Foto: Vivien Thiessen, Dr. Tilman von Stockhausen und Noura Dirani

Jahresschau der Lübecker Künstlerinnen und Künstler in der Kunsthalle St. Annen
Neues Jahr, neuer Titel, neues Konzept, neue Kunst

„Lübeck Contemporary“ nennt sich die diesjährige Schau der Gemeinschaft der Lübecker Kunstschaffenden, die ihr vielseitiges kreatives Schaffen seit 1976 jährlich in einer selbst organisierten Ausstellung präsentieren, diesmal in der Kunsthalle St.-Annen.

Schon bei der Vorstellung der 2023er-Ausgabe wird deutlich, dass neue Künstler/innen und Organisator/innen am Werk sind. So waren sowohl der neue Direktor der Lübecker Museen, Dr. Tilmann von Stockhausen als auch die neue Leiterin der Kunsthalle, Noura Dirani, sowie die 1. Vorsitzende der Gemeinschaft der Lübecker Künstlerinnen und Künstler, Vivien Thiessen und die teilnehmende Künstlerin Susanne Adler vor Ort, um in die neue Schau einzuführen.

Installation von 'die brachiale', Berit Krömer und Mirja SchellbachInstallation von 'die brachiale', Berit Krömer und Mirja Schellbach

Dabei zeigte sich Frau Dirani begeistert von der Vielfalt und Aktualität der meisten Arbeiten, die gegenwärtige Themen wie Krieg, Migration, Sexualität, Diversität und andere aktuelle gesellschaftskritische Fragestellungen spiegeln. Man erkennt sofort eine neue Handschrift in der Auswahl der Künstler/innen, der Präsentation und der Hängung der Werke. Diese muss als ausgesprochen anspruchsvoll und intelligent bezeichnet werden. Besonders der Versuch, verschiedene Arbeiten und Künstler in einen Dialog untereinander als auch mit dem Raum und der Architektur der Kunsthalle zu setzen, muss als sehr gelungen bewertet werden. So wird bereits im Foyer ein Bogen der Generationen deutlich. Da treffen Radierungen vom ältesten Teilnehmer, Johannes Jäger auf zwei märchenhafte Fotos der jüngsten Künstlerin, Annie Walter. Ihr "Fairytale Prince Charming", inspiriert aus dem Märchen (Escaping Reality) ist nicht mehr der Retter, sondern zeigt aktuell zur Gender-Politik seine weibliche Seite.

Als Einladung auch an das internationale Kunst-Publikum will Frau Dirani das besondere Konzept und die Auswahl der Werke sehen, aber auch das junge Publikum soll durch moderne Gegenwartskunst und die besondere Präsentation der Arbeiten angesprochen werden. So gibt es gleich im Erdgeschoss eine sehr aktuelle Licht-Installation von Christian und Sabine Egelhaaf, die ihre Arbeit als Chance zur Veränderung, der Reflexion und des Experimentierens verstanden wissen wollen. Überhaupt trifft in der Ausstellung die digitale Welt auf die analoge Kunst-Technik.

Installation von Christian und Sabine EgelhaafInstallation von Christian und Sabine Egelhaaf

Insgesamt 68 Arbeiten von 36 Künstler/innen werden diesmal präsentiert, die von einer fünf-köpfigen Jury (neben Frau Dirani, der Galerist Frank-Thomas Gaulin, die Künstler Susanne Adler und Rainer Wiedemann, sowie Prof. Christian Hahn von der HAW Hamburg) ausgewählt wurden. Neben Skulpturen, Medienkunst, Zeichnungen, Grafiken und Fotografien sind raumgreifende Installationen, Malerei und Kunst im Außenbereich vertreten. Diese Vielfalt ist aber konzeptuell nach Genres und Themen in den jeweiligen Räumen ausgestellt.

So gibt es im ersten Stockwerk einen Raum der Landschaft, wo eine schwarz-weiße Video-Arbeit von Rainer Wiedemann, die den Krieg bearbeitet, zum Beispiel auf Erika Ammann oder die collagenartige Installation von Christian Egelhaaf trifft. „Jeder Raum soll einen eigenen Klang haben, ein gutes Gegeneinander schaffen“, betonte Frau Dirani. Ein Stockwerk höher heißt das Thema: Figürliches trifft auf Porträt. So hängt eine sehr geometrische Arbeit von Ina Fenske, die sich mit dem Krieg in der Ukraine beschäftigt, frei im Raum, während die drei Collagen von Evelyne Müller sich mit geflüchteten Menschen auseinandersetzen. Dazu hängt fast schon unter der Decke eine farbintensive Malerei von Ulrich Bittmann, deren Hängung eine neue Offenheit in der Interpretation ermöglichen soll. Sie korrespondiert mit witzigen Klein-Skulpturen von Anne von der Heyde oder den Gemälden von Waltraud Stalbohm (Rote Früchte) und Gabi Bannow (Ein-Zimmer-Wohnung).



Im zweiten Stockwerk heißen die Genres „Konkrete Kunst“ und Raum für „Form, Farbe und Materialien“. So erzeugt die Arbeit von Gisela Kuchel aus Glas, Licht und Metall je nach Standpunkt des Betrachters eine neue Perspektive und ein farbenfrohes Spektrum. Die drei abstrakten Arbeiten von Susanne Adler hingegen erzeugen eine Stimmung der Unendlichkeit, während Licht und Horizont als Landschaftsandeutung zu lesen sind, wie die Künstlerin betont. Die in Linie angerichteten Quader aus Holz und Hand-geschöpften Papier von Regine Bonke sollen im Raum mit der Architektur und den Linien der alten übermalten Backsteine korrespondieren.

Im letzten Raum, der wunderbare Arbeiten zum Thema Materialität, Farbe und Form präsentiert, begeistert einmal mehr die erste Possehl-Preis-Trägerin Janine Gerber, die sich in ihrer als Video zu sehenden Performance mit einer 15 Kilogramm schweren Papierrolle abarbeitet. Dazu überzeugt die vielschichtige Installation aus Bildern und Stoff von Berit Kröner und Mirja Schellbach (die "Brachiale"), während die beiden sehr hoch gehängten, mit Rakel gemalten Bilder von Burkhard Dierks mit Bewegung und Farbflächen experimentiert.



Insgesamt lässt sich sagen, dass der neuen Chefin der Kunsthalle, Noura Dirani und dem gesamten Organisations-Team eine erfrischende Auswahl aktueller Gegenwartskunst und eine konzeptionell sehr anspruchsvolle Präsentation und Hängung der Werke gelungen ist. Die Bandbreite der ausgestellten Arbeiten macht Lust auf den Besuch und gleichzeitig werden neue Methoden der Partizipation zu hoffentlich vielen Besuchern aus allen Generationen führen. So sind öffentliche Führungen als Dialog mit teilnehmenden Künstlerinnen genauso geplant wie spezielle spielerische Formate wie „MeetArtKids“ für junge Kunstbegeisterte oder Atelier-Besuche bei verschiedenen Künstlern, die sich bei der Arbeit über die Schulter schauen lassen.

Die bereits ausverkaufte Vernissage findet am 28. Januar statt, wobei auch der oder die ausgewählte Künstler/in des Jahres prämiert wird. Auch ein Katalog zur Schau für 10 Euro wird dann zu erwerben sein. Insgesamt läuft die Ausstellung vom Sonntag, den 29. Januar bis zum Sonntag, den 5. März 2023 in der Kunsthalle des St.-Annen-Museums zu Lübeck.

Fotos: (c) Holger Kistenmacher

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

Sie haben keine Berechtigung hier einen Kommentar zu schreiben.