Foto: (c) Holger Kistenmacher

Eine provokante, epochenübergreifende Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle
Femme Fatale - Blick - Macht - Gender

Vielen großen Museen sind ihre alten Meisterwerke, die das Stereotyp der erotisch-verführerischen und begehrenswerten Frau, die Männer ins Verderben zieht, die Femme Fatale, mittlerweile peinlich oder zu brisant, so dass sie in die Lager verbannt wurden.

Ästhetisierung, Dämonisierung und Sexualisierung der Frau sind nicht mehr angesagt. Oder wie in England geschehen: Solche Werke werden aus den Ausstellungen im Zuge von Cancel Culture entfernt. Die Hamburger Kunsthalle geht jetzt einen anderen, mutigen, vielleicht auch diskutablen Weg. Sie holt die alten Schinken aus den Depots und organisiert viel gescholtene Werke aus aller Welt, um sie in einen Diskurs zu stellen mit neueren, feministischen Werken der Gegenwartskunst.

Kurator Markus Bertsch (v.l.n.r.), Ruth Stamm, Selvi Göktepe und Andrea WenigerKurator Markus Bertsch (v.l.n.r.), Ruth Stamm, Selvi Göktepe und Andrea Weniger

So haben sich der männliche Kurator der Schau, Dr. Markus Bertsch und seine wissenschaftlichen Assistentinnen Sylvie Göktepe und Ruth Stamm einen vielfältigen Kunst-Parkur geschaffen, der einen vielfach gewagten, aber auch sehr ästhetischen Einblick bietet in ein Kunstgenre, dass fast schon als verpönt galt. Es geht um Macht, erotische Albträume und männliche Fantasien, die gegen vielfältige weibliche Gegen-Entwürfe ankommen müssen.

Über 100 Jahre etwa wurde das monumentale Werk von Hermann Kaulbach: Lucrezia Borgia aus dem Jahre 1882 nicht mehr öffentlich gezeigt, weil es zu peinlich war, wie der Kurator erklärte. Die Schöne zeigt sich dem Papst, der auch ihr Vater war, während einige Herren und Mönche sie lüsternd begaffen. Jetzt hängt das Bild neben ähnlichen Bildern, wo bekleidete Richter über nackte Frauen richten, aber auch eine provokante neuere Fotografie, in der sich eine selbstbewußte Frau den Richtern angriffslustig entgegenstellt.

Hermann Kaulbach: Lucrezia Borgia (Ausschnitt)Hermann Kaulbach: Lucrezia Borgia (Ausschnitt)

Die Anfänge der lüsternen Malerei, in der die Männer die Frauen nackt und begierig als erotische Albträume malten, um sich auf diesem Weg Macht über sie zu sichern, gleichzeitig ihre männlichen Ängste überdeckend, begannen in der Romantik mit den antiken Zauberinnen Circe und Medea, aber auch bei den deutschen Dichtern wie Fontane und Heine, die die Loreley in ihren Gedichten besangen. So entstand der Mythos der Schiffe versenkenden Rhein-Nixe. Diese Bilder stehen am Beginn der Ausstellung über männliche Angst-Lust-Phantasien.

Besonders die englischen Präraffaeliten wählten das geile Genre als Antwort auf verbrämte viktorianische Prüderie. Als Beispiel sei hier die Circe von John William Waterhouse aus dem Jahre 1891 genannt, die auch das Ausstellungsplakat ziert. Ihre Frauen zeigen blanke Busen und meist rote Haare, die die Männer willenlos machen sollen, aber eigentlich viel mehr über die Ängste der Männer aussagen.

Max Liebermann: Simson und DelilaMax Liebermann: Simson und Delila

Es folgten die Franzosen um Gustave Moreau, Odile Redon und Fernand Khnopff, die stärker symbolhaft wirkten mit ihren Sphinxen und Sirenen. Ein wichtiger deutscher Vertreter dieses Symbolismus war Franz von Stuck, der mit diversen Werken und Skulpturen vertreten ist. Aber auch in den folgenden Kunstepochen wie dem Impressionismus (Lovis Corinth, Max Liebermann), dem Expressionismus und der neuen Sachlichkeit (Oskar Kokoschka, Jeanne Mannen, Edvard Munch, Gerda Wegener) ist weiterhin viel nackte, meist weibliche Haut und Körper zu sehen. Da wird der Mann von Harpyien überfallen, von weiblichen Vampiren ausgesaugt oder sie dringen in sein Gehirn ein.

Andrea Weniger vor Werken von Maria LassnigAndrea Weniger vor Werken von Maria Lassnig

Demgegenüber stehen die meist feministischen Positionen einer Valie Export, die ihren Busen von Männern während einer Performance in einem Kasten begrapschen ließ. Maria Lessing, Betty Tomkins oder die wunderbaren Fotos von Nan Goldin mit ihren queer-feministischen Inhalten bilden einen sichtbaren Gegensatz. Hinzu kommen aktuelle Arbeiten von Jenevieve Aken, Mickalene Thomas oder Zandile Tshabalala, die in die Gegenwartskunst führen. Da werden pornografische Fotos mit lächerlichen Aussagen von Angeklagten aus dem Me-Too-Umfeld übermalt, oder Maria Lassnig lässt eine Nackte von King-Kong-Format auf eine Großstadt los. Betty Tomkins hat online gesammelte Schimpf- und Kosenamen in diverse Kleinformate umgezeichnet und gemalt, während Birgit Jürgenssen auf ihrem Polaroid-Foto ihre Katze zur Femme Fatale mutieren lässt.

Foto: (c) Holger KistenmacherFoto: (c) Holger KistenmacherEs gibt viel zu entdecken in dieser großartigen Übersichts-Schau mit über 200 Werken. Darunter die schöne „Helena von Troja“ von Dante Gabriel Rosetti oder „Simson und Delila“ von Max Liebermann. Weitere Höhepunkte sind unter anderem Gustave Moreaus symbolisches Hauptwerk „Ödipus und die Sphinx“ (1864) oder Edvard Munchs Gemälde „Vampir im Wald“ aus dem Jahre 1916.

Aber auch neueste Videos von Nan Goldin („Sirens“ von 2021 und „Salome“ von 2019) werden gezeigt, genauso wie das viel diskutierte Werk von Sonia Boyces, eine Videoinstallation („Six Acts“) dürfte für weitere Diskussionen sorgen, weil es sich konkret mit Cancel Culture in englischen Museen befasst.

Natürlich gibt es wieder auch ein umfangreiches Begleit-Programm, wie zum Beispiel fünf verschiedene Ausstellungsführer als Audiotouren für Erwachsene, Kinder und Menschen mit Defiziten. Auch für blinde Menschen gibt es besondere Tast-Kopien und Zeichnungen. Mit einer besonderen App ausgestattet kann man einzelnen Bilder sogar Fragen stellen. Der dazu gehörige Katalog wird Anfang des Jahres 2023 erscheinen.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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