Baselitz-Richter-Polke-Kiefer

"Baselitz-Richter-Polke-Kiefer - Die jungen Jahre der Alten Meister" in den Deichtorhallen
Vorboten einer Zeitenwende in der deutschen Malerei

Anlässlich des 30-jährigen Bestehens der Hamburger Deichtorhallen und des 30. Jubiläums deutscher Wiedervereinigung gibt es in der Hansestadt eine große Übersichtsschau der Großmeister der deutschen Malerei, deren Renommee in der Geschichte der bildenden Künste Deutschlands einzigartig ist.

Georg Baselitz, Gerhard Richter, Sigmar Polke und Anselm Kiefer stehen für den epochalen Ansatz der Schau. Die Künstler haben durch ihren Blick in die deutsche Geschichte als Vorboten einer Zeitenwende gewirkt und weltweit für neuen Glanz in der deutschen Kunst nach 1960 gesorgt.

Anfang der 60er Jahre gelang den vier jungen Künstlern mit ersten Ausstellungen in New York der weltweite Durchbruch. Gleichzeitig eröffnete ihr Erfolg auch der deutschen Kunst allgemein den Zugang und die Anerkennung auf internationaler Ebene. Heute gehören Richter, Baselitz, Polke und Kiefer zu den teuersten und besten modernen Gegenwarts-Künstlern der Welt. Nach Aussage von Kurator Götz Adriani, ein Zeitgenosse (Jahrgang 1940) der Maler-Vierer-Bande, war es vor ihnen nur Joseph Beuys gelungen, in Amerika Anerkennung für eine deutsche Kunstposition zu erlangen.

Kurator Götz Adriani und Dirk Luckow (Intendant Deichtorhallen)Kurator Götz Adriani und Dirk Luckow (Intendant Deichtorhallen)Abgesehen von Sigmar Polke, der 2010 verstorben ist, unterstützten alle drei Künstler das Projekt durch Leihgaben und ausführliche Interviews, die Kurator Adriani im Vorfeld der Schau, die zunächst in Stuttgart gezeigt wurde, mit ihnen geführt hat. Baselitz, Richter und Polke stammen aus einer Generation und kommen ursprünglich aus der DDR. Nur der jüngere Anselm Kiefer (1945) stammt aus Westdeutschland. Gemeinsam war aber die Ablehnung der damals (Anfang der 60er Jahre) vorherrschenden Ästhetik der Abstraktion. Ihre Auseinandersetzung mit dem deutschen Wirtschaftswunder und der deutschen Geschichte der Nazi-Herrschaft war in gewisser Weise eine künstlerische Variante der Revolte der 68er-Generation, obwohl sie alle sich nie als ein Teil dieser politischen Bewegung gesehen haben.

Während Georg Baselitz wie ein Berserker die wilde Malerei als Ausdruck seiner Tabubrüche nutzte, ging Gerhard Richter in seiner Geschichtsaufarbeitung eher analytisch vor. Er benutzte scheinbar banale Zeitungs-Bilder, die er in seine berühmten „unscharfen Bilder“ übersetzte. Die sogenannten Heldenbilder von Baselitz kommen derb, obszön und hässlich daher. Voller Wut, Pathos und Trauer begeht er Tabubrüche, um die Geschichtsvergessenheit der Deutschen zu konterkarieren. Seine scheußlichen Helden, Kriegsheimkehrer und Partisanen zeigen überdimensionale Geschlechtsteile oder onanieren und wurden damals auch schon mal verboten.

Georg Baselitz, Der Wald auf dem Kopf, 1969, (c) Georg BaselitzGeorg Baselitz, Der Wald auf dem Kopf, 1969, (c) Georg BaselitzNoch heute ist er berühmt für seine Überkopf-Bilder, indem er die Gemälde einfach umdrehte. Damit schaffte er Distanz und Verunsicherung. So stellte er die seit Jahrhunderten gängigen Kompositionsmuster förmlich auf den Kopf, eine Revolte als radikaler Schnitt mit der deutschen (Kunst-)Geschichte. „In einer Welt auf dem Kopf, hat die Schwerkraft ihren Sinn verloren, haben oben und unten, Last und Leichtigkeit ihre Eindeutigkeit verwirkt“, sagt Götz Adriani im Begleit-Katalog.

