Explosiver Farbflash von Katharina Grosse im Hamburger Bahnhof von Berlin
It Wasn`t us

Die momentanen Lockerungen im Reiseverhalten dürften so manchen Menschen dazu verleiten, auch mal wieder einen kunstvollen Ausflug in Ausstellungshallen der Republik zu unternehmen.

Eine der absoluten Highlight der diesjährigen, durch Corona doch ziemlich gebeutelten Ausstellungssaison, dürfte die großartige Schau von der 1961 in Freiburg geborene Spray-Künstlerin Katharina Grosse in Berlin sein. Bei meinem Ausflug in die Bundeshauptstadt konnte ich erneut die raumsprengende, expressive Farbgewalt der international anerkannten Künstlerin bestaunen.

Schon lange hat Grosse die normale Leinwand hinter sich gelassen. Seit Jahren wachsen ihre, mit der Spraypistole kreierten Werke in immer größere Dimensionen. Rahmen oder räumliche Grenzen stellen für sie keine kreative Dimension mehr dar. Mit ihren Farb-Attacken hat sie bereits riesige Fabrikhallen, schier unendliche Stoffbahnen oder ganze Häuser und Landschaften in quietschbunte Farb-Fantasien verwandelt. (Sydney, Biennale Venedig oder New York).



Jetzt hat sie mit Hilfe von riesigen Styropor-Skulpturen und mehrfarbigen Spray-Bahnen aus der Sprühpistole zunächst die große Halle des Hamburger Bahnhofs in Berlin bearbeitet. Allerdings lässt sich die Künstlerin auch in Berlin nicht durch die Architektur des historischen Gebäudes in Zaum halten. Durch die geöffneten Tore am Ende der Halle mäandern die leuchtenden Stränge aus Pink, Grün, Gelb und Rot aus dem Gebäude über den Boden des Geländes, unter Bäumen hindurch, bis an die Wände der angrenzenden Rieckhallen und erobern sich wild und prächtig neues Terrain.

Bewaffnet mit Schutzanzug, Kompressor und Spray-Pistole hat sie ihre bis dato größte Arbeit geschaffen. Staunend und lächelnd schreiten die Besucher die abstrakten, in riesige Schleifen gelegten Farb-Explosionen ab. Auf Styropor, Beton, Stein oder Glas bekommen die grellen Farben besonders bei blauem Himmel eine Strahlkraft, die in Erstaunen und Verzückung versetzt. Grosse produziert Widersprüchlichkeit zwischen zart verlaufenden Farbflächen und scharfen Kanten der Styropor-Elemente. Transparente Farbnebel wirken wie psychedelisch hingehaucht.

Lustig kämpfen sich kleine Grasbüschel aus gelber Farbfläche. Gelegentlich möchte man meinen, man befindet sich an einem grellen Strand mit Palmen, Meer und gleißenden Sandflächen. Überbordend, gewaltig, fantasievoll, experimentell und verspielt sind Attribute, die mir beim Besuch der Schau durch den Kopf gehen und mich begeistern.

Eigentlich sollte die Ausstellung bereits im April eröffnet werden, Corona hatte etwas dagegen. Doch jetzt ist die Schau noch bis Oktober zu besuchen. Der Zugang in die Halle ist begrenzt und nur mit Mund-Nasen-Schutz zu betreten, und man sollte sich vorher über das Internet ein Ticket zu festgelegtem Zeitkorridor besorgen.

Infos zum Ausstellungsbesuch unter www.smb.museum

 

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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