Die nigerianisch-deutsche Künstlerin Ngozi Schommers

Ausstellung über Rituale
„Like a Prayer“ in der Petrikirche

Im Rahmen des Konzeptes „Mobile Kunsthalle“, welches schon Künstler*innen zur Schaum-Aktion an das Holstentor oder zu einer Mitmach-Aktion im Container beim Superkunstfestival geführt hatte, gibt es jetzt eine neue Kooperation im Lübecker Stadtraum. Die Kunstkirche St. Petri zeigt in Zusammenarbeit mit der Kunsthalle St. Annen 5 junge Künstler*innen, die sich dem Thema Rituale in ihren Arbeiten annehmen.

Ausgehend vom provokanten Hit der Pop-Queen Madonna aus dem Jahre 1989 „Like a Prayer“ forschen die jungen Gegenwarts-Künstler*innen nach Sinn und Bedeutung von Leben, wie Kunstpastor Schwarze bei seiner Begrüßung erklärte. „In Zeiten, wo sich Religionen scheinbar überlebt haben und Sinnen-leer erscheinen, bleibt das Leben weiterhin ein Mysterium“, wie es auch im Text von Madonna heißt. Die teilnehmenden 5 jungen Künstlerinnen aus aller Welt, die aber zur Zeit in Deutschland leben und arbeiten, wollen in ihren Arbeiten zeigen, was Menschen über Zeit und Grenzen hinweg verbindet. Sie versuchen die Frage zu beantworten: Wie schaffen wir Bedeutung?

Juan Ricaurte-Riveros inmitten seiner Saatgut-InstallationJuan Ricaurte-Riveros inmitten seiner Saatgut-Installation

Mit Hilfe von Installationen und Performances, Skulpturen und Videos zeigen sie, welche Bedeutung Popkultur und zeitgenössische Kunst zur Rolle von Ritualen leisten. So hat der aus Kolumbien stammende und zur Zeit in Kiel lebende Juan-Ricaurte-Riveros eine Installation von großen durchsichtigen Luftballons in den Kirchenraum platziert. Im Innern der Ballons ist getrocknetes altes Saatgut von Kleinbauern seines Landes zu sehen, welches sie aber nicht mehr für die Aussaat benutzen dürfen, weil Chemie-Konzerne wie Monsanto das Patent auf Saatgut besitzen. Die Kleinbauern dürfen ihr eigenes nachwachsendes Saatgut von Bohnen nicht mehr verwenden, weil weltweit agierende Konzerne Millionen machen wollen. Neben den verheerenden Folgen für die Kleinbauern, denen der Zugang zum Markt versperrt bleibt, führt die Verdrängung der eigenen lokalen Samen zum Verlust von Biodiversität und Nahrungs-Souveränität. Gleichzeitig hat er als Zeichen der Hoffnung aber auch einen Pflanzkasten aufgebaut, wo demnächst neue Pflanzen aus den Samen sprießen sollen. Für ihn stehen die Bohnensamen als eine Analogie zum Leben und als Sinnbild von Widerstand und Liebe.

Mark Morris vor seiner T-Shirt-InstallationMark Morris vor seiner T-Shirt-Installation

Rituale zum Thema Trauer, Schmerz, Liebe und Loslassen sind Inhalt der T-Shirt-Installation vom jungen Briten Mark Morris, der in Malaysia geboren wurde. Dort hat er im Secondhand-Handel sogenannte R.I.P.-T-Shirts gefunden, die ursprünglich aus den USA stammten. Dort gibt es die Tradition, rituelle Kleidungsstücke zu tragen, um Verstorbene mit visuellen und tragbaren Kleidungsstücken ein Denkmal zu setzen. Fotografien, Geburts- und Sterbedaten, sowie Zitate, die die Persönlichkeit der Toten beschreiben, sind auf die T-Shirts gedruckt. Es geht dem jungen Künstler in der Installation der gesammelten Shirts um Fragen des Trauerns, dem Loslassen und Abschließen mit dem Tod.

Belia Zanna Geetha Brückner hat mehrere Installationen in den Raum gestellt, unter anderem ein Bett voller Luxusartikel oder eine Kommode mit Kinderspielzeug, die darauf anspielen, wie man sich mit Hilfe von Geschenken anstelle von Entschuldigungen bewußte Strategien der Manipulation und Kontrolle verschafft. Unter dem Titel „beim Picknick erwähnte jemand Jonny Depp und Amber Heard“ hat sie zum Beispiel eine Gucchi-Handtasche mit Schleife neben einen Pfeiler gestellt, um den Rosenkrieg zwischen den beiden Hollywood-Größen zu kommentieren. Entschuldigung und Wiedergutmachung verschwimmen im Luxus-Wahn aus Schmuck, Schokolade und Blumen und sollen wie ein Freikaufen von Schuld genutzt werden.

Luxusgüter als Entschuldigung von Belia Zanna Geetha BrücknerLuxusgüter als Entschuldigung von Belia Zanna Geetha Brückner

Die nigerianisch-deutsche Künstlerin Ngozi Schommers befasst sich in ihren geflochtenen Skulpturen um Identität, Erinnerung, Migration und Kolonialismus. Ihre vor dem Altar hängenden Skulpturen erinnern an Köpfe mit aufwendigen Flechtfrisuren, wie sie in ihrer Heimat Tradition sind. Die Arbeit von Frisören haben oft familiäre Bezüge und dienen dem Zusammenhalt von Frauen in ihren Gruppen und Gemeinschaften aus dem Südosten Nigerias.

Zum Abschluss der Vernissage gab der junge japanische Künstler Daiki Kimoto unter vielfältiger Beteiligung der Besucher*innen noch seine Performance „Like a River“. Dabei hat er mit einem großen Rakelbesen eine 10 Meter lange Leinwand mit Farben bespritzen lassen, die er ganz langsam und mit sorgsam geplanter Technik und Geschwindigkeit in einen bunten Farb-Fluss verwandelte. Ähnlich wie ein Fluss, der gleichermaßen trennt wie verbindet, stetig seinen Weg bahnt und sich in einem fortwährenden Zustand der Bewegung und Veränderung befindet, prägt der Zufall des Farbauftrags die Entstehung des Bildes.

Daiki Kimoto bei seiner Live-Performance "Like a river"Daiki Kimoto bei seiner Live-Performance "Like a river"

Als Ort der Kontemplation und der Kunst bildet die Petrikirche zu Lübeck wieder einmal den idealen Rahmen für zeitgenössische Auseinandersetzung mit Ritualen und Fragen unseres Alltags. Frau Dirani versprach in ihrer Begrüßungsrede mehr solche Zusammenarbeiten im Lübecker Stadtraum und verriet bereits, dass die Kunsthalle Lübeck zukünftig sogar eine Triennale für junge Gegenwartskunst in der Hansestadt plane. Man darf gespannt sein.


Fotos: Holger Kistenmacher

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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