Gerhard Richter (1932) war in jungen Jahren schon ein gefeierter Künstler in der DDR, bevor er in den Westen wechselte, um noch einmal in Düsseldorf zu studieren. Beeinflusst von der Pop-Art wechselte sein künstlerisches Schaffen zu einer Auseinandersetzung von Fotografie und Malerei. Banale Fotos wurden von ihm so verfremdet, als verwischte Gemälde der Unschärfe machten sie Richter berühmt. Er benutzte dafür trockene Pinsel, um damit über das noch feuchte Gemälde zu streichen.

Gerhard Richter, Krankenschwestern, 1965, (c) Gerhard RichterGerhard Richter, Krankenschwestern, 1965, (c) Gerhard RichterNur scheinbar harmlos sind die Inhalte. Auch er setzt sich mit der deutschen Geschichte auseinander, indem er seine Tante Marianne aus dem Familienalbum malt. Sie wurde noch kurz vor Ende des 2. Weltkrieges Opfer der Euthanasie-Politik der Nazis. Sein Onkel Rudi in Offiziersuniform nahm teil an der Ermordung von psychisch Kranken.

Mit Sigmar Polke (Jahrgang 1941) gelangte der Humor in die deutsche Malerei der Nachkriegszeit. Der Tausendsassa in Schlaghosen ging den Weg der Ironie und deckte so die Absurditäten der Wirtschaftswunderwelt auf. Die Fresswelle nach den Hungerjahren karikierte er mit fliegenden Würstchen. Nierentische und brave Delfter Kacheln wurden auf Stoff gezogen, und aus der Pop Art kamen die Rasterpunkte hinzu. Auch er nutzte Illustrierten-Fotos als Vorlage, zum Beispiel für sein Gemälde "Freundinnen" von 1965.

Ausstellungsbesucherin vor dem Bild: Sigmar Polke - FreundinnenAusstellungsbesucherin vor dem Bild: Sigmar Polke - Freundinnen

Polke war ein Meister der ironischen Brechung. Subtil und mit anarchischem Humor pflegte er den Nonkonformismus in einer konformistischen Zeit. Zusammen mit seinem Freund Gerhard Richter besuchte er die Klasse von Karl Otto Götz und bekämpfte den in der DDR gelernten sozialistischen Realismus mit dem sogenannten kapitalistischen Realismus durch einen eigenen medien- und konsumkritischen Ansatz. Er kennt keine Scheu vor mythen-schweren Themen wie Glaube, Hoffnung, Liebe oder dem deutschen Alt-Künstler Albrecht Dürer, dessen berühmten Hasen er mit Gummiband nachbildet.

Der jüngere Anselm Kiefer hingegen hat sich einen sehr eigenen Kosmos geschaffen. Sein Ansatz entspringt zwar auch der deutschen Geschichte, aber einer sehr viel früheren. Sein komplexes Werk speist sich aus der philosophischen Vorstellungswelt verschiedenster Mythologien und Religionen. In den 70er Jahren ist sein künstlerisches Schaffen stark an der Auseinandersetzung mit der Nazi-Herrschaft angelehnt. Er provoziert mit seinen Aktionen, bei denen er Selbstauslöser-Bilder von sich schießt, während er auf freien Plätzen in Italien, Holland und der Schweiz den Hitlergruß zeigt.

Anselm Kiefer, Heroisches Sinnbild VII, 1970, (c) Atelier Anselm KieferAnselm Kiefer, Heroisches Sinnbild VII, 1970, (c) Atelier Anselm Kiefer

Als er sich mit den Fotos für die Kunst-Akademie bewirbt, wird er fast nicht genommen. Ausgerechnet ein jüdischer Kunstprofessor verschafft ihm den Studienplatz. Diese Fotos nutzte er als Grundlage für seine Serie der "Historischen Sinnbilder", die Anfang der 70er Jahre entstehen. Dabei erscheint er mit Nazigruß zum Beispiel vor Papst Pius dem XII. Später beschäftigt er sich zum Beispiel mit der brennenden Dreieinigkeit und dem deutschen Wald – alles starke Mythologien Deutschlands.

Alle vier Ausnahme-Maler haben das "deutsche Kunstwunder" geschaffen, die neue deutsche Malerei zu ihrer Bedeutung gebracht, die sie noch heute genießt, von der auch die berühmten jüngeren Gegenwartskünstler wie ein Neo Rauch oder Daniel Richter bis jetzt profitieren.

Die Ausstellung läuft bis zum 5. Januar 2020 in den Hamburger Deichtorhallen. Ein umfangreicher Katalog ist in der Ausstellung für 34.90 Euro zu kaufen. www.deichtorhallen.de

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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