Shunga (verpixelt), Japan, (c) Die Lübecker Museen

Neue Sonderausstellung der Völkerkundesammlung im St. Annen-Museum
Sex und Vorurteil

Mit großer Freude haben Lübecks neue Kultursenatorin Monika Frank, der leitende Direktor der Lübecker Museen, Prof. Dr. Wißkirchen, sowie Dr. Lars Frühsorge, Leiter der Völkerkundesammlung und Kurator die erste Ausstellung, die trotz Corona-Pandemie in den Räumen des St. Annen-Museums gezeigt wird, eröffnet.

Es geht um ein Thema, das so alt ist wie die Menschheit: die Sexualität in Kunst und Kultur. Dabei ist die Thematik meist auch mit verschiedensten Klischees, Vorurteilen und Falsch-Interpretationen behaftet. Dementsprechend geht es Kurator Frühsorge eben gerade nicht um Voyeurismus, sondern um Aufklärung, Neubewertung und Genderfragen. Trans- und Intersexualität sind mitnichten eine Erfindung der Gegenwart, betonte der neue Leiter der Völkerkundesammlung bei der Vorstellung der Objekte, erotischen Drucke und zahlreichen Kunstwerke, die sich über drei Räume verteilen. Der Fokus der Schau liegt dabei hauptsächlich auf den drei Kontinenten Europa, Afrika und Asien und spannt den zeitlichen Bogen von der Antike bis in die Gegenwart.

Die gezeigte erotische Kunst stammt überwiegend aus den Archiven der Sammlung und wurde bisher noch nie bis selten präsentiert. Ergänzt wird die Schau durch Leihgaben, sowie afrikanische Skulpturen aus dem Nachlass vom Kieler Arzt und Afrika-Kenner Bernd Muhlack, die erst kürzlich in den Besitz der Völkerkundesammlung gelangt sind. Einen besonderen Raum nehmen außerdem eine erstaunlich explizite und intellektuelle Serie von historischen Druckgrafiken aus Japan, den sogenannten Shungas (siehe Titelbild) ein. Diese Bilder, die im eigenen Land als Frühlingsbilder oder Lachbilder bezeichnet wurden, waren aber eher Umschreibungen von Masturbations-Vorlagen. Der berühmte Hokusai, von dem man eigentlich hauptsächlich Wellen-Bilder kennt, ist vertreten durch ein Werk, welches eine Dame in den erotischen Fängen eines gierigen Oktopus zeigt. Überhaupt ist Japan durch seine erotischen Manga-Comics oder die berühmte TV-Serie „Sailer Moon“, die durch das auftretende Lesben-Paar viele junge Menschen in ihrer Homosexualität befreite, für den Siegeszug sogenannter Animes in Deutschland verantwortlich.

Bärmutter, Foto: Holger KistenmacherBärmutter, Foto: Holger Kistenmacher

Kurator Fürsorge ist es insbesondere wichtig, mit Klischees wie dem „gut bestückten Afrikaner oder der sinnlichen Haremsdame“ aufzuräumen. „Diese sagen oft mehr über uns aus als über die jeweilige Kultur.“ Als Beispiel dient ihm dabei ein Schaukasten mit Skulpturen aus Madagaskar, die zwar explizit homo-erotische Sexakte zeigen, aber als Grabbeigaben, sogenannte „Jenseits-Ehepartner“ gedacht waren. Auch der berühmte Keuschheitsgürtel aus früheren Jahrhunderten war eher als Schutz vor übergriffigen Lehnsherren gedacht und nicht als Utensil, um die eigene Ehefrau am Fremdgehen zu hindern, wenn der Herr Ritter mal wieder auf dem Feldzug war. Gleich nebenan im nächsten Schaukasten hängt eine seltsame stachelige Kugel, die sogenannte „Bärmutter“, die als Votivkugel in Kirchen des Alpenraums aufgehängt wurde. Sie galt als „Heilmittel“ gegen weibliche Lust. Mit ihrer Hilfe sollte den hysterischen Frauen die sexuelle Lust ausgetrieben werden.

So gibt es beim teils amüsanten, teils sehr aufschlussreichen Rundgang so einiges zu entdecken. Hätten sie gewusst, dass es in Albanien „schwörende Jungfrauen“ gibt, die als vollwertige Männer anerkannt sind, obwohl sie eigentlich Frauen sind. Um zum Beispiel einer Zwangs-Verheiratung zu umgehen, werden aus Frauen Männer, die allerdings völlig auf Sexualität verzichten. Die beiden gezeigten Fotos von zwei „älteren Herren“ lassen den Hintergrund kaum erahnen.

Shreya, Transsexueller, Indien, (c) Jill PetersShreya, Transsexueller, Indien, (c) Jill PetersViele weitere Themen wie Sex-Spielzeuge, homoerotische Keramiken aus dem antiken Griechenland, von buddhistischen Mönchen gesegnete Amulette zur Unterstützung der Partnersuche aus Thailand, Sextourismus von Frauen in Afrika oder das dritte Geschlecht in Indien vervollständigen die vielfältige Schau. Man kann dem Kamasutra lauschen oder sich Video-Interviews mit Transsexuellen anschauen, in arabischen Sexual-Handbüchern stöbern oder sich über Potenzmittel informieren.

Darüber hinaus sind Kooperationen mit der Aidshilfe, dem Christopher Street Day und anderen Organisationen geplant. Ebenfalls steht ein ausführliches Begleitprogramm, wie unzensierte Kuratorenführungen, geführte Spaziergänge durch das historische Lübecker Rotlichtmilieu oder Kunst-Performances und Lesungen zu Sexualität und Identität in Planung. Alle Termine werden abhängig von der Pandemie-Lage kurzfristig auf der Website der Lübecker Völkerkundesammlung bekannt gegeben. Weitere Infos über www.vks.die-lübecker-museen.de

Ansonsten gelten die bekannten Corona-Vorsichtsmassnahmen. Die Ausstellung läuft voraussichtlich bis zum 29.08.2021.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

Kommentare  

# CoolReinhard (01.09.2021, 23:00)
Coole Ausstellung und coole Fotos, konnte die Ausstellung leider nicht sehen. Aber die Fotos sind ein kleiner Ersatz dafür. Danke dafür herzliche Grüße nach Lübeck von Reinhard!

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