Jan Herrmann, Foto: (c) Thomas Radbruch

Jan Herrmanns wohl letzte Ausstellung in der Kunsttankstelle Defacto-Art
Der Stadtindianer verabschiedet sich

Es fiel schon auf, dass man den Stadtindianer Jan Herrmann kaum noch durch die Stadt streifen sah. Sonst konnte man dem Künstler, Freigeist und Tausendsassa der Lübecker Kunstszene zu allen erdenklichen Uhrzeiten und Zuständen eigentlich immer irgendwo begegnen. Der Mann war auffällig mit seinen langen blonden Haaren und den skurrilen Kopfbedeckungen. Meist mit verschmitztem Grinsen im Gesicht, meinungsstark, eigenwillig, frech und manchmal auch ein wenig größenwahnsinnig.

So hat er sich einmal im wahrsten Sinne des Wortes verhoben. Man hatte in seiner Zeit als Steinmetz und Bildhauer einen 4-Tonnen-Brocken vor das Burgtor gekarrt, damit er daraus ein Werk kloppen sollte. Über ein halbes Jahr war er mehr oder weniger aktiv am arbeiten, legte sich mit der Künstler-Kollegin Schroeter aus der Nachbarschaft an, bis der Riesenstein wieder abgekarrt wurde.

(c) Jan Herrmann(c) Jan Herrmann

Bei der wohl letzten Ausstellung, die gerade im Defacto Art lief, traf er wieder unter anderem auf die besagte Kollegin Schroeter, die im dortigen Förderverein sitzt und zur Versöhnung einen selbst gebackenen Kuchen mitgebracht hatte. Angesprochen auf das gescheiterte Projekt konnte Jan Herrmann heute nur noch lachen. Es waren viele Leute, Freunde und ehemalige Künstler-Kolleg/innen gekommen, um seine letzte Ausstellung zu sehen, Bilder zu kaufen und sich von ihm zu verabschieden, denn seit 2020 weiß der Stadtindianer, dass er Krebs hat.

Deshalb hat er dem Kunstverein seine letzten Bilder, überwiegend feine, zarte, abstrakte Bleistiftzeichnungen und Aquarelle zum Verkauf zur Verfügung gestellt. Und die Bilder bei der Vernissage gingen weg wie warme Semmeln. Unterstützt von Kunsthaus-Chef Thomas Gaulin und Fotograf Thomas Radbruch und weiteren Wegbegleitern war die Halle in der Kunsttankstelle sehr gut besucht. Es wurden viele freundliche, aber auch lustige Geschichten über den Stadtindianer erzählt. Er war schon ein bunter Hund, der Lebenskünstler Herrmann, der im Oktober gerade 65 Jahre alt geworden ist. „Es ist, wie es ist“, sagt er zu seiner gesundheitlichen Situation. Er will sich nicht beschweren, blickt auf ein erfülltes Leben zurück.

(c) Jan Herrmann(c) Jan Herrmann

Er ist viel rumgekommen im Leben, hat mehrere Jahre in Thailand verbracht, war zum Tauchen auf den Malediven und auf den Philippinen, ist durch die USA getrampt. Auch beruflich hat er so einiges durch: Nach dem Gymnasium in Lübeck, wo er vom Leibniz-Gymnasium ans Johanneum wechselte, weil man dort einen Kunstleistungskurs belegen konnte, fing er zwar an zu studieren, aber das Fach Architektur war dann doch nicht das Richtige, dafür bekam er schon damals sein Etikett als Stadtindianer von seinem dortigen Dozenten verpasst. Kein Wunder, wenn man ihn sich als langhaarigen Horex-Motorrad fahrenden Hippie vorstellt.

Also wurde er erstmal Binnenschiffer, später Steinmetz und Ausgrabungshelfer im Gründungsviertel an der Marienkirche. Die Archäologie war seine letzte große berufliche Station in Lübeck. Er sichtete die Fundstücke und ordnete sie ein. Aber eigentlich war er immer Künstler und nahm an diversen Ausstellungen teil und genoss sein Leben als Freidenker und Naturliebhaber. Die Mischung aus Kunst und Natur erfüllte ihn. Unzählige Arbeiten und ein Leben mit zwei Ehefrauen und drei Kindern später, scheint Jan Herrmann mit sich und seinem Leben im Reinen zu sein - trotz der Krebserkrankung. Und mit der letzten Ausstellung darf er es auch sein: Die Bilder wurden rasant an den Mann und die Frau gebracht.


Fotos: Holger Kistenmacher

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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