„Breaking Point. Searching for Change“
Fotos satt bei der 7. Triennale der Photographie in Hamburg

Bereits zum 7. Mal zeigt das älteste kontinuierlich stattfindende Fotofestival in Deutschland im gesamten Hamburger Stadtgebiet fast das gesamte Spektrum der Foto-Kunst.

Dabei präsentiert sich die Triennale der Photographie so international wie nie und verfolgt dabei unter dem Motto: „Breaking Point. Searching for Change“ das Konzept, die grundlegende Möglichkeit der Fotografie, den Lauf der Zeit für einen Moment zu unterbrechen, potentiell einen Wandel einzuleiten oder eine Veränderung anzustoßen, in größtmöglicher Vielfalt darzustellen.

„Die diesjährige Triennale setzt auf Brechung“, sagte Kultursenator Carsten Brosda in seiner Eröffnungsrede am Donnerstagabend in den Deichtorhallen. „Sie zeigt die Möglichkeit der Fotografie, Auslöser einer irritierenden und damit auch aufklärerischen Wahrnehmung zu sein, verbunden mit der Möglichkeit, durch die optische Bündelung von Themen den Diskurs zu den Fragen unserer Gegenwart anzuregen.“ Das Festival der Bilder als sozialer Akt. Weniger Beschäftigung mit sich selbst, sondern mehr die Hinwendung zu den Menschen und zur Welt. In einer Zeit, in der die gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen schnelllebig und voller Widersprüche sind, scheint ein kurzes Innehalten, ein nachdenkliches „Im-Bild-Festhalten“ nötiger denn je, betonte Dirk Luckow, der Intendant der Deichtorhallen.

Veranstalter und Leiter der 7. Triennale der Photographie, Foto: Holger KistenmacherVeranstalter und Leiter der 7. Triennale der Photographie, Foto: Holger Kistenmacher

Das Foto-Festival, das auf eine Initiative des Fotografen und Sammlers Prof. F. C. Gundlach zurückgeht, wird seit 1999 alle drei Jahre organisiert und dabei zum zweiten Mal durch den künstlerischen Leiter Krzysztof Candrowicz kuratiert. Das traditionsreiche und größte Fotofestival Deutschlands beteiligt mehr als 320 Künstler in rund 50 Kunst- und Kultur-Institutionen und auf mehr als 250 Veranstaltungen. Das Konzept reflektiert nach Aussage des Chef-Kurators die momentanen ökologischen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Veränderungen und die Wirklichkeitserfahrung einer Umbruchsituation durch den Blickwinkel der Fotografie. Angelehnt an die klassischen Computerbefehle „Enter, Home, Control, Space usw.“ haben wir eine symbolische und zugleich ironische Matrix über alle Ausstellungsprojekte gelegt und hoffen, dadurch die heutige Wirklichkeitserfahrung greifbar zu machen, erklärte Candrowicz sein Konzept.

Unter dem Begriff „Enter“ zeigt das Festivalzentrum auf dem Deichtorhallen-Vorplatz in etwa 30 Übersee-Containern junge politische Fotografie, teilweise von Kunsthochschulen, die sich unter anderem mit dem Klimawandel, der Flüchtlingskrise, politischen Unruhen bis hin zu Cyberattacken und der Bedrohung durch Terrorismus auseinandersetzt. Die Deichtorhalle selbst präsentiert einen spannenden Querschnitt aus sieben Jahrzehnten „Street.Life.Photography“, wobei der „urban space“ – die unmittelbar erfahrbare städtische Lebenswelt – ja schon immer eines der wohl schillerndsten Sujets fotografischer Bildwelten darstellte. In insgesamt 52 künstlerischen Positionen mit etwa 320 Arbeiten wird dem Besucher ein Kaleidoskop von Arbeiten zu den Themen „Street Life“, „Crashes“, „Public Transfer“, „Urban Space“, „Alienation“, „Anonymity“ sowie „Lines and Signs“ präsentiert. Dabei treffen Klassiker wie Diane Arbus, Robert Frank, Lee Friedlander, William Klein oder Martin Parr auf junge aufstrebende Künstler wie Maciej Dakowicz, Mohaned Bourouissa, Ahn Jun, Doug Rickard und Harry Pälvirante und treten in einen aufschlussreichen Dialog.

