen aus der Reihe der Auseinandersetzung mit Architektur und urbanen Strukturen zu sehen, wie auch eine Puppen-Installation.
Besonders aufregend und sehenswert ist eine Raum-Installation-im-Raum von Thorsten Brinkmann (1971). Sein „Salon Livresque“ befand sich jahrelang in der Privatvilla eines Hamburger Sammlerpaares (Beer) und wurde der Kunsthalle geschenkt. Es handelt sich um eine original abgebaute und wieder neu installierte Raum-Installation voller Überraschungen, skurriler Objekte, Möbel, Bilder, Teppiche und vor allem Bücher. Wie eine Theaterkulisse darf man den Raum betreten, sich auf die Möbel setzen und in den Büchern, die größtenteils aus der privaten Sammlung des kürzlich verstorbenen Harald Falkenberg stammen, rumschmökern. Es ist eine wahre Wunderkammer, mit versteckten Details, wie eine hinter einem Türchen verborgene Bar, nostalgischen Lampen, verblichenen Tapeten mit Kaffeeflecken und sogar einem original übertragenen Wasserfleck an der Decke, den zunächst die Kuratorin, Dr. Brigitte Kölle aufgeschreckt für einen wahren Wasserschaden im Museum hielt. Der Besucher kann sich förmlich in Raum, Zeit und Fantasie verlieren - ganz groß!
Außerdem gibt es diverse Räume, die einzelne Künstlerstars abfeiern, wie der Saal mit den großformatigen Bildern des Neuromantikers und bekanntesten Künstlers der Leipziger Schule, Neo Rauch (1960), die großzügig ebenfalls als Dauerleihgaben von einem Sammler aus Hamburg zur Verfügung gestellt wurden. Seit Anfang 2000 hat er einen Bildkosmos geschaffen, der zwischen figurativ, aber komplex und rätselhaft tänzelt. Im Stile alter Meister aus der Romantik, aber auch aus dem Sozialistischen Realismus malt er riesige Gemälde, die zum Staunen und Nachdenken führen. Sie haben sowohl märchenhaftes als auch etwas bedrohliches. Die Bilder, die oft unnahbar sind, ziehen aber jeden Betrachter in einen Sog der Faszination - zwischen surrealem Drama und humoristischem Fantasietraum.
Auch ein weiterer deutscher Großmeister der Gegenwartskunst ist vertreten: Gerhard Richter präsentiert diverse seiner unscharfen Familienbilder, während Andreas Slominski einen scheinbar lieblichen alten Kinderwagen in den Raum stellt, der sich bei näherer Betrachtung als eine tückische Falle herausstellt. Der Kontrast von der Mutter, die ihr Kind an der Brust säugt und harmlos beglückt scheint, wird konterkariert durch das Absurde und die Trugbilder von Andreas Slominski (1959).
Solche Gegenüberstellungen von verschiedenen künstlerischen Positionen lassen sich auch in einigen anderen Räumen finden. So prallen die brutalen und schweren Werk des Arte Povera-Künstlers Jannis Kounellis, der in den 60er-Jahren mit scheinbar alltäglichen Materialien und verkohltem Holz arbeitete, auf die Objekte von Alexandra Bircken, die den Körper und Sachen aus dem täglichen Gebrauch in Kunst verarbeiten. Ein mittig durchsägtes Motorrad zeigt sein Inneres, während die Motorradschutzkleidung aufgeschnitten und platt an die Wand gehängt wie eine zweite Haut daherkommt. Netzstrumpfhosen werden als Objekt an die Wand gehängt, während ein von der Decke hängender Boxsack zum Symbol der Kraft und Zerstörung wird.
Weitere große Namen der Ausstellung sind Louise Bourgeois, deren feministische Kunst um Erinnerung, Kindheit, Aggression und Körperlichkeit kreist, der humorvolle Sigmar Polke, der sich als Kriegskind auch mit Gewalt und Politik auseinandersetzte oder die wunderbare Maria Lassnig.
Neu entdecken lässt sich die Koreanerin Hyun-Sook Song (1952), die aus ärmlichen Verhältnissen in Südkorea als Krankenschwester nach Hamburg kam. Sie versteht den Akt des Malens als physisch-performatives Ereignis, das in einem Zustand völliger Konzentration und Meditation stattfindet. Grundierte Leinwände legt sie auf den Boden und vollführt in einem einzelnen Pinselstrich ein minimalistisches fast schon kalligrafisches Arbeiten zwischen Figuration und Abstraktion. Im Gegensatz dazu steht die monumentale Arbeit von Richard Serra (1938 - 2024), der 13 Tonnen Bleischrott einschmelzen ließ und das heiße Material gegen die Wand schleuderte. Auch hier ist der Entstehungsprozess Hauptbestandteil des Werks, der sich in fortschreitender Erstarrung befindet, weil mit zunehmendem Alter die Bleimassen durch ihr eigenes Gewicht zusammensacken.
Bei weitem filigraner kommen da die Figuren der Japanerin Asana Fujikawa (1981) daher, die sich märchenhaft um die Beziehung von Mensch und Natur, um Sexualität und Weiblichkeit drehen. Magische Dimensionen und japanische Mythologie gehen Hand in Hand und erzählen fiktive Geschichten, die sie auch per Hand als Geschichte an die Wand geschrieben hat. Außerdem gibt es Fotoserien von Joachim Koester, Strohskulpturen von Haegue Yang und eine wunderbare Stoffarbeit von Dan Lie in einem Raum. Dazu weitere Künstlerräume von Paul Thek, Ilja Kabakov, Boromir Ecker oder Simon Denny.
Insgesamt sind in der Schau, die die nächsten zwei Jahre laufen soll, wobei einzelne Werke aus restauratorischen Gründen ausgetauscht werden, über dreißig künstlerische Positionen mit über 150 Arbeiten aus allen Sparten der Kunst, wie Fotografie, Video, Installation, Skulptur, Malerei und Zeichnungen zu sehen, die einen umfassenden und lebendigen Einblick in die aktuelle Gegenwartskunst geben.
Hamburger Kunsthalle , Ausstellung vom 18. Oktober 2024 bis 18. Oktober 2026. Weitere Infos unter www.hamburger-kunsthalle.de
Fotos: Holger Kistenmacher