Ragnar Axelsson, Foto: (c) Jakob Börner

„Where The World Is Melting“ im Phoxxi, temporäres Haus der Photographie
Ragnar Axelsson - Der Fotograf der Kälte

Seine erste Kamera war vom Vater geliehen, als er mit 8 Jahren seine ersten Aufnahmen machte.

Er befand sich auf einem Flug über den Vulkan Öraefajökull, als er zum erstmal einen Gletscher sah und war fasziniert. „Ich hielt eine Leica umklammert, die so viel kostete wie ein Auto“, erzählt der 1958 auf Island geborene Photograph, dem eine große Retrospektive seiner beeindruckenden Schwarz-Weiß-Bilder in den Hamburger Deichtorhallen gewidmet ist. Dabei geht es um die außergewöhnlichen Beziehungen zwischen Menschen, Tieren und Orten in der Arktis und ihrer extremen Umwelt, die aufgrund des beispiellosen Klimawandels kontinuierlichen tiefgreifenden und komplexen Veränderungen unterliegen.

Axelsson ist für seine Arbeit weit gereist an die Ränder der bewohnbaren Welt zu den isoliertesten Regionen der Arktis: zu den Inuit-Jäger/innen nach Nordkanada und Grönland, zu den Bäuern/innen und Fischer/innen auf Island und den Färöer Inseln und zur indigenen Bevölkerung in Nordskandinavien und Sibirien. Seit 40 Jahren dokumentiert er aus erster Hand, was der Klimawandel in diesen Regionen für die Menschen und die Natur bedeutet. Dabei scheut er keine Gefahren und Risiken, um durch lange Aufenthalte den Respekt und das Vertrauen der Menschen vor Ort zu erlangen, um seine außergewöhnlichen Fotos bei manchmal minus 40 Grad zu schießen. So gelingen ihm intimste Aufnahmen und er kann die persönlichen Erzählungen aufschreiben, die ihn zum Zeugen und Dokumentaristen ihrer Existenz in bedrohter Umwelt machen.

(c) Ragnar Axelsson(c) Ragnar Axelsson

Für diese Retrospektive seiner Arbeiten, die zunächst in München (kuratiert von Isabel Siben) vom dortigen Kunstfoyer Kultur gezeigt wurden, hat der Kurator Ingo Taubhorn vom Haus der Photographie in Hamburg insgesamt 94 Bilder ausgewählt, um das wichtige Thema des rasanten Klimawandels auch im Norden sichtbar zu machen.

Ragnar Axelsson ist aber nicht nur einer der gefragtesten Photographen des Nordens, sondern kooperiert häufig mit anderen Kollegen, wie zum Beispiel dem Magnum-Fotografen Paolo Pellegrin oder dem Künstler Olafur Eliasson, um diese bei ihren Projekten zum Klimawandel zu unterstützen. Dabei fungiert er auch als erfahrener Pilot, um die Kollegen über die Gletscher zu fliegen. Auch mit den Wissenschaftlern und Klimaforschern Stefan Rahmsdorf und Michael Mann hat er gemeinsame Expeditionen unternommen, um die schmelzenden Gletscher zu dokumentieren. Ein Schlüsselmoment für ihn war zum Beispiel die Nachricht, dass einem Gletscher auf Island sein Status als Gletscher aberkannt wurde, weil er einfach nicht mehr vorhanden ist. Jetzt erinnert nur noch eine Hinweistafel an ihn, erzählt der Foto-Künstler bei der Pressekonferenz.

(c) Ragnar Axelsson(c) Ragnar Axelsson

Seine authentischen Bilder dokumentieren aber nicht nur in ihrer Schönheit, Ästhetik und Dramatik den weit fortgeschrittenen Klimawandel im Norden der Welt, sondern belegen auch seine Befürchtungen, dass die traditionelle Kultur der arktischen Bevölkerung nicht nur im Verschwinden begriffen ist, sondern auch den zerstörerischen Auswirkungen größerer Kräfte wie Wirtschaft und Klimawandel nicht standhalten kann.

Gegliedert ist die Schau in mehrere Abteilungen, wie Gesichter des Nordens (fotografiert in Island und auf den Färöern zwischen 1986 und 2015), Die letzten Tage der Arktis (Grönland 1987-2013), Hinter den Bergen (Island 1986 - 2019), Gletscher (Island 2008 - 2018), Arktische Helden (Grönland 1986 - 2019), Sibirien (1993 - 2016) und Schwarze Landschaft (Island 2021).

Seine Fotos zeigen aber nicht nur die Konsequenzen menschlichen Handelns, sondern sind auch in ihrer unglaublichen Ästhetik von der Kraft der Elemente und der Erhabenheit der nordischen Natur ein fotografisches Erlebnis, das tief beeindruckt. Angelehnt an die Kunst der Naturmalerei eines Paul Klee oder Per Kirkeby sind seine Bilder oft schon abstrakt, wenn er Luftaufnahmen von schwindenden Gletschern, die von schwarzen Aschebändern durchzogen sind, macht. Aber auch seine grandiosen Tieraufnahmen und Menschen-Porträts haben eine Tiefe und Intimität, die nur durch größten Respekt und Vertrauen entstehen können.

(c) Ragnar Axelsson(c) Ragnar Axelsson

So erklärt er seine Arbeitsweise vor allem durch lange Freundschaften und seine persönliche Teilnahme an dem oftmals beschwerlichen Alltag seiner Protagonisten, die diese Ikonen der Schwarz-Weiß-Photographie erst möglich machen. So gibt es diverse Bilder von den Hunden, die eigentlich fast schon Wölfe sind, aber ohne die die Inuit als Seehund-Jäger nicht überleben würden, zu sehen, aber auch Fischer und Bauern bei ihrer harten Arbeit in Kälte und Schnee. Häufig hat er seine Protagonisten an den Rand gesetzt, um künstlerische Momente von Weite und Härte der Landschaften zu zeigen. Aber über fast allen seinen Bildern droht das Abschmelzen des Eises, das zu einem Ende dieses traditionellen und entbehrungsreichen Lebens der Menschen, ihrer Tiere und ihrer Jahrhunderte alten Kultur führen wird.

„Nie war es wichtiger als jetzt, das Leben der Menschen und die Veränderungen, die sie in der Arktis durchmachen, in Worten und Bildern zu dokumentieren, damit die ganze Welt sehen kann, was geschieht. Eine Photographie ist in dem Puzzle, aus dem sich das Gesamtbild ergibt, nur ein kleines Teil, doch manchmal sind es diese kleinen Teile, die uns die Augen für die größere Realität öffnen“ so Axelsson in seinem Katalog, der für 49.90 Euro in der Ausstellung erhältlich ist, ansonsten aber vergriffen ist. Eine Ausstellung zum Wachrütteln und gleichzeitig äußerst sehenswert.

Der Fotograf und die Kuratorin Isabel Siben, Foto: (c) Holger KistenmacherDer Fotograf und die Kuratorin Isabel Siben, Foto: (c) Holger Kistenmacher

Die Ausstellung „Where The World Is Melting“ von Ragnar Axelsson läuft vom 17. März bis zum 18. Juni 2023 im PHOXXI.Haus der Photographie Temporär in Hamburg.

www.deichtorhallen.de

 

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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