Ahn Jun: Self-PortraitAhn Jun: Self-Portrait

So wagt sich die koreanische Fotografin Ahn Jun im wahrsten Sinne hoch hinaus. Für ihre „Self-Portraits“ besteigt sie Hochhäuser in Großstädten und schießt von den Dächern schwindelerregende Selfies aus Adrenalinrausch und Angstgefühl. Der Pole Maciej Dakowicz legt seinen Fokus auf Nachtschwärmer und Feierwütige und erinnert damit an die tief schwarz-humorigen Aufnahmen vom Altmeister der realistischen und bitterbösen Street-Photographie, Martin Parr. Gerade die Straßen-Fotografie nimmt den Menschen extrem ins Visier. Wolfgang Tillmans zeigt intime Detail-Schüsse aus der Londoner U-Bahn, während Dougie Wallace ganz nah geht, indem er direkt in indische Taxis fotografiert. Seine Porträts sprühen vor Großstadthektik, Hitze, Lärm und Schweiß förmlich in den Raum hinaus.

Im Gegensatz dazu zeigt Diane Arbus psychologische Porträts, während Lisette Model einen akribischen Blick auf Passanten wirft. In anderen Positionen geht es um Entfremdung und Anonymität, um Zusammenstöße jeglicher Art, um Gewalt, Verzweiflung, Sexualität und Verlorenheit. So unterschiedlich das Temperament und die Ästhetik der Künstler sind, korrespondieren sie doch miteinander. Während Andrew Buurman Reaktionen von Reisenden auf Informationstafeln in Bahnhöfen beobachtet, lichtet der israelische Fotograf Natan Dvir komische Momente ab, wie den Batman-Darsteller am Union Square.

Siegfried Hansen: Signs and LinesSiegfried Hansen: Signs and Lines

Auffällig ist, dass viele junge Fotokünstler ihre Ästhetik im Seriellen suchen. So untersucht Peter Funch in seiner Serie nach Verhaltensmustern, indem er eine New Yorker Straßenecke immer wieder zur gleichen Uhrzeit fotografiert. Im Kapitel „Signs and Lines“ wird zum Beispiel durch den Hamburger Siegfried Hansen dokumentiert, wie unser Umfeld mit Straßenschildern und Markierungen gepflastert wird, während Stephen Shore durch seine geschickte Bildkomposition tiefe Räume aus Papier schafft.

Neben dieser äußerst sehenswerten Überblickschau in den Deichtorhallen muss ich aber auch noch diverse weitere Ausstellungen empfehlen, die man als Foto- und Kunstfreund auf keinen Fall verpassen sollte. So zeigt das Bucerius Kunst Forum den Pop-Star der Fotografie Anton Corbjin, der durch seine Porträts der Musik-Szene von den Stones, David Bowie bis Depeche Mode berühmt wurde. Die Hamburger Kunsthalle präsentiert unter dem Motto „Control – no Control“ Bilder der Politik, Macht und des Geldes. So ließ sich Sofie Calle 1981 von einem selbst engagierten Detektiv beobachten.

Anton Corbjin: Die alte Frau JaggerAnton Corbjin: Die alte Frau Jagger

Der großartige Richard Mosse, den ich erstmals bei der Biennale in Venedig für mich entdeckt hatte, wo er erschreckend-schöne Fotos aus dem Kongo mit Infrarot-Kameras präsentierte, zeigt in Hamburg neue Arbeiten, die er mit einer militärischen Überwachungskamera gemacht hat. Er filmte Menschen auf der Flucht nach Europa. Im Museum für Völkerkunde werden Dokumente der Umweltveränderung und ökologischer Notlagen gezeigt, die nicht nur erschrecken sollen, sondern auch zum aktiven Handeln anregen. Ein weiteres Highlight sollten „2Boats“ – die schwimmende Fotografie-Plattform von Claudius Schulze und Maciej Markowicz werden. „Übermut Project“ nennt sich ihre Initiative, mit der sie durch Europa touren und per Boot auf Flüssen und Kanälen von Amsterdam über Paris nun bis nach Hamburg geschippert sind.

Dieses und noch viel mehr gibt es ab sofort in und um Hamburg zu entdecken und zu besichtigen. Die Triennale läuft bis Ende September 2018.

Weitere Infos: www.phototriennale.de

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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