Begehbare Installation von Albert Oehlen mit Musik von Holger Hiller als Gegenentwurf zur Rothko Chapel, Foto: (c) Holger Kistenmacher

Hyper! A Journey Into Art And Music
Da ist ordentlich Musik drin!

Früher haben die Who oder andere Rockbands ihre Gitarren am Ende des Konzerts zertrümmert  – heute wird eine Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen eröffnet und die „Freiwillige Selbstkontrolle“ zerlegt dabei ihr Klavier. Das nennt man Cross-Mapping zwischen Musik und bildender Kunst – sprich: das Kopieren und Umwandeln in eigene Kunst.

Zu sehen ist das unter anderem in der aktuellen Ausstellung „Hyper!“, die der ehemalige Spex- und Electronic-Beats-Chefredakteur Max Dax kuratiert hat. Der deutsche Chefideologe der modernen und intellektuellen Musikkritik durfte sich dafür wunderbar in der großen Halle für aktuelle Kunst in Hamburg austoben .

Dafür hat er insgesamt 60 Künstler beider Gattungen ausgewählt, die ihre Positionen zwischen Musik und bildender Kunst mit ca. 300 Werken dokumentieren. Damit ist das Konzept absolut am Puls der Zeit. Berghain trifft auf Bayreuth. Das flüchtige Medium Musik trifft auf das langlebige Kunstwerk. Seit Kraftwerk im New Yorker MOMA spielt und als lebendiges Kunstwerk daherkommt, erscheinen die Genregrenzen fließend.

Kurator Max Dax, Foto: (c) Holger KistenmacherKurator Max Dax, Foto: (c) Holger KistenmacherMax Dax kann auf 30 Jahre Musikjournalismus zurückgreifen, in denen er hunderte Musiker interviewen konnte. Gleichzeitig ist er befreundet mit den Größen der modernen bildenden Kunst wie Albert Oehlen, Rosemarie Trockel oder Wolfgang Tillmanns, die natürlich bereit waren, aktuelle und ältere Werke für diese spannende Crossover-Schau zur Verfügung zu stellen.

So hat Wolfgang Tillmanns sein Archiv durchforstet und über 100 Fotos von Musikern zusammengestellt, die er im Laufe seiner Karriere auf seine persönliche Weise porträtiert hat. Der neoexpressionistische Maler Albert Oehlen zeigt eine aus Leinwänden gebaute, begehbare Installation mit Musiksessel, in der man Musik vom Hamburger Musiker Holger Hiller hören kann, die aber gleichzeitig als Gegenentwurf zur kontemplativen „Chapel von Mark Rothko“ gedacht ist.

Die Ausstellung eröffnet ein Parcours aus großformatigen Schwarz-Weiß-Bildern von Türstehern aus dem hippen Berghain-Club aus Berlin. Gemacht wurden sie von Sven Marquart, immer noch Türsteher dort, aber heute berühmter als Fotograf der Szene.

Türsteher aus dem Berghain - fotografiert von Sven Marqwardt, Foto: (c) H. KistenmacherTürsteher aus dem Berghain - fotografiert von Sven Marqwardt, Foto: (c) H. Kistenmacher

Es folgen die berühmten Massen-Fotos vom Fotografen-Weltstar Andreas Gursky, der Madonna oder den Techno-Club Cocoon in Frankfurt auf seine typische Art in Szene setzt. Sie sind Beleg für das Massenphänomen Pop-Kultur, welches eines der Narrative des Konzepts von Max Dax darstellt. Ihm geht es unter anderem in seiner Schau um die Wechselbeziehung von Bild und Musik. Musik versucht dabei immer ein Massenprodukt zu sein, während die bildende Kunst individuell sein will. „Musik sind ja eigentlich nur Schallwellen, die in Bildern, Videos oder Installationen in Beziehung gesetzt werden“, erklärt Dax seine kurativen Gedankengänge. „Jeder Maler will Rockstar sein; jeder Musiker möchte Künstler sein!“

