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Filmhaus Lübeck
Yorgos Lanthimos neues Werk: Kinds of Kindness

Der griechische Regiestar Lanthimos ist zur Zeit der gefeierte Star am Kinohimmel, vielfach für seine Werke ausgezeichnet, wie zuletzt mit 4 Oskars für den grandiosen, wie skurrilen Film „Poor Things“, den ich hier ebenfalls vorgestellt habe. Auch sein aktueller Film „Kinds of Kindness“ , der in Cannes Premiere hatte, wurde dort mit der Goldenen Palme für den besten Darsteller, nämlich Jesse Plemons ausgezeichnet.

Dabei ist der Streifen weniger verständlich und erklärbar wie der Vorgänger. Wie immer glänzt Lanthimos mit einer opulenten Bildsprache und seinem bekannt, beliebten Starensemble aus Emma Stone, Willem Dafoe und Jesse Plemons. Gleichzeitig erweist sich Yorgos Lanthimos erneut als Meister der Verstörung und Abstraktion. Er wirft die ganz großen Fragen des menschlichen Miteinanders auf und erzeugt immer wieder ureigene Bilder, die keiner Reminiszenz bedürfen, sondern pures Lanthimos-Kino sind. Diesmal geht es um die Liebe und den Missbrauch von Macht, die in drei Episoden bis ins Absurde getrieben werden.

Emma Stone (c) Searchlight PicturesEmma Stone (c) Searchlight Pictures

Es beginnt mit dem Lied „Sweet Dreams“ von den Eurythmics, der natürlich nicht zufällig gewählt wurde. Denn der Songtext passt genau zum Film: „Manche Leute wollen dich benutzen, manche von dir benutzt werden, manche Leute wollen dich missbrauchen und manche von dir missbraucht werden“. In den drei Episoden mit immer denselben Schauspieler*innen in unterschiedlichen Rollen geht es um Macht, Abhängigkeit, Sex und Liebe und seelische Kälte.

Im ersten Teil spielt Willem Dafoe den rätselhaften Raymond, der seinem Untergebenen Robert (Jesse Plemons) seit Jahren Instruktionen gibt, die bis ins Kleinste vorgeben, wie er seinen Alltag zu leben hat. Dafür wird er belohnt mit skurrilen Sport-Trophäen wie dem zerschlagenen Tennisschläger von John McEnroe oder dem demolierten Helm vom tödlich verunglückten Formel-Eins-Fahrer Ayrton Senna. Raymond bestimmt Roberts Ernährung, Kleidung, die genaue Uhrzeit für seinen Sex.

Robert (Jesse Plemons) trägt seine Trophäe, (c) Searchlight PicturesRobert (Jesse Plemons) trägt seine Trophäe, (c) Searchlight Pictures

Doch bei einer Sache, einen Unbeteiligten bei einem gestellten Autounfall eventuell schwer zu verletzen oder Schlimmeres, verweigert sich Robert. Daraufhin wird er von Raymond gnadenlos fallen gelassen. Selbst der Tennisschläger wird ihm entzogen und weiter verschenkt. Um die Gunst seines Chefs wieder zu erlangen, geht Robert bis an seine Grenzen.

In einer anderen Episode verschwindet eine Meeresforscherin (Emma Stone) und kehrt als scheinbar andere Person wieder zurück, die ihrem Gatten nun auch eigens abgetrennte Körperteile zum Essen serviert. Ihr misstrauischer Mann, der Polizist (Plemons) schaut sich voller Sehnsucht Videos vom Gruppensex an, die er und seine Frau mit einem befreundeten Paar in der Vergangenheit hatten.

Willem Dafoe, Jesse Plemons, Hong Schau, (c) Searchlight PicturesWillem Dafoe, Jesse Plemons, Hong Schau, (c) Searchlight Pictures

Und dann ist da noch die Geschichte um eine seltsame Sekte, die auf der Suche nach einer Heilsbringerin ist, die Tote wieder zum Leben erwecken soll. Der Guru (Dafoe) und seine Frau (Hong Chau) weinen bei einer Zeremonie einzelne Tränen in ein Bassin, aus dem sich ihre Jünger anschließend ihre Trinkflaschen füllen und als Lebensquell trinken.

Es sind interessante Fragen, die der Regisseur in den drei Episoden aufwirft: Wie abhängig bin ich von der Liebe, die ich erlebe? Wie weit gebe ich mich dafür selbst auf? Was für Verhältnisse bestehen zwischen Unterwerfung und Dominanz? Leider bleibt Lanthimos Antworten schuldig, sondern traktiert das verwirrte Publikum mit ziemlich expliziten Sexszenen bis zu einer Vergewaltigung, die nicht unbedingt zum Verständnis beitragen. Wie gesagt: Vieles in diesem wunderbaren Film führt ins Absurde, Ungewisse und in die Verstörung.

Emma Stone, (c) Searchlight PicturesEmma Stone, (c) Searchlight Pictures

Lanthimos macht es seinen Zuschauern nicht leicht, seine Filme zu mögen. Die einen mag es amüsieren, die anderen abstoßen oder langweilen. Am Ende des Films sagt Emma Stone dann - bezogen auf den anfänglichen Moment der Wahrheit: „Ist das nicht wunderbar?“ Ob man den Film nun als ein weiteres geniales, unterhaltsames und tiefgründiges Erforschen von Hörigkeit- und Machtverhältnisse sieht, oder als haarsträubende, schockierende, wenngleich unterhaltsame Farce - das liegt wie meistens im Auge des Betrachters.

Yorgos Lanthimos: Kind of Kindness mit Emma Stone, Willem Defoe, Jesse Plemons, Margaret Qualley, Hong Chau, Mamoudzou Athie und andere. Filmlänge: 165 Minuten. Der Film läuft zur Zeit im Filmhaus in der Königstrasse.

Filmhaus Lübeck: Poor Things - die neue Fantasy-Groteske von Kino-Visionär Yorgos Lanthimos

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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