Am Eingang der Kunsttankstelle neben dem Holstentor hängt die neueste Kunst-Verkaufs-Attraktion der rührigen Defacto-Künstler: ein Kunstautomat.
Für nur 4 Euro Einsatz kann sich jeder Kunstfreund ein kleines, aber feines Kunstwerk in Zigarettenschachtel-Größe aus dem „Art-Automatico“ ziehen. Der umgebaute Zigarettenautomat beinhaltet kleine Werke der hiesigen Künstler aus der Kunsttankstelle.
Wer mehr, aber auch größere Kunstwerke bestaunen will, begibt sich über den etwas gammeligen Garagenhof der Kunsttankstelle, wo Skulpturen von Peter Fischer stehen beziehungsweise eine Schaufenster-Installation an Seilen über den Köpfen der Besucher schwebt. In der Ausstellungshalle selbst präsentieren sich zur Zeit 16 Mitglieder der Kunstgemeinschaft mit ihrer Jahresschau und gewähren „Einblicke“ in ihre Arbeit. Insgesamt 40 Arbeiten bezeugen das große Spektrum ihrer künstlerischen Positionen. Installationen stehen neben Skulpturen, Fotos, Malerei, Collagen und Grafiken.
Oft ist ein politisches Statement des jeweiligen Künstlers/Künstlerin augenfällig. So hat Gitesh Klatt sein großformatiges Bild des Berliner Reichstagsgebäudes mit Wolke dreidimensional mit kleinen Rädern bestückt und eine mit goldener Rettungsdecke umwickelten Stele eingefügt. Es ist sein Kommentar zur langwierigen Regierungsbildung der Groko, wo Wiederverwertung (Upcycling der Goldstele) alter Inhalte und Ungewissheit, wohin die Reise geht (die Räder können nach links wie rechts führen), seine Befürchtungen über die Zukunft der deutschen Politik unter Mutti Merkel spiegeln. Sein Titel für das Bild: „Not for free“.
Auch Peter Fischer kommentiert mit seinen Schrottskulpturen aus Fundstücken vom Strand der Nordsee und alten geschmiedeten Schiffsnägeln unter dem Motto: „Alles schon mal dagewesen“ die rückwärtsgewandte Politik der AfD. Auch die in Kroatien geborene Künstlerin Jasna Maria Meyer reflektiert in ihrer Installation: „Her mit dem ganzen Leben“ ein noch relativ aktuelles Thema der Politik. Mit Fotos, Texten und Flaschen zieht sie ein Resümee des G-20-Gipfels in Hamburg und verknüpft Natur und Kampf für ein besseres Leben.
Auch aus den Handpressdrucken von Regine Mönkemeier, Text-Aphorismen auf handgeschöpftem Papier, lassen sich politische Statements gegen Hass und Fremdenfeindlichkeit ablesen. Aber auch die Künstler und Künstlerinnen, die eher mit Phantasie und Poesie arbeiten, haben ihre künstlerischen Spuren in der sehenswerten Ausstellung hinterlassen. Besonders ins Auge fallen die farbintensiven Aquarelle von Klaus Gunter Wiese, die zu meditativen Gedankenspielen über Landschaften, Meer und Natur einladen. Noch abstrakter, aber ähnlich herausfordernd für die kreative Sichtweise des Betrachters kommen die beiden wunderbaren Werke von Wolfgang Blockus daher: Assoziationen Richtung Meer, Unendlichkeit und Weite gehen mir durch den Kopf.
Filigraner, aber ungemein präzise und in der Farbgestaltung superb die Reihe der „Umweltbrache“ genannten Zeichnungen von Michaela Berning-Tournier. Aus einer Serie von insgesamt 30 Bildern sind in der Schau sechs rostfarbene, konsequent quadratische kleine Abstraktionen zu bestaunen.
Phantasie- und ein wenig geheimnisvoll zeigt sich die Arbeit von Inka Susanna Wiedemann. Ein leicht geöffneter alter Koffer gibt den Blick frei auf vier Polaroidfotos – abfotografierte Zeichnungen aus einem Urlaub im Süden. Böse und mit hintersinnigem Humor präsentieren sich die Ölgemälde von Bastian Kähler. Puppenköpfe mit seltsamen Augen und Titeln wie „Die Giftmischerin“ oder „Verminderte Intelligenz“ lassen nichts Gutes erahnen.
Gerade jetzt, wo der Frühling so langsam um die Ecke kommt, sollte man den Kunstschau-Besuch nicht ohne einen Blick in den Garten hinter dem Ausstellungsgebäude beenden. Dort warten noch einige Installationen, wie die Goldstelen von Gitesh Klatt oder Stein-Installationen von Volkmar Schmidt.
Besonders bei Dunkelheit besticht ein besonderes Werk von Traute Ohlenbusch. Ihre in Poxylen nachgebaute Wal-Penis-Skulptur hoch oben auf einem abgesägten Baumstamm kann von innen beleuchtet werden und strahlt dann über das Wasser des Kanal bis auf die gegenüberliegende Obertrave. Wer noch mehr Kunst der Defacto-Art-Macher, die ich hier jetzt nicht genannt habe, sehen will, dem empfehle ich dringend einen Besuch in der Kunsttankstelle.
Die Jahresschau „Einblicke“ läuft in der Kunsttankstelle noch bis zum 7. April jeweils Donnerstag und Freitag von 15 bis 18 Uhr und Samstag und Sonntag zwischen 11 und 16 Uhr.
Videobericht von der Vernissage:
Kamera und Schnitt: Norbert Schwarzschulz