Guter Beleg hierfür ist zum Beispiel der Ex-Punk und angesagte Maler Daniel Richter, der sein Gemälde „Lonely Old Slogan“ zeigt, das später als Plattencover der Scheibe „Lenin“ von den Goldenen Zitronen diente. Wie man sich gegenseitig beeinflusste, zeigt auch Richard Prince, der ein Autogramm von Courtney Love, der Sängerin von Hole und Ex-Ehefrau von Nirvana Sänger Kurt Cobain, einfach als eigenes Werk ausgibt. Andererseits ist seine Werkgruppe „Nurse-Paintings“, übermalte Collagen aus Groschenheften und Porno-Bildern zu sehen, die wiederum als Plattencover von Sonic Youth benutzt wurden. Ähnlich arbeitet auch Rosemarie Trockel, die gemeinsam mit Thea Djordjadze fiktive Cover malte, die ihrerseits von Pop-Bands wie Kreidler zu realen Platten-Covern gestaltet wurden. Kim Gordon, die Ex-Frontfrau von Sonic Youth, ist mittlerweile selbst Malerin und zerknüllt ihre Leinwände zu Skulpturen.

Rutherford Chang: We buy White Album, Foto: (c) H. KistenmacherRutherford Chang: We buy White Album, Foto: (c) H. Kistenmacher

Ein Highlight der Ausstellung sind sicherlich die Arbeiten von Cosima von Bonin, die mehrere großformatige Skulpturen zeigt, sowie der fiktive Plattenladen von Rutherford Chang: „We buy White Album“. Er hat darin nach Nummerierung insgesamt 2173 Exemplare des „Weißen Albums“ der Beatles gesammelt, deren Erscheinungsbild je nach Vorbesitzer schmuddelig oder beschriftet aussieht, die aber auch konkret auf alten Plattenspielern abgehört werden können. Man kann wunderbar in den Plattenboxen stöbern und sich köstlich mit den abgegrabbelten Hüllen amüsieren.

Ein weiterer wunderbarer Raum ist dem verstorbenen Christoph Schlingensief gewidmet, der in seinen Theaterstücken und Performances zwischen Wagner und Pop-Kultur switchte. Viele Ausstellungsstücke haben einen bizarren Humor. So erwischt man sich selbst als Voyeur, wenn man die Puppen-Figuren eines Mason Williams in seinen Kuckkästen betrachtet, die der ehemalige Folksänger geschaffen hat, um zu zeigen, wie überwiegend schwarze Musiker/innen im Zweitleben als Kellner oder Putzfrau Geld beschafften, um ihrer Liebe, der Musik, zu frönen.

Madonna Kisses Britney, (c) Radenko MilakMadonna Kisses Britney, (c) Radenko MilakSogenannte Skandale wie der Kuss von Madonna mit Britney Spears werden als Fotos verarbeitet, genauso wie die angeblichen Homo-Küsse eines Justin Biebers. Henning Strassburger setzt den Teenie-Star mit Biber-Bettwäsche und Pop-Bildern als Kinderzimmer-Deko in Szene.

Überhaupt, die Ausstellung glänzt mit vielerlei Angeboten. Man kann locker auf den „Powerbanks“ von Britta Thie lümmeln, Musik hören und gleichzeitig sein Handy aufladen oder psychedelische Videos von Cyprian Gaillard mit 3-D-Brille betrachten, an der Wand von Wolfgang Tillmanns nach seinem Lieblings-Rockstar Ausschau halten oder sich als Fan von Kraftwerk die dazugehörigen Autobahn-Bilder von Emil Schult betrachten.

Es gibt viel zu sehen und zu hören in der Schau, die gleichzeitig mit der Elbphilharmonie kooperiert, indem dort drei Konzert-Abende laufen, die von beteiligten Künstlern mit ihren Lieblings-Musikern bestückt wurden. Außerdem werden im Foyer der Deichtorhallen Konzerte gespielt.

Foto: (c) Holger KistenmacherFoto: (c) Holger Kistenmacher

Ein umfangreicher Katalog mit Konzept und Interviews von Max Dax ist ebenfalls käuflich zu erwerben (288 Seiten, Snoek Verlag, 49,90 Euro). Diverse Sonderveranstaltungen, Performances, ein Online-Magazin (Halle4), Künstlergespräche und eine Musikzusammenstellung auf Spotify-Playlist vervollständigen das reichhaltige Programm. Also ganz großes Kino zwischen Musik und Kunst auf allen Ebenen!!

Hyper! A Journey into Art and Music: Ausstellung vom 1. März bis 4. August 2019, Deichtorhallen Hamburg